Toubab
Beste Freunde und mehr: Babtou (Farba Dieng) und Dennis (Julius Nitschkoff) in der Tragikomödie "Toubab" (© Camino Filmverleih)

Julius Nitschkoff [Interview 2021]

Toubab erzählt die Geschichte einer großen Freundschaft, die sich als Liebe tarnt: Als sein bester Freund Babtou (Farba Dieng) abgeschoben werden soll, geht Dennis (Julius Nitschkoff) mit ihm eine Scheinehe ein und verhilft ihm auf diese Weise zu einem Bleiberecht. Das bedeutet für beide eine ziemliche Umstellung, öffnet für sie aber auch einen neuen Blick auf das Leben und die Menschen. Zum Kinostart der preisgekrönten Tragikomödie am 23. September 2021 unterhalten wir uns mit Julius über die Arbeit am Film, langjährige Freundschaften und den Umgang mit Homophobie.

 

Warum hast du Toubab gedreht? Was hat dich an dem Film gereizt?

Ich habe vor dreieinhalb, fast vier Jahren eine Casting-Einladung bekommen mit dem Drehbuch. Als Schauspieler kommt es nicht so vor, dass du ein Drehbuch erhältst, das der absolute Wahnsinn ist. Das ist vielleicht bei einem von 150 oder 200 Drehbüchern der Fall. Und hier war es das. Das Buch hat sich so gut gelesen und ich habe sofort das Potenzial gespürt. Ich hab mir beim Lesen schon gewünscht, diese Rolle zu bekommen. Dann folgte aber ein riesiger Casting-Marathon in den unterschiedlichsten Konstellationen. Für eine kurze Zeit sah es dann auch so aus, als wäre ich draußen. Dann kam aber doch der Anruf, dass man mich wollte. Und ich war super hyped und megafroh. Allgemein waren wir alle mit Begeisterung und Elan dabei und haben richtig viel Herzblut reingesteckt. Toubab ist eines dieser Projekte, bei denen niemand fürs Geld dabei war, sondern weil wir alle daran geglaubt haben und unbedingt dabei sein wollten.

Was hat dich denn an dem Drehbuch so begeistert?

Zunächst einmal hatte es einen unfassbar angenehmen Lesestil. Dann ist es aus einem Genre, das meiner Meinung nach die Königsklasse ist: Drama und Comedy. Es gibt nichts Schwereres als die Mischung aus beidem. Die Art der Situationskomik, die darin eingefangen ist, die ist so real und so nah dran, dass sich jeder damit identifizieren kann. Allein dieser Bruch von diesen Ghetto Boys, die rumlaufen und alle ein bisschen anti gegen diese ganze Queer-Geschichte sind und damit so gar nichts anfangen können. Die werden einfach ins kalte Wasser geworfen und müssen Stück für Stück ihre Perspektive ändern. Das fand ich spannend und sehr komisch, ohne komisch sein zu wollen. Ich bin eigentlich kein so großer Freund von deutschen Filmen, weil die oft so dramatisch und in die Fresse sind und immer mit dem Finger in die Wunde wollen. Du kommst dann aus diesen Filmen und denkst: Ja, das war jetzt wichtig. Richtig abgeholt hat er mich aber nicht. Diese Filme zwingen das Publikum oft in eine defensive Haltung, wo es sich fast schon persönlich angegriffen fühlt. Und da weiß ich dann nicht, ob ein solcher Film gesellschaftlich etwas bewegen und die Leute zum Nachdenken bewegen kann. Und bei Toubab wusste ich sofort, dass er die Leute mitnimmt. Er bringt dich zum Lachen, er bringt dich zum Weinen, er bringt dich zum Nachdenken. Und diese Achterbahnfahrt, dafür ist Kino gemacht.

Dann kommen wir mal zu den diversen Themen des Films. Das erste ist das der Scheinehe. Glaubst du, dass Leute das wirklich machen?

