Ai no borei Im Reich der Leidenschaft
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Im Reich der Leidenschaft

Kritik

Im Reich der Sinne Leidenschaft
„Im Reich der Leidenschaft“ // Deutschland-Start: 6. April 1979 (Kino)

In einem kleinen Dorf lebt der Rikschafahrer Gisaburo (Takahiro Tamura) mit seiner Frau Seki (Kazuko Yoshiyuki) sowie ihren beiden Kindern. Da die Gemeinde sehr klein ist, kennt praktisch jeder jeden, sodass es zwar im Dorf für Witzeleien, aber nicht für ernstzunehmenden Tratsch sorgt, dass der ehemalige Soldat Toyoji (Tatsuya Fuji) immer wieder Seki in ihrem Haus aufsucht, um sich dort etwas zu unterhalten und etwas zu trinken, wenn ihr Mann arbeiten ist. Auch Seki widmet der Bekanntschaft wenig Aufmerksamkeit, lässt sich im Gegenteil die Unterhaltung wie auch das Flirten gefallen, sind doch zwischen ihr und Toyoji 26 Jahre Altersunterschied. Schließlich verlieben sich beide ineinander und beschließen, Gisaburo umzubringen und seinen Leichnam in einem stillgelegten Brunnen zu verstecken. Seit dem Mord sind drei Jahre vergangen, in denen es Seki und Toyoji ihr Verhältnis zu verbergen und zudem die Lüge aufrechtzuerhalten, dass Gisaburo nach Tokio gegangen sei, wo er hofft, mehr Arbeit zu finden. Mit der Zeit kommt es jedoch zu ersten Gerüchten im Dorf. In einer Nacht erscheint Seki der Geist ihres ermordeten Mannes, der sie von nun an jede Nacht heimsucht und auch verschiedenen Dorfbewohnern erscheint. Zudem erscheint nun auch ein Inspektor im Dorf, welcher dem verdächtigen Verschwinden des Rikschafahrers auf den Grund gehen soll.

Eine Zeit der Aufklärung und der Zivilisation

Zwei Jahre nach Im Reich der Sinne wurde Im Reich der Leidenschaft in vielen Ländern, wie auch Deutschland, als eine Art Fortsetzung zu Nagisa Oshimas Skandalfilm vermarktet, was er jedoch de facto nicht ist. Basierend auf einem Roman Itoko Nakamuras erzählt Im Reich der Leidenschaft zwar abermals die Geschichte einer fatalen Affäre, doch setzt ganz andere thematische wie auch formale Schwerpunkte, bedient sich zudem vieler Elemente des Horrorgenres und erinnert bisweilen an die Arbeiten von Oshimas Landsmann Kaneto Shindo (Onibaba, Kuroneko). Im Vergleich zu seinem Vorgänger ist Im Reich der Leidenschaft nicht nur ein anderer, sondern in vielfacher Hinsicht auch ein besserer Film, der von fataler Liebe erzählt, doch darüber hinaus ausgehend von einer kleinen Dorfgemeinde ein Bild Japans entwirft, in dem sich tiefer Aberglaube und zivilisatorische Werte begegnen.

Interessant ist hierbei, wer diese Werte wie repräsentiert. Der von Takuzo Kawatani gespielte Inspektor ist jener Abgesandter der Ordnung, die durch ihn wiederhergestellt werden soll, und sogleich fällt sein Auge auf die Ehefrau des angeblich Verschwundenen, der er schon bei ihrer ersten Begegnung, natürlich ohne handfeste Beweise das schlimmste unterstellt. „Zivilisation und Aufgeklärtheit“ seien die Tugenden, die jetzt herrschen würden, verkündet er in einer Szene der Dorfgemeinde und vergrößert damit die Distanz zwischen sich und jenem einfachen Volk, welches er in der Folge erpresst, abhört und bisweilen gar foltert, also genau so vorgeht, wie es die Dorfbewohner von dem sie regierenden System gewohnt sind.

Wie bereits in Im Reich der Sinne besteht ein Kontrast zwischen Öffentlichkeit und Privatheit, in diesem Falle sogar der Stadt und dem Dorf. Mit clever gesetzten Szenen und Dialogen zeigen Oshima und Kameramann Yoshio Miyajima jenen Mikrokosmos des Dorfes, der sich schnell als eine Art Moralkodex offenbart, angetrieben von Gerüchten und Aberglaube, welche sich rasch verselbstständigen. So besteht ein Unterschied zwischen öffentlichem und privaten Verhalten, wie man es anhand der beiden Protagonisten sehen kann, die ihre Beziehung nicht ausleben können und sich deshalb zu einem Mord gezwungen fühlen.

Die Rückkehr des Verdrängten

Innerhalb eines solchen Gesellschaftskonstruktes, wie es Oshima entwirft, sind Tabus, Verdrängung und Obsessionen vorprogrammiert. Das Verdrängte kommt wieder in Form von Geistern, in diesem Falle des ermordeten Ehemannes, der sein Schicksal als armer Rikschafahrer auch im Tode noch erfüllen muss, so als ob sich der Kreislauf der harten Arbeit und der Armut, wie es Seki formuliert, auch im Jenseits noch wiederholen wird. Der Brunnen, ein oft genommenes Motiv für die Konfrontation mit dem Verdrängten, dem sich beispielsweise viele Jahre später Hideo Nakata bei Ring bedienen sollte, wird zum Symbol einer Quelle, deren Lebenselixier schon lange erloschen ist und die nur noch Stätte des Todes ist. Immer wieder zieht es die Figuren Oshimas zu diesem Ort hin zurück, folgen sie scheinbar einer fatalen Obsession, wie beispielsweise Toyoji, der dort totes Laub hineinwirft als wolle er den Toten mit noch mehr Schichten bedecken.

Passend zu dieser Geschichte und deren Welt entwirft Toru Takemitsu eine stimmungsvolle Filmmusik, welche bereits früh die unheimliche Atmosphäre, die Obsession wie auch die Isolation der Charakter eindrucksvoll einfängt.

Credits

OT: „Ai no borei“
Land: Japan, Frankreich
Jahr: 1978
Regie: Nagisa Oshima
Drehbuch: Nagisa Oshima
Vorlage: Itoko Nakamura
Musik: Toru Takemitsu
Kamera: Yoshio Miyajima
Besetzung: Tatsuya Fuji, Kazuko Yoshiyuki, Takahiro Tamura, Takuzo Kawatani

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"Im Reich der Leidenschaft" ist eine Mischung aus Drama und Thriller, kombiniert mit einigen Horrorelementen. Nagisa Oshima erzählt von Obsessionen, einer fatalen Liebe und von Verdrängung, wobei er abermals ein bedrückendes Bild seines Heimatlandes entwirft, welches seinen Vorgängerfilm "Im Reich der Sinne" nicht nur ergänzt, sondern in vielfacher Hinsicht, vor allem auf psychologischer, übertrifft.
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von 10