Mitra
Jasmin Tabatabai in "Mitra" (© Camino Filmverleih)

Jasmin Tabatabai [Interview]

Jasmin Tabatabai war eine der ersten Schauspielerinnen mit migrantischem Hintergrund im deutschen Film. Oft wird sie auf ihre Herkunft angesprochen und in Talkshows als Iran-Expertin befragt, obwohl sie das Land ihrer Kindheit seit Jahrzehnten nicht mehr besuchen konnte. Nun hat sie mit Mitra einen Film gedreht, der in die Zeit ihrer Kindheit zurückblendet. Unter der Regie von Kaweh Modiri spielt sie eine Mutter, deren Tochter 1981 im Iran hingerichtet wurde. 37 Jahre später erhält die Mutter die Möglichkeit, sich an der Verräterin zu rächen, die ihre Tochter ans Messer lieferte. Wir sprachen mit Jasmin Tabatabai anlässlich des Kinostarts des Dramas am 18. November 2021 über Opposition der Exil-Iraner, die Kunst der Maskenbildnerei und ihre neue Platte.

 

Wie haben Sie den Regisseur Kaweh Modiri kennengelernt, der wie Sie aus dem Iran stammt?

Über das Drehbuch. Ich kenne seine deutsche Koproduzentin Roshanak (Roshi) Behesht Nejad sozusagen mein Leben lang. Sie ging mit meiner älteren Schwester in dieselbe Klasse in der deutschen Schule in Teheran. Roshi hat sich im Sommer 2018 bei mir gemeldet und mir das Drehbuch eines holländisch-iranischen Filmemachers angeboten, der darin seine Familiengeschichte behandelt. Ich fand das Buch herausragend toll. Die Geschichte ist unglaublich emotional und politisch wichtig, weil sie eine Zeit im Iran behandelt, die überhaupt nicht verarbeitet ist, aber sehr viele Wunden hinterlassen hat.

Haben Sie gleich zugesagt?

Ich habe Roshi gefragt, warum schickst du das Buch gerade mir? Es geht um eine 35-jährige Frau in den Rückblenden und um eine 75-jährige Frau in der Jetztzeit. Das ist einfach nicht mein Spielalter. Kaweh, der Regisseur, hat mir dann erklärt, er wolle den Film unbedingt mit einer einzigen Schauspielerin für beide Zeitebenen drehen. Denn er möchte, dass sich die Zuschauer mit dieser einen Frau identifizieren. Und es gebe heute fantastische Möglichkeiten, mit plastischer Maske zu arbeiten. Er wollte jemanden in der Mitte der beiden Spielalter besetzen, sodass man die Schauspielerin auf ein wenig jünger und zugleich auf wesentlich älter schminken kann. Das hat für mich total Sinn gemacht.

Im Grunde ist es sehr naheliegend, dass der Regisseur an Sie gedacht hat. Denn in ihrem Leben gibt es gewisse Parallelen zu seinem Schicksal. Sie sind im Iran aufgewachsen und Ihre Familie hat das Land ebenfalls aus politischen Gründen verlassen, so wie die Familie des Regisseurs. War der Film für Sie daher ein Herzensprojekt?

Es gibt viele Unterschiede in den beiden Familiengeschichten. Mitra, Kawehs Schwester im wirklichen Leben, war im bewaffneten Widerstand aktiv. Das war die politisch extreme Linke, die am Anfang den Mullahs richtig Konkurrenz gemacht hat. Er war lange nicht klar, wer die Oberhand nach der Revolution 1979 behält, die zum Sturz des Schahs führte. Während der Revolution haben beide Lager noch zusammen gegen das Schah-Regime gekämpft. Aber danach kam es zu Konflikten zwischen den zuvor verbündeten Lagern. Teile der Linken waren sehr radikal, man kann sie als islamische Marxisten bezeichnen. Die haben unter anderem das Parlament in die Luft gejagt und einen Premierminister umgebracht. Das ging richtig rund. Aber 1981/1982 gewannen die Mullahs die Oberhand und die Opposition wurde zerschlagen. Fast alle kamen ins Gefängnis und wurden hingerichtet, auch die echte Mitra, die damals 18 oder 19 war. Dadurch, dass es Kawehs Familiengeschichte ist, lag auf dem Projekt eine ganz besondere Verantwortung.

Worin sehen Sie den Kern der filmischen Verarbeitung dieser Ereignisse?

Es ist eine „Was wäre, wenn“-Geschichte. Kaweh hat mir erzählt, dass er sich ein Leben lang vorgestellt hat, was geschehen würde, wenn seine Familie die Frau treffen würde, die seine Schwester verraten hat: eine Denunziantin, die damals wie Mitra ein junges Mädchen war, die selbst im Knast gesessen hatte und ihre Haut rettete, indem sie alle verriet. Es ist eine Geschichte über Rache und über alte Dämonen. Meine Figur hat sich im Exil gut eingelebt. Sie ist Professorin und versucht, ihre Vergangenheit komplett zu verdrängen. Aber sie wird davon wieder eingeholt und muss sich dem stellen.

In der niederländischen Originalversion des Films sprechen Sie fast ausschließlich Persisch. War das nicht eine große Herausforderung?

Es ist meine erste Rolle, die ich komplett auf Persisch gespielt habe, mit ein paar Brocken Holländisch. Natürlich betrachte ich mich als deutschsprachige Schauspielerin. Persisch ist zwar die Sprache meiner Kindheit, aber es bedeutet trotzdem einen ganz anderen Aufwand, einen ganzen Film damit zu bestreiten. Im Grunde spreche ich auf dem Niveau einer Zwölfjährigen. Das war das Alter, in dem ich das Land verlassen habe. Aber meiner Schwester hat mich gut gecoacht in der Vorbereitung für den Film.

