Meine Wunderkammern
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Meine Wunderkammern

Inhalt / Kritik

Meine Wunderkammern
„Meine Wunderkammern“ // Deutschland-Start: 4. November 2021 (Kino)

Sprache ist grausam. Sie steckt Menschen in Schubladen. Wollte man etwas über die vier Kinder sagen, um die es hier gehen soll, dann käme man wohl nicht umhin, irgendwann Begriffe wie Lese- Rechtschreibschwäche oder Migration in den Mund zu nehmen. Filmbilder haben ganz andere Möglichkeiten. Sie können Joline (12), Roya (12), Wisdom (11) und Elias (14) in ihrer je eigenen Welt zeigen, mit all ihren Träumen und Ängsten, Hoffnungen und Fantasien. Dokumentarfilmerin Susanne Kim geht sogar noch einen Schritt darüber hinaus. Sie betritt mit den Kindern eine Wunschwelt, in der Träume wahr werden, eine Welt, in der Löwen durchs Zimmer laufen, Mädchen zu Meerjungfrauen werden und ein Junge auf seinem eigenen Planeten lebt. Anders formuliert, sie folgt den Kindern in deren „Wunderkammern“. Dort dürfen sie sein, wie sie sind, auf Augenhöhe mit anderen, unbehelligt von Schule, Rassismus und Leistungsdruck.

Von Kindern für Kinder

Man muss es vorweg sagen: Meine Wunderkammern ist kein Film über Kinder, sondern von Kindern für Kinder. Die vier Jungen und Mädchen werden von der Kamera (Emma Rosa Simon) nicht einfach nur begleitet, sondern haben selber Ideen eingebracht. Sie bestimmten mit, wo und in welchen Kostümen gedreht wurde, worum es geht und wer alles dabei sein soll. Das ist dann zwar keine reine Dokumentation mehr, sondern eine Art Mix aus Spielhandlung, tatsächlichem Alltag sowie fantastischem Film mit Animation und virtuellen Objekten. Aber erst dadurch kommt die Kamera der eigentlichen Lebenswelt nahe, die eben nicht nur aus Fakten besteht, sondern auch aus Fiktionen, Wünschen und Träumen.

Das kann dann zum Beispiel so aussehen: Elias bastelt sich eine Sprachbox, die mehr kann als „Siri“ oder „Alexa“. Sie heißt „Rose“, hat Augen, Mund und eine eigene Meinung. Deshalb kann sich Elias, der oft einsam ist, wunderbar mit ihr unterhalten. Dank Tricktechnik darf „Rose“ den Jungen wie selbstverständlich in seinem Alltag begleiten. Aber als reines Phantasma fungiert sie deshalb nicht. Sie entsprang dem „Herumspinnen“ zwischen Regisseurin und dem Kind, wie man denn die bestehenden Computerstimmen lustig und kindgerecht weiterentwickeln könnte.

In der Arbeit mit den Kindern entwarf die Regisseurin auch so etwas wie den Ansatz einer Geschichte. Sie geht so: Immer mehr Kinder verschwinden in ihre eigene Welt. Sie lösen sich einfach in Luft auf. Wissenschaftler sind ratlos, selbst die Bundeskanzlerin steht vor einem Rätsel. Deshalb macht sich die zehnjährige Doro auf den Weg, die Verschwundenen zu finden. Sie trifft auf Wisdom, dessen Eltern vor elf Jahren aus Kamerun hierher kamen und der sich mit einem Floß auf den Weg dorthin zurück macht. Doro schaut auch bei Joline vorbei, die jünger aussieht, als sie ist – und sich eine Welt wünscht, die sie vor dem Wachsen bewahrt. Auch Roya möchte sich manchmal gern in Luft auflösen und wie Elias in einer eigenen Welt leben. In ihrem Fall ist es das Wasser, über das sie mit ihren Eltern aus dem Iran herkam, und das seinen Schrecken verliert, wenn Roya als Meerjungfrau durch die Wellen gleitet.

Unterhaltsamer Spannungsbogen

In den Bildern und Songs, die den Kindern und dem Film dazu einfallen, geschieht etwas Wunderbares. Ohne in Science Fiction oder Abenteuerromantik abzugleiten, bringen sie die kindliche Fantasie an die Macht. So entsteht in Baumhäusern und Zelten jenseits von Schule und Elternhäusern ein demokratisches Reich. Denn in der Kreativität ihrer Vorstellungskraft sind alle Kinder gleich. „Problemfälle“ kann es hier nicht geben, weil jede und jeder sich in seiner ebenso unverwechselbaren wie unvergleichbaren Welt bewegt, egal ob er nun aus behüteten Verhältnissen stammt oder nicht. Da ist es nur folgerichtig, dass sich nicht nur unsere Protagonistinnen und Protagonisten dorthin aufmachen, sondern mit ihnen viele andere Kinder, die zuvor noch nicht oder nur am Rande zu sehen waren.

Das mag ausgedacht klingen, aber im unterhaltsamen Spannungsbogen und der abwechslungsreichen Montage des Films erschließt es sich wie von selbst. Jedes Kind zwischen acht und zwölf wird Gefallen daran finden, sich aus der vorgefundenen Welt der Erwachsenen einfach hinaus zu beamen. Das Bedürfnis danach wird in den „Wunderkammern“ jedoch nicht nur durch das Abtauchen in den dunklen Kinosaal gestillt. Das Projekt besteht genau genommen aus zwei Teilen, einem Dokumentarfilm und einer ergänzenden Virtual Reality-Erfahrung mit VR-Brille. Wer nach dem Abspann also selber kreativ werden möchte, kann mit Hilfe der Brille in die Welt von Wisdom, Joline, Elias und Roya eintreten und sie individuell weiterspinnen.

Credits

OT: „Meine Wunderkammern“
Land: Deutschland
Jahr: 2020
Regie: Susanne Kim
Drehbuch: Susanne Kim
Musik: Cornelia F. Müller, Sylvia Gössel, Lukas Scheigenpflug
Kamera: Emma Rosa Simon

Bilder

Trailer

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„Meine Wunderkammern“ erweitert das seltene Genre „Dokumentation für Kinder“ um eine kreative Note. Die vier jungen Protagonistinnen und Protagonisten lassen mit Unterstützung des Filmteams ihre Fantasien Realität werden – und bestärken damit das junge Publikum in seinem Recht auf seine je eigene Art, zu denken, zu fühlen und zu träumen.
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