Der Weg allen Fleisches The Sailor Who Fell from Grace with the Sea
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Der Weg allen Fleisches

Kritik

Der Weg allen Fleisches The Sailor Who Fell from Grace with the Sea
„Der Weg allen Fleisches“ // 25. Februar 1977 (Kino) // 29. Januar 2021 (DVD)

Seit vielen Jahren lebt die verwitwete Anne Osborne (Sarah Miles) mit ihrem 14-jährigen Sohn Jonathan (Jonathan Kahn) in der englischen Haftenstadt Dartmouth, wo sie einen kleinen Antiquitätenladen betreibt. Vor allem Jonathan leidet noch immer unter dem Tod seines Vaters und hat sich, gegen den Willen seiner Mutter, einer Clique in seiner Schule angeschlossen, welche von einem Mitschüler (Earl Rhodes), der sich selbst nur „Chef“ nennt, angeführt wird. Seinen Kameraden, die er nur mit Nummern anspricht, nicht aber mit deren richtigen Namen, teilt er seine Lehren des Lebens mit, nach welcher der Stärkere immer favorisiert wird und die Schwachen sich diesem zu beugen haben. Um dies zu testen, fordert er die anderen immer wieder zu Mutproben heraus. Jedoch verändert sich Jonathans Leben drastisch, als Anne den Seemann Jim Cameron (Kris Kristofferson) kennenlernt, mit dem sie schon bald seine sehr liebevolle Beziehung führt. Zwar ist Jonathans Liebe zur See nach wie vor ungebrochen, sodass ihn die Geschichten Jims von seinen vielen Reisen begeistern, doch er sieht ihn zugleich als Eindringling in die Beziehung zu seiner Mutter und er wünscht sich nichts mehr, als dass Jim schon bald wieder zur See fährt.

Die Ideologie der Erwachsenen

Der Name Lewis John Carlino ist unter Filmfreunden vor allem wegen dessen Drehbüchern ein Begriff, lieferte er doch die Vorlage zu Werken wie John Frankenheimers Meisterwerk Der Mann, der zweimal lebte sowie Anthony Pages Ich habe dir nie einen Rosengarten versprochen. Seine Karriere als Regisseur ist hingegen eher übersichtlich und findet ihren Anfang mit Der Weg allen Fleisches, einer Verfilmung eines Romans des umstrittenen japanischen Autors Yukio Mishima. Entsprechend unbequem ist die Adaption Carlino erzählt sie doch eine Geschichte, in der nicht nur Gewalt und Inzest eine Rolle spielen, sondern zudem sich die Ideologie des Autors Mishima wiederfindet von der Abwechslung einer Ideologie der Schwachen hin zu einer der Starken.

Es braucht nicht lange, bis man die Gefahr hinter der Ideologie erkennt, die „Chef“ seiner Clique in teils langen Monologen mitteilt. Mit einer Spur Selbstgefälligkeit, gepaart mit einem unverhohlenen Sadismus bezogen auf den Schaden, den er anrichtet über seine Taten und Worte, spricht er von den Regeln der Erwachsenenwelt, die es zu überwinden gilt und gegen die er wie auch andere ankämpfen müssen. Diese scheint in der Tat schwach oder vielmehr ahnungslos zu sein, welche Gefahr eigentlich in ihren eigenen vier Wänden sich entwickelt und nach einer Art feindlicher Übernahme trachtet. Als Vorbild für die Kinder können sie schon lange nicht mehr herhalten, sind die Väter doch abwesend oder gestorben und die Mütter, wie Anne, mit ihren eigenen Problemen und Sehnsüchten befasst, sodass ihr gar nicht auffällt, dass Jonathan zu mehr als nur einer Gelegenheit Zeichen einer gefährlichen Obsession offenbart.

In der Handlung entsteht von Beginn an eine spürbare Anspannung zwischen Mutter und Sohn, einer Dynamik, zu der sich später noch Jim gesellt. Zwischen ihnen gibt es etwas Unausgesprochenes, eine Beziehung, die in Jonathans Augen pur und rein ist und in der jeder Eindringling naturgemäß stört. Jonathan, so ist schnell klar, sieht sich als „Mann in Haus“, der sich nicht von seiner Rolle abbringen lassen will, Besitzansprüche auf seine Mutter geltend macht, was zu einer stark ödipal geprägten Verbindung zu ihr führt.

Die Starken und die Schwachen

Auch wenn die Rhetorik „Chefs“ bisweilen etwas übertrieben wirkt und nicht selten etwas unglaubwürdig, bedenkt man sein Alter, so erscheint er wie einer der vielen Desillusionierten, die eben jene anderen