Sie haben Ihre Kindheit auch in dem Buch „Rosenjahre: Meine Familie zwischen Persien und Deutschland“ verarbeitet. Wie präsent sind diese Erinnerungen heute noch?

Sehr. Der Heimatverlust war eine emotional intensive Zeit. Was mit dem Land passiert ist und wie es den Menschen dort geht, das ist wie eine Wunde, die sich nicht schließt. Das teilen alle Iraner, die in der Diaspora leben. Das ist auch die große Gemeinsamkeit, die wir alle hatten, die an dem Film mitgewirkt haben.

Wäre es für Sie möglich, in den Iran zu fahren und Verwandte zu besuchen?

Ich war mit 19 das letzte Mal dort. Seit langem bin ich in Deutschland eine öffentliche Person, die unverschleiert auftritt. Das allein ist schon ein Problem. Außerdem habe ich spätestens seit dem Film Fremde Haut (2005) immer gesagt, was ich von dem Regime halte. Ich will mich in dem Zusammenhang nicht wichtig nehmen, aber schauen Sie einmal, wie viele Menschen im Iran verhaftet werden nur wegen Instagram-Einträgen oder Facebook-Posts. Das ist eine richtige Diktatur.

Haben Sie Einfluss aufs Drehbuch genommen?

Nein, das ist alles Kawehs Werk. Das ist ein richtiger Autorenfilm, da muss man auch keinen Einfluss nehmen, weil das alles extrem gut geschrieben ist. Aber wir haben uns schon über ein Jahr vor dem Dreh getroffen, uns mit den Szenen auseinandergesetzt und von da an immer wieder geprobt. Das war super, so zu arbeiten. Er ist ein junger Regisseur, der eine überaus freundliche, aber trotzdem sehr genaue Art des Arbeitens hat.

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In „Mitra“ spielt Jasmin Tabatabai eine Frau, die mit der Denunziantin ihrer ermordeten Schwester konfrontiert wird (© Camino Filmverleih)

Ich bin ein wenig über die Gruppe von Exil-Iranern gestolpert, die im Film „Die Organisation“ genannt wird. Der Film stellt es so dar, dass diese Menschen eine große Macht haben und bei Verrätern über Leben und Tod entscheiden können. Ist das realistisch oder Fiktion?

Der Regisseur hat bewusst darauf verzichtet der „Organisation“ einen Namen zu geben. Aber soweit ich es mitbekommen habe, gibt es tatsächlich auch heute noch im Ausland iranische Oppositionelle die strukturiert organisiert sind. Im Film stehen sie für Menschen, die die Vergangenheit nicht loslassen. Die gefangen sind in dem Kampf, den sie vor 40 Jahren geführt haben.

Die Haltung Ihrer Figur unterscheidet sich von der ihres Bruders. Bei Ihrer Figur flammen Rachegelüste auf, aber ihr Filmbruder plädiert dafür, mit der Vergangenheit abzuschließen. Welche Haltung können Sie persönlich eher nachvollziehen?

Die Leute wollen immer wissen, was ich privat machen würde. Aber darum geht es bei der Schauspielerei nicht. Meine Aufgabe ist es, zu überlegen, wie meine Figur handeln würde. Ich persönlich war nie in einer solchen Situation, in der ich Rache verüben wollte. Ich kann das alles nachvollziehen, was Haleh, die Mutter von Mitra, durchmacht. Aber persönlich glaube ich, dass Rache nur noch mehr Unglück über die Welt bringt und dass sie einem keinen Frieden verschafft.

Sie sind nicht nur Schauspielerin, sondern auch Sängerin und Musikerin. Hat es am Set eine Rolle gespielt, dass der iranisch-holländische Singer-Songwriter Mohsen Namjoo, der Ihren Bruder spielt, ebenfalls Sänger und Musiker ist?

Mohsen ist ein fantastischer Musiker. Ich habe ihn um Rat gefragt, weil ich auf meiner dritten Jazzplatte, die damals anstand und inzwischen erschienen ist, ein iranisches Lied haben wollte. Ich bat ihn, mir eines auszusuchen und das hat er getan. So ist „Shekare Ahoo“ entstanden, was auf Deutsch „Jagd auf Rehe“ bedeutet und der ganzen Platte den Titel gegeben hat. Das war seine Idee.

Zur Person
Die Schauspielerin, Musikerin und Synchronsprecherin Jasmin Tabatabai wurde 1967 in Teheran geboren. Sie besuchte dort die deutsche Schule und verbachte ihre Kindheit bis zum 12. Lebensjahr in der iranischen Hauptstadt. Während der Islamischen Revolution 1979 verließ die Familie das Land und kam nach Deutschland. Nach einem Schauspielstudium an der Hochschule für Musik und Kunst in Stuttgart wurde Jasmin Tabatabai für den Film entdeckt. Sie spielte 1992 die Hauptrolle in dem Schweizer Kinospielfilm Kinder der Landstraße. Ihren Durchbruch hatte sie 1997 in Katja von Garniers Musikfilm Bandits, für dessen Soundtrack sie mehrere Songs schrieb. 2007 synchronisierte sie die Ich-Erzählerin Marjane Satrapi in deren autobiografischem Animationsfilm Persepolis.



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