Nymph( )maniac I + II

Nymph( )maniac I + II

(„Nymph( )maniac“ directed by Lars von Trier, 2014)

Nymph( )maniac I + IIAls der ältere Junggeselle Seligman (Stellan Skarsgård) an einem kalten Winterabend auf dem Weg nach Hause ist, entdeckt er in einer Gasse eine halb bewusstlose, zusammengeschlagene Frau (Charlotte Gainsbourg). Doch wer hat die rund 50-Jährige so böse zugerichtet? Nachdem er sie mit in seine Wohnung genommen und versorgt hat, stellt sie sich als Joe vor und erzählt, wie es zu ihrem Zustand kam. Und diese Geschichte führt sie bis weit in ihre Kindheit, wo sich die ersten Anzeichen ihrer späteren Sexsucht zeigten.

„Aber wenn Sie es verstehen wollen, dann muss ich Ihnen die ganze Geschichte erzählen. Und die ist lang. Mit einer Moral fürchte ich.“

Mit diesen Worten beginnt Joe ihre Ausführungen. Und sie sind nicht übertrieben: Ganze vier Stunden lang, verteilt auf zwei Teile, ist das neue Monster vom notorischen Skandalregisseur Lars von Trier. Wer den Director’s Cut schaut, muss sogar fünfeinhalb Stunden Zeit mitbringen. Da durfte es einem im Vorfeld durchaus Angst und Bange werden, denn schon in seinen kürzeren Werken ging das dänische Enfant terrible mit seinen akzentuierten Provokationen und Tabubrüchen bis an die Schmerzgrenze, manchmal auch darüber hinaus. Was würde ihm dann erst bei einer so umfangreichen Laufzeit alles an Gemeinheiten einfallen?Nymph( )maniac I + II Szene 1

Kurios geht es los, mit langen, geschmeidigen Kamerafahrten durch die Winterlandschaft und die kleinen Seitengassen, dazu ertönt im Hintergrund das brachiale Lied „Führe mich“ von Rammstein. Das Elegante und das Brutale, Schönheit und Dreck – in Nymph( )maniac (manchmal auch der Einfachheit halber Nymphomaniac geschrieben) tritt beides immer zusammen auf. Einen Porno wolle er drehen, kündigte von Trier im Vorfeld an. Und auch wenn es sicher nicht an expliziter Darstellung von Sex und Geschlechtsteilen mangelt, mit Erotik hat sein neuestes Werk nur wenig zu tun. Dafür aber mit Selbstbehauptung, mit Macht und auch mit Gewalt.

Wie schon in den ersten beiden Teilen seiner Depression-Trilogie – Antichrist und Melancholia – lässt von Trier uns teilhaben an den Störungen seiner Figuren und deren Auseinandersetzungen mit der Außenwelt. Doch indem er sie vor unseren Augen zerlegt, schneidet er uns auch den Fluchtweg ab, drängt uns unangenehme Fragen auf, zu uns, zu unserer Gesellschaft. Frauenfeindlich soll er sein, wird dem Dänen immer wieder vorgeworfen. Doch auch wenn Joe sicher nicht als Vorbild taugt, unter anderem für ihre manipulativen Züge und ihre Verantwortungslosigkeit als Mutter kritisiert werden kann, wirklich gut kommen auch die Männer nicht weg. Feige sind manche, andere verlogen, vor allem aber ohne Identität: Abgesehen von Joes Mann Jerôme (Shia LaBeouf) und Seligmann, bekommt hier niemand einen Namen. Nicht einmal ihr Vater (Christian Slater), der eine so große Rolle in ihrem Leben spielt, darf der Anonymität entkommen. Zum Schluss hin lässt sich Nymph( )maniac sogar zu einer deutlich feministischen Aussage hinreißen.Nymph( )maniac I + II Szene 2

Seine Kritiker dürften aber auch das als Affront auffassen und ihm mangelnde Glaubwürdigkeit vorwerfen. Genug Munition dafür liefert von Trier auf jeden Fall, bis zum Schluss lässt er konsequent offen, was an Nymph( )maniac ernst gemeint, was nur ein Spaß ist. Wenn Seligmann etwa anmerkt, Joes Geschichte bestünde aus zu vielen Zufällen, ist das dann ein Eingeständnis oder doch nur wieder Spott am Zuschauer? Und auch die vielen seltsamen Einfälle wie Splitscreens oder Schwarz-Weiß-Abschnitte, die ständigen Exkurse zu Musik, Mathematik, sogar Angeln und Waffen, wozu dienen sie? So ganz klar wird das nicht, zwischenzeitlich ermüden diese Extravaganzen auch mehr als dass sie faszinieren. Denn so beeindruckend und fordernd der Film an vielen Stellen ist, so nichtssagend und sich wiederholend ist er an anderen.

Doch selbst während der eher belanglosen Passagen darf man umwerfend starke Darstellungen bewundern. Wie immer treibt von Trier seine Schauspieler zu Höchstleistungen an, lässt sie sich verausgaben und in unwürdigen Posen ablichten. Gainsbourg, Skarsgård und Willem Dafoe durften das schon in früheren Filmen des Regisseurs über sich ergehen lassen, auch Dauergast Udo Kier lässt sich in einer – viel zu kurzen – Szene sehen. Überraschender ist da schon, welche ungeahnten Talente  in Shia LaBeouf und Christian Slater schlummern, die sie in ihren letzten Projekten so gar nicht zeigen durften. Doch die große Entdeckung ist Stacy Martin, welche die junge Joe spielt und schon in ihrer ersten Filmrolle unter Beweis stellt, dass wir da in Zukunft noch deutlich mehr zu erwarten haben.



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Macht, Gewalt oder doch Liebe? Lars von Trier dekliniert in seinem groß angelegten Filmopus die verschiedensten Formen von Sex durch und was er aus den Menschen macht. Das ist wie so oft beim dänischen Regisseur fordernd und faszinierend, manchmal aber auch einfach überladen, zu künstlich und nichtssagend.
7
von 10