Absolut. Ich kenne sogar drei, die das gemacht haben. Wahrscheinlich hängt das immer ein bisschen von den Kreisen ab, in denen man sich bewegt. Du musst natürlich auch Kontakt zu Leuten haben, wo das überhaupt ein Thema sein kann. In der Hinsicht ist Deutschland dann schon krass geteilt. Wir kriegen das zwar alles mit von wegen Flüchtlingsbewegung. Aber wenige haben tatsächlich Kontakt damit. Ich habe aber ein paar Leute, die im sozialen Bereich arbeiten, wo sehr enge Freundschaften oder auch Beziehungen entstanden sind und wo am Ende klar war: Wir lassen dich nicht mehr gehen. Wir müssen das jetzt tun, um dein Leben zu retten. Weil da oft eben ein Menschenleben dranhängt, das darf man nicht vergessen. Bei Babtou im Film ist die Situation ja noch relativ harmlos. Der wird zurückgeschickt und fühlt sich da nicht wohl, ist einsam, weil er nicht dazu gehört. Aber es gibt Leute, bei denen geht es um wesentlich mehr als nur Einsamkeit. Da habe ich auch schon ein paar Sachen erlebt. Ich muss da auch ehrlich sagen: Wäre ich in einer solchen Lage, die mir so nahe geht, wäre ich in der Versuchung, es selbst zu tun. Das ist für mich eine Form der Solidarität, welche es heute in der Gesellschaft braucht – gerade auch, wenn du eine Politik hast, in der solche Sachen nicht geregelt werden.

Toubab
Noch feiern die Freunde gemeinsam. Doch dann folgt das böse Erwachen, als einer von ihnen abgeschoben werden soll. (© Camino Filmverleih)

Toubab erzählt auch die Geschichte einer großen Freundschaft. Was zeichnet für dich eine solche große Freundschaft aus?

Vertrauen und auch Fehler machen zu dürfen. Kein Mensch ist unfehlbar. Wir machen alle Fehler. Wir haben alle Fehler gemacht, bei Freunden, bei der Familie. Worauf es dann ankommt, ist dass man am Ende bedingungslos für andere einsteht und zusammen Probleme löst und einander hilft, selbst wenn man dafür manchmal aus der eigenen Komfortzone raus muss. Das kann schon eine ziemliche Herausforderung sein, zahlt sich im Nachhinein aber meistens aus. Denn je mehr du zusammen durchmachst, umso enger ist die Verbindung. Wichtig ist, dass man ehrlich ist und weiß, was man aneinander hat.

Bist du selbst jemand, der langjährige Freundschaften pflegt?

Doch schon, ja. Wobei ich natürlich durch meinen Beruf ständig unterwegs bin und es deshalb nicht einfach ist sich zu sehen. Dadurch hat sich das mit der Zeit schon etwas ausgedünnt. Aber das gehört irgendwo auch zum Erwachsenwerden dazu. Wenn ich die Leute sehe, dann ist das wie früher, so als wäre die Zeit stehen geblieben. Aber man merkt schon, dass man seit einer Weile keine Erinnerungen mehr miteinander teilt. Das ist natürlich schade. Aber die Basis ist immer noch da. Man vertraut sich und weiß, was für eine Zeit man miteinander hatte. Das kann einem keiner mehr nehmen. Inzwischen bemühe ich mich auch mehr darum und schaffe es immer öfter, bei den Leuten auch einfach mal anzurufen, wenn ich an sie gedacht habe, und sie zu fragen, wie es ihnen geht.

Wie wichtig das ist, ist mir während Corona auch noch mal bewusst geworden. Ich war in der Zeit zwei Monate in Prag, für gerade einmal neun Drehtage. Das war schon eine ziemlich heftige soziale Isolation, bei der du dich fragst: Wofür verschwende ich hier gerade meine Lebenszeit? Wobei ich natürlich aber auch dankbar war, überhaupt Arbeit zu haben. Es gab Kollegen, die wirklich nichts zu tun hatten und nicht wussten, wie es weiter geht mit Miete und allem. Insofern war ich schon privilegiert. Aber ich war eben auch einsam, so wie alle. Und das hat mir vor Augen geführt, wie wichtig das ist, mit den Leuten in Kontakt zu bleiben und dass du dir dafür Freiräume schaffen musst. Arbeit ist dann eben doch nicht alles.

