Bebia, à mon seul désir

Bebia, à mon seul désir

Inhalt / Kritik

Bebia, à mon seul désir
„Bebia, à mon seul désir“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Eigentlich hatte sich Ariadna (Anastasia Davidson) ein Leben jenseits ihrer georgischen Heimat aufgebaut, auf den Laufstegen in Paris und anderen Städten, doch eine Tragödie bringt sie dorthin zurück. Anlässlich der Beerdigung ihrer Großmutter reist sie zurück in jenes Dorf, in dem sie ihre Kindheit verbrachte, und damit auch zurück zu ihrer Mutter, mit der sie ein eher angespanntes Verhältnis hat, geprägt von ihrer Launenhaftigkeit und Lieblosigkeit gegenüber ihrer Tochter. Auch die Beziehung zu ihrer Großmutter war alles andere als harmonisch, weshalb Ariadna überrascht ist, als man ihr sagt, sie würde das Familienhaus erben und nicht ihre Mutter. Eine andere, eher unangenehme Überraschung stellt eine Tradition des Dorfes dar, nach welcher Ariadna, als jüngstes Mitglied der Familie, dafür Sorge zu tragen hat, dass die Seele der im Krankenhaus verstorbenen Großmutter sich wieder mit deren Körper im Familienhaus vereinige. Zu diesem Zwecke soll die junge Frau einen Faden spannen vom Krankenbett aus bis hin zur letzten Ruhestätte ihrer Großmutter, immerhin eine Strecke von 25 km durch die georgische Landschaft, welche, ebenfalls nach der Tradition, auf jeden Fall zu Fuß zurückgelegt werden muss.

Nur widerwillig macht sich Ariadna auf den Weg, begleitet von Temo (Alexander Glurjidze), einem Freund der Familie. Das Terrain ist hügelig und teils sehr schwierig zu meistern, weshalb die beiden immer wieder Rast einlegen müssen. Hinzu kommt das launische Wetter, wobei ein Sturm sie zwingt, Unterschlupf bei einer Bauernfamilie zu suchen. Die beschwerliche Reise zurück in ihr Dorf wird für Ariadna eine Wiederbegegnung mit ihrem jüngeren Ich, den Erinnerungen an ihre Kindheit und damit eben jenen Momenten, die einen Keil zwischen sie, ihre Mutter und Bebia, ihre Großmutter, getrieben haben.

Die Begegnung mit dem vergangenen Ich

Für ihr Spielfilmdebüt als Regisseurin griff Juja Dobrachkous nicht nur auf essenzielle Fragen des Lebens zurück, sondern zudem auf eine georgische Tradition, welche bis heute praktiziert wird und nach der, wie in Bebia, das jüngste Mitglied einer Familie eine Verbindung mittels eines Fadens zwischen dem Totenbett eines Verstorbenen und dessen/derer letzte Ruhestätte herstellen muss, sofern der Tod außerhalb des Familienhauses stattfand. Dieses starke Bild, der Verbindung zu einer anderen Person, zu der eigenen Vergangenheit, bildet erzählerisch wie auch ästhetisch das Zentrum ihres ersten Films, der unter anderem auf dem diesjährigen goEast Festival zu sehen ist.

Nicht nur auf die Inspiration für ihren Film, sondern auch auf die Wichtigkeit jener Themen wie Erinnerung und Identität geht Dobrachkous in ihrem Regiestatement ein. In ihrer, wie in jeder anderen Lebensgeschichte, bildet die Begegnung mit einem jüngeren Ich und den damit verbundenen Erinnerungen einen Moment, der mit vielen Schmerzen verbunden sein kann, besonders, wenn man alles dafür getan hat, sich von jenem Teil der eigenen Biografie zu entfernen. Das Narrativ von Bebia, insbesondere die Montage, scheint jenen Verlauf der Erinnerung der Protagonistin zu imitieren, konfrontiert den Zuschauern mit Momenten, welche man zunächst nicht einzuordnen weiß und deren Wichtigkeit sich erst mit der Zeit erschließen, wie auch vielleicht Ariadna selbst. Ähnlich der Begegnung mit der alten Heimat, ihrer Bewohner und Traditionen verläuft diese Begegnung nicht unproblematisch und ist geprägt von einem emotionalen Schmerz, dessen Ausmaß sich ebenfalls erst mit der Zeit zeigen wird.

Jedoch gilt dies nicht nur für die von Anastasia Davidson gespielte Araidna, sondern in gleichem Maße für die anderen Charaktere, besonders ihre Mutter. In Verbindung mit jenen Zeitsprüngen zeigt sich die Konfrontation mit dem Ich von damals, wie die Beziehung zu anderen einmal war und was eventuell der Grundstein für jene Anspannung ist, die in der Gegenwart zwischen Mutter und Tochter herrscht. Dabei geht Dobrachkous nicht detektivisch vor, sucht nicht nach Eindeutigkeiten, sondern definiert eben jenes Labyrinth der Erinnerung, welches ihre Protagonistin beschreitet auf der Suche nach Antworten und einer Verbindung zu jenem Ich der Vergangenheit.

Eine besondere Verbindung

Vielleicht ergab sich aus eben jenen Themen die Ästhetik des Filmes. In stilisierten Schwarz-Weiß-Aufnahmen zeigt sich dem Zuschauer die georgische Landschaft, zum einen in ihrer prachtvollen Natur, dann aber auch in ihrer Unwegbarkeit, wenn sich beispielsweise Ariadna und Temo einen Weg durch Wälder bahnen, wobei ihnen das Wetter zusätzlich das Leben schwer macht. Dobrachkous Inszenierung in Kombination mit Veronica Solovyevas Bildern betonen jene Schwierigkeit der Protagonistin, oder vielleicht gar ihren Unwillen, sich mit den Erinnerungen, dieser Landschaft eines anderen, vergangenen Lebens, auseinanderzusetzen. Die Schwierigkeit der Verbindung scheint von beiden Seiten zu bestehen, wobei jener Faden, den Ariadne dem Brauch nach spannen muss, eine eher trügerische, sehr fragile Orientierung in diesem Labyrinth bietet.

Neben der überzeugenden Bildsprache des Films ist Anastasia Davidson in der Hauptrolle eine wahre Entdeckung. Sehr sensibel zeigt sie Ariadna als eine junge Frau, die sich von einer Vergangenheit zu distanzieren sucht, welche sie scheinbar, wie eben jener Faden, nicht loslässt und die ein Teil von ihr geworden ist. Die Tradition und der Zwang zur Erinnerung bilden einer Form der Kontrolle über ihr Leben, welches sie eigentlich selbst bestimmen oder neu definieren wollte.

Credits

OT: „Bebia, à mon seul désir“
Land: UK, Georgien
Jahr: 2020
Regie: Juja Dobrachkous
Drehbuch: Juja Dobrachkous
Kamera: Veronica Solovyeva
Besetzung: Anastasia Davidson, Anushka Andronikashvili, Guliko Gurgenidze, Alexander Glurjidze, Anastasia Chanturaia, Ana Chiradze

Trailer

Filmfeste

International Film Festival Rotterdam 2021
goEast Filmfestival 2021

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„Bebia, à mon seul désir“ ist ein formal wie auch erzählerisch überzeugendes Drama. Die schöne Schwarz-Weiß-Fotografie, die brillante Montage und eine überzeugende Hauptdarstellerin machen Juja Dobrachkous‘ ersten Film zu einem Geheimtipp für Cineasten und jene, die wert legen auf eine anspruchsvolle Bildsprache.
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von 10