Der Schneegänger
Max Riemelt als Kriminalhauptkommissar Lutz Gehring in "Der Schneegänger" (© ZDF/Gordon Muehle/Britta Krehl)

Max Riemelt [Interview 2021]

Als in  Der Schneegänger (Sendetermin: ZDF, 22. Februar 2021 um 20.15 Uhr) in einem Wald die Leiche eines Jungen gefunden wird, bewahrheiten sich die schlimmsten Befürchtungen. Der Sohn kroatischer Einwanderer hatte mit seiner Mutter in der nahegelegenen Villa einer reichen Familie gelebt, war vor zwei Jahren jedoch spurlos verschwunden. Max Riemelt spielt in dem TV-Krimi Kriminalhauptkommissar Lutz Gehring, der zusammen mit seiner jungen, ebenfalls aus Kroatien stammenden Kollegin Sanela Beara (Nadja Bobyleva) im Mordfall ermittelt. Wir haben uns mit dem Schauspieler über seine Rollen, die Beliebtheit deutscher Krimis und die Auswirkungen unserer Vergangenheit unterhalten.

In dem Krimi Der Schneegänger spielen Sie den Polizisten Lutz Gehring, der den Mord an einem Jungen aufklären will. Was hat Sie an dem Film gereizt?

Ich mochte den Hintergrund der Kriegsgeflüchteten und wie die Nachwirkungen des Kosovo-Krieges aus mehreren Perspektiven erzählt werden. Wenn du so ein Drehbuch liest, weißt du natürlich noch nicht genau, wie das umgesetzt wird und was davon am Ende übrig bleibt. Aber ich finde es doch recht gelungen, was daraus gemacht wurde.

Wie würden Sie Ihre Figur beschreiben?

Er ist ein sehr in sich gekehrter Einzelgänger, der sich gerade von seiner Frau getrennt hat. Er lässt niemanden wirklich an sich heran, das Publikum vermutlich einbezogen. Gleichzeitig ist er sehr zielstrebig und weiß, was er will.

Und wie sehr können Sie sich mit ihm identifizieren?

Manchmal bin ich auch schon so drauf, dass ich mein Ding durchziehen muss. Im Gegensatz zu ihm habe ich bei der Arbeit aber meistens schon ziemlich viel Spaß mit den Leuten. Ich mag es recht gerne, mich mit anderen zu unterhalten und auszutauschen.

Der Film ist ja eine Adaption des gleichnamigen Romans von Elisabeth Herrmann. Kannten Sie den?

Tatsächlich nicht, nein. Und ich habe ich auch immer noch nicht gelesen.

Es gab außerdem vor ein paar Jahren schon einmal einen Film namens Das Dorf der Mörder mit den beiden Figuren. Also quasi der Vorgänger von Der Schneegänger, nur mit anderer Besetzung. Hilft es als Schauspieler, wenn ein Film literarische oder filmische Vorlagen hat?

Ich kann da natürlich nicht für andere reden, sondern nur für mich. Mir persönlich ist es lieber, wenn ich mir etwas eigenes bauen kann. Klar kann es auch inspirierend sein, wenn es Vorlagen gibt. Aber das Interessante an der Schauspielerei ist für mich, dass jeder irgendwie anders ist und seine eigenen Ausdrucksformen hat. Hinzu kommt, dass die Regie natürlich ebenfalls einen großen Einfluss hat und mitbestimmt, in welche Richtung die Figur gehen soll. Er zeichnet die emotionale Welt, die wir dann gemeinsam ausfüllen.

Was ist für Sie das Tolle an der Schauspielerei?

Ich finde es toll, in Welten einzutauchen, neue Menschen kennenzulernen, viel zu reisen. Zwei Monate lang etwas zu erschaffen und danach etwas ganz anderes machen, das ist schon sehr schön und abwechslungsreich.

Elisabeth Herrmann hat nicht nur den Roman geschrieben, sondern auch das Drehbuch. Wie sieht es beim Drehen selbst aus? War sie da involviert?

Nein. Das war dann nur noch die Arbeit des Regisseurs. Ich habe sie nur einmal bei einer Veranstaltung kennengelernt und beim Warmup.

Sanela, die Kollegin Ihrer Figur, hält sich bei der Polizeiarbeit nicht unbedingt an die Regeln, während Ihre Figur das alles möglichst korrekt machen möchte. Darf man als Polizist oder Polizistin auch mal die Regeln brechen, wenn es um die gute Sache geht?

Ich glaube, in ihrem Fall soll das einfach die Naivität der Figur widerspiegeln. Sie will als Anfängerin alles richtig machen, verzweifelt aber daran, wie komplex die Polizeiarbeit sein kann. Dadurch kommt es dann zu diesen Grenzüberschreitungen. Das ist bis zu einem gewissen Grad bestimmt einfach menschlich. So etwas wie ihr Undercover-Einsatz ist dabei aber sicherlich übertrieben. Das wäre einfach zu gefährlich. Aber es ist nun mal ein Film. Da darf man schon mal etwas übertreiben.

Krimis erfreuen sich bei uns nach wie vor einer großen Beliebtheit. Jede Woche laufen im Fernsehen mehrere Filme aus dem Genre. Warum sind Krimis bei uns so populär?

Das erklärt sich ein bisschen von selbst. Wir werden alle damit sozialisiert. Und eben weil wir damit aufwachsen, vermittelt das eine Art von Geborgenheit. Ein Tatort wird jetzt sicherlich nicht geschaut, weil wir uns davon etwas ganze Neues versprechen, sondern weil das eine Form von Gewohnheit ist. Die Leute können dabei abschalten und sich einfach unterhalten lassen. Zwischendurch wird es ein bisschen spannend und am Ende geht alles gut aus. Das ist zwar nicht mein persönlicher Anspruch, ist aber absolut legitim.