Ein großes Thema in Toubab ist auch das der Homophobie. Du hast ja schon gemeint, dass Babtou und Dennis aus einem Umfeld kommen, wo das verbreitet ist. Warum ist Homophobie im Jahr 2021 überhaupt noch ein Thema?

Das ist eine gute Frage. So ganz verstehen kann ich das nicht. Wobei ich manchmal das Gefühl habe, dass das auch eine Schuld der Politik ist. Wenn du dir die letzten fünf Jahre anschaust: Wir hatten noch nie so viele politisch relevante Themen, die von der Bevölkerung aufgenommen wurden und wo Leute auf die Straße gingen. Ob das jetzt Black Lives Matter war, MeToo, Fridays for Future oder LGBTQ, da findet ein unfassbar großer Wandel in der Gesellschaft statt. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass die Leute jetzt über das World Wide Web und Instagram so vernetzt sind, dass jetzt endlich mal Minderheiten aus der Reserve kommen und ihre Meinung sagen dürfen. Und sie finden jetzt auch Gehör, damit wir mal wegkommen von dem alte weiße Männer Ding, die von oben herab Politik machen und anderen sagen wollen, wie die Welt ist und wie sie zu sein hat. Dabei ist die Gesellschaft oft schon weiter. Die Gesellschaft war schon lange bereit für die Homoehe. Aber da saßen dann eben ein paar Nadelstreifenanzugträger, die der Meinung sind: Das ist jetzt aber ein kompliziertes Thema. Nein, ist es nicht! Wenn die Leute das wollen, dann gebt ihnen das. Wo ist das Problem? Aber es ist dann doch oft so, dass die großen Veränderungen vom Volk ausgehen. Ich denke, wir wären schon deutlich weiter, wenn wir eine liberalere Politik im Hinblick auf Selbstbestimmung hätten.

Was können Filme zu diesen Veränderungen beitragen?

Was Filme im Idealfall können, und ich glaube Toubab kann das, ist Leute an die Hand zu nehmen und sie dazu zu bringen, sich mit einer Thematik auseinanderzusetzen. Sie müssen sich nicht zwangsläufig mit all dem identifizieren können, was der Film zeigt. Er sollte ihnen aber zumindest eine neue Perspektive aufzeigen, bei uns etwa zu den Themen Homosexualität und sexuelle Selbstbestimmung. Das kann auch in die falsche Richtung gehen, wenn er das Publikum verschreckt und in diese Abwehrhaltung drängt, die ich vorhin gemeint habe. Gerade der deutsche Film neigt da schon manchmal zu Schwarzweiß-Zeichnungen. Dabei ist die Welt viel bunter und komplexer. Und Filme können einem diese bunte Welt aufzeigen.

Letztes Jahr gab es auch diese große Aktion, bei der sich ein paar Dutzend Schauspieler und Schauspielerinnen geoutet haben. Wie fandest du das?

Ich fand es mutig. Und ich fand es richtig, weil das wieder ein Schritt zur Normalität ist. Du wirst selbst als Person des öffentlichen Lebens oft darauf reduziert, wen oder was du liebst. Und eigentlich kann es nicht darum gehen. Du solltest dich nicht dafür verteidigen oder schämen müssen, wen du liebst. Bei der Schauspielerei kommt noch hinzu, dass dein Image wichtig ist für die Rollenangebote. Mir haben Kollegen auch gesagt, dass sie Angst haben sich zu outen, weil sie dadurch ihre Love-Interest-Qualitäten verlieren könnten. Dass sie niemand mehr für Liebesfilme engagiert, wenn bekannt ist, dass sie schwul sind. Dabei liegt die Kunst der Schauspielerei doch darin, jemand anderes verkörpern zu können. Und da finde ich es schwierig zu sagen: Schwule dürfen nur Schwule spielen, Transsexuelle nur noch Transsexuelle. Für mich sollte derjenige oder diejenige die Rolle bekommen, der sie in dem Moment am besten ausfüllen kann. Da ist es völlig egal, was du in deiner Freizeit machst oder wen du liebst. Genauso kann ich auch People of Color gut verstehen, die sagen: Sie wollen einfach nur mal jemanden spielen, bei dem die Hautfarbe egal ist.

Um zu deiner Frage nach dem Film zurückzukommen: Es ist da auch schon die Aufgabe von Filmen, Dinge zu normalisieren und die Menschen dafür zu sensibilisieren. Klar wird es am Anfang auch Leute geben, die sich darüber aufregen. Die gibt es immer. Manche Themen werden auch so überspitzt, dass ich verstehen kann, wenn Leute davon genervt sind. Das kenn ich selbst von mir. Wir sind da eben in so einer Übergangsphase. Aber ich erinnere mich immer daran, wie wichtig das ist, da dran zu bleiben, damit es irgendwann einfach normal ist und sich niemand mehr Gedanken machen muss. Um bei diesem Beispiel mit der Outing-Aktion zu bleiben: Das hat natürlich Wellen geschlagen. Aber beim nächsten Mal, wenn sich jemand aus dem Filmbereich outet, ist es dann vielleicht kein Thema mehr und nichts Neues mehr. Und da müssen wir hin.

Das letzte größere Thema in Toubab ist das der Heimat, wenn Babtou abgeschoben werden soll, obwohl für ihn Deutschland die Heimat ist und er gar nichts anderes kennt. Wie würdest du Heimat definieren? Was macht für dich Heimat aus?

Für mich ist Heimat etwas, zu dem ich zurückkomme und mich wohlfühle. Dabei ist Heimat ein Begriff, der sehr flexibel ist. Man kann seine Heimat auch ändern im Laufe seines Lebens. Aber es hat immer etwas mit Emotionen zu tun und mit Verbindungen in die Vergangenheit, Verbindungen mit Familie und Freunden. Und er hat mit Halt zu tun. Heimat ist ein Ort, zu dem du gehen kannst, egal wie schlecht es dir geht, und hast sofort dieses Gefühl von Vertrautheit. Denn diese Vertrautheit fängt uns auf. Wir brauchen das. So sind wir gestrickt.

Letzte Frage: Was sind deine nächsten Projekte? Worauf können wir uns freuen?

Ich mache gerade die Serie Gestern waren wir noch Kinder. Meine erste große Polizeirolle: Ich darf jetzt endlich Beamte spielen! Das ist schon ein kleiner Ritterschlag, dass ich jetzt auch mal erwachsene Rollen bekomme. Ansonsten habe ich letztes Jahr die dritte Staffel von Das Boot gedreht. Da machen wir gerade noch den Feinschliff mit der Nachsynchro. Und dann gibt es noch Almost Fly, eine Serie für TNT. Da habe ich auch eine geile Rolle: Ich trage so eine Langhaarperücke und darf ein bisschen 80er Jahre Metal Boy spielen. Ein Traum!

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person
Julius Nitschkoff wurde am 14. April 1995 in Berlin geboren. Er interessierte sich bereits als Jugendlicher für die Schauspielerei und stand mit dreizehn das erste Mal vor der Kamera. In Folge spielte er vor allem in Fernsehproduktionen mit. Zu seinen bisherigen Kinofilmen zählen unter anderem Als wir träumten (2015) über eine Leipziger Jungenclique in der frühen Nachwendezeit sowie Die Geschwister (2016) um eine ungewöhnliche Dreiecksbeziehung. Für seine Darstellung in Toubab (2020) erhielt er mit Farba Dieng den Bayerischen Filmpreis als bester Nachwuchsdarsteller. Beide waren zudem für den First Steps Award nominiert.



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