Die kleine Diebin La Petite Voleuse Charlotte Gainsbourg
© Orly Films/Renn Productions/Ciné Cinq /Les Films du Carrosse/SEDIF Productions

Die kleine Diebin

Kritik

Die kleine Diebin La Petite Voleuse Charlotte Gainsbourg
„Die kleine Diebin“ // Deutschland-Start: 4. Mai 1989 (Kino)

Frankreich, 1950: Seitdem ihre Mutter sie verlassen hat, lebt die 16-jährige Janine (Charlotte Gainsbourg) bei Verwandten in einer Kleinstadt. Glücklich ist sie dort aber kaum. Nicht nur, dass sie sich wenig mit ihrer Familie versteht, sie träumt zudem davon, ein größeres, aufregenderes Leben zu führen. Als sie dabei erwischt wird, wie sie mehrfach Seidenstrümpfe und andere Luxusartikel klaut, flieht sie nach Paris, um dort endlich neu anfangen zu können. Tatsächlich findet sie nicht nur eine Stelle als Hausmädchen, welches ihr erlaubt, unabhängig zu sein. Sie lernt zudem Michel Davenne (Didier Bezace) kennen. Dass der schon 40 und verheiratet ist, stört sie nicht weiter. Eine Affäre beginnt sie trotzdem. Gleichzeitig läuft sie dem jugendlichen Kleinganoven Raoul (Simon de La Brosse) über den Weg, für den sie ebenfalls rasch Gefühle entwickelt …

Das Ende einer Geschichte

Passender hätte die filmische Karriere von François Truffaut eigentlich nicht enden können. Seinen Durchbruch schaffte der französische Regisseur mit seinem Drama Sie küssten und sie schlugen ihn aus dem Jahr 1959, in dem er die Geschichte eines jugendlichen Rebellen erzählte. Eigentlich hatte der Filmemacher dabei gleichzeitig über eine Teenagerin sprechen wollen, die sich ebenfalls gegen ihr Leben und die Gesellschaft auflehnt. Am Ende strich er sie aber aus der Geschichte. Als er einige Jahrzehnte später sich doch noch dem Thema zuwenden wollte, kam ihm eine Krebserkrankung zuvor, an der er 1984 starb. Und so lag es dann an seinem Schüler Claude Miller (Thérèse), das Drehbuch zu vollenden und auch zu verfilmen.

Erneut folgen wir daher einem jungen Menschen in den 1950ern, der nirgends reinpasst und in seiner Revolte ständig Regeln bricht. Die kleine Diebin fackelt da auch nicht lange, bis es thematisch zur Sache geht. Die erste Szene zeigt eine Schulklasse, deren Lehrerin mehrere Diebstähle moniert und die verantwortliche Person vorwarnt, dass dies kein gutes Ende nehmen werde. Der Film selbst verrät zwar mit keinem Wort, wer diese Person ist. Einen tatsächlichen Zweifel gibt es aber nicht, dass Janine dahintersteckt. Die Bestätigung bleibt nicht lange aus. Mit der Überführung der emsigen Diebin beginnt die eigentliche Geschichte des Dramas, die uns im Anschluss nach Paris und weitere Orte führt.

Damit verbunden ist auch eine innere Reise von Janine. Von Anfang an zeigt der Film einen sehr ambivalenten Menschen. Auf der einen Seite ist sie selbstbezogen, berechnend, völlig gleichgültig für das Schicksal anderer. So hat sie keinerlei Probleme damit, einen verheirateten Mann zu verführen, egal, was das mit seiner Ehe macht. Gleichzeitig wird in Die kleine Diebin aber auch früh klar, dass sie das Opfer ihrer Umstände ist. Der Vater hat sie verlassen, die Mutter ist davongelaufen, Tante und Onkel tun ebenfalls nicht allzu viel dafür, dass sie sich willkommen fühlt. Die Diebstähle und die Ausflüge ins Kino, wo sie sich romantische Filme anschaut, sind ihr Weg, um aus dem provinziellen Gefängnis auszubrechen, das für sie kein Glück bereithält und bereithalten wird.

Die rastlose Suche nach Halt

Wobei die Großstadt da letztendlich nicht viel besser ist. Die kleine Diebin zeigt uns eine rastlose junge Frau, deren Sehnsucht nach Halt und Geborgenheit immer wieder zerstörerische Tendenzen aufweist. Eine junge Frau, die gleichzeitig selbstbewusst und fordernd, dabei aber verunsichert ist und sich beeinflussen lässt. Dass der Film dadurch selbst eher ziellos ist, die Entwicklung der Figur sprunghaft bleibt, ist deshalb nicht Zeichen eines ungenügenden Drehbuchs. Vielmehr ist das hier das turbulente Porträt eines Menschen, der trotz zweier potenzieller Liebhaber verloren ist, durch das Frankreich der 1950er treibt, dabei zwischendurch mal kräftig strampelt und doch nie so richtig die Kontrolle hat über das, was mit ihr geschieht.

Charlotte Gainsbourg (Der Hund bleibt, Nymph( )maniac) überzeugt hier in einer frühen Rolle als ruhiger Wirbelwind, der immer im Mittelpunkt steht und doch nie ganz zu fassen ist. Sie behält dabei die Balance, spielt mit vielen Nuancen. So ist Jane einerseits nicht unbedingt sympathisch in ihrer Rücksichtslosigkeit, gleichzeitig wird aber auch deutlich, wie schwierig diese Suche nach Identität ist, wenn du nicht die Voraussetzungen dafür hast. So bleibt ein Drama, das einfühlsam und doch mit einer gewissen Distanz zeigt, wie ein junger Mensch durch eine Welt taumelt, die sich ihrer wenn dann nur durch Rebellion annimmt. Der Film, der auch inszenatorisch der Nouvelle-Vague-Ikone Truffaut nacheifert, verzichtet dabei auf die bis zum Kitsch reichende Versöhnlichkeit, die Titel mit solchen Themen manchmal haben. Hier wird zwar kontinuierlich am Horizont nach dem Glück gesucht, ohne dabei aber den Blick für das hier und jetzt zu verlieren.

Credits

OT: „La Petite Voleuse“
IT: „The Little Thief“
Land: Frankreich
Jahr: 1988
Regie: Claude Miller
Drehbuch: François Truffaut, Claude de Givray
Musik: Alain Jomy
Kamera: Dominique Chapuis
Besetzung: Charlotte Gainsbourg, Didier Bezace, Simon de La Brosse, Clotilde de Bayser, Raoul Billerey, Chantal Banlier, Nathalie Cardone

Bilder

Trailer

Filmpreise

Preis Jahr Kategorie Ergebnis
César 1989 Beste Regie Claude Miller Nominierung
Bestes Drehbuch Claude de Givray, Annie Miller, Claude Miller, François Truffaut, Luc Béraud Nominierung
Beste Hauptdarstellerin Charlotte Gainsbourg Nominierung
Bestes Poster Sieg

Kaufen/Streamen

Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.




(Anzeige)

In „Die kleine Diebin“ sehnt sich eine 16-Jährige nach Liebe und einem aufregenden Leben, was sich in zahlreichen Diebstählen und sehnsüchtigen Kinobesuchen äußert. Das Drama zeigt dabei einfühlsam und nuanciert gespielt einen Menschen, der von allen verlassen wurde und einen Halt sucht, jedoch immer wieder scheitert.
8
von 10