Was ist denn Ihr Anspruch?

Den einen Anspruch gibt es nicht. Ich lass mich schon auch gern einfach mal unterhalten, wenn mir etwas gefällt. Ich mag gern Charaktere, die irgendwie kompliziert sind und neu sind. Ein Film sollte immer Innovation sein und etwas Neues bieten, sei es nun inhaltlich oder technisch. Klar, manche Filme macht man einfach, um damit Geld zu verdienen, was auch absolut okay ist. Ich finde es persönlich aber schön, wenn Filme das Medium ein bisschen ausreizen und etwas experimentieren. Das Leben ist einfach zu kurz, um immer wieder dieselben Geschichten zu erzählen.

Was schauen Sie sich denn an?

Ganz unterschiedliche Sachen. Zuletzt waren es vor allem Dokus. Wenn ich mich auf ein Projekt vorbereite, schaue ich mir auch relativ viel in diese Richtung an. Gerade habe ich mir Small Axe ausgeliehen, das ziemlich gut sein soll. Außerdem habe ich American Utopia gesehen, ein Konzertfilm von Spike Lee mit David Byrne, dem Sänger der Talking Heads. Der war richtig gut. Ich hab da so eine kleine Videothek, die sich Filmgalerie nennt und bei der du noch beraten wirst. Die haben die ganz alten Sachen, aber auch Titel, die du woanders gar nicht bekommst.

Der Schneegänger
In der Romanverfilmung „Der Schneegänger“ (© ZDF/Gordon Muehle/Britta Krehl) wird in einem Wald die Leiche eines Jungen gefunden. Doch wer steckt dahinter?

Kommen wir noch einmal auf Der Schneegänger zurück. In dem Film gibt es ganz viele Leute, die noch ihre Vergangenheit mit sich herumtragen. Da ist Sanela, da sind die Eltern des Jungen. Sie alle werden von der Vergangenheit und den damit verbundenen Traumata bestimmt. Ist es überhaupt möglich, das hinter sich zu lassen?

Ich habe ein paar Freunde, die ähnliches erlebt haben und die als Kinder oder Teenager von Bosnien nach Deutschland gekommen sind. Ich kann da natürlich nicht für sie sprechen, aber ich denke schon, dass da immer etwas hängenbleibt. Der Mensch kann aus solchen Krisen aber auch gestärkt hervorgehen. Meine Freunde sind ziemlich ehrgeizige Menschen, die gut im Sport sind und sehr konsequent sind, wenn sie etwas machen. Für sie sind die Möglichkeiten, die wir hier haben, nicht selbstverständlich. Dadurch sind sie motivierter. Aber es gibt auch Leute, die schlechter damit klarkommen. Das kann man also weder in die eine, noch die andere Richtung pauschal sagen.

Wie sehr sind wir allgemein von unserer Vergangenheit bestimmt, auch unabhängig von Traumata?

Ich glaube, wir sind nur das, woran wir uns erinnern können. Wenn ich nicht weiß, woher ich komme, kann ich nicht einschätzen, was ich erreicht habe, weil die Referenz fehlt. Unsere Erinnerungen sind daher unser größer Schatz.

Was gab es in Ihrer Vergangenheit, das Sie geprägt hat? Was hat Sie zu dem gemacht, der Sie heute sind?

Da gibt es so viele Sachen. Es sind vor allem die Menschen, mit denen ich gearbeitet habe oder mit denen ich groß geworden bin. Ich merke immer mehr, wie viel Glück ich hatte mit meiner Mutter und mit meinen Freunden, die mich dafür mögen, wer ich bin. Ich hatte auch viel Glück bei der Arbeit, habe mit so vielen tollen Leuten drehen können. Ich hätte es mir auch nie ausgemalt, so lange in diesem Beruf arbeiten zu dürfen.

Dann kommen wir noch kurz zur Zukunft. Wird es weitere Filme mit diesen Figuren geben? Es gibt zwar keine Vorlage mehr, Elisabeth Herrmann könnte aber auch ein ganz neues Drehbuch schreiben.

Also, gehört habe ich davon nichts. Persönlich kann ich mir auch nicht wirklich vorstellen, wie es da weitergehen könnte. Aber wer weiß? Heute ist das Serielle ja im Trend.

Was steht sonst bei Ihnen demnächst an?

Ich werde ab März an einem ganz spannenden Projekt arbeiten, über das ich aber noch nicht reden darf oder will. Dann habe ich letztes Jahr natürlich den neuen Matrix Film gedreht. Außerdem hätte ein Film rauskommen sollen, über den man sich freuen darf und der den Arbeitstitel Ernesto’s Island hat. Der spielt auf Kuba und soll dann hoffentlich auch ins Kino kommen.

Zur Person
Max Riemelt wurde am 7. Januar 1984 in Ost-Berlin geboren. Als Schüler sammelte er erste Erfahrungen als Schauspieler in der Theatergruppe seiner Schule und auf einer Kindertheaterbühne. Sein erster größerer Kinofilm war die Teeniekomödie Mädchen, Mädchen (2001), die knapp 1,8 Millionen Besucher hatte. Mit deren Regisseur Dennis Gansel drehte er noch mehrere weitere Filme, etwa das Drama Die Welle (2008) über ein Sozialexperiment an der Schule. Später war er verstärkt auch internationalen Produktionen zu sehen, darunter in der Netflix-Serie Sense 8 (2015) über acht Fremde, die eine parapsychische Verbindung haben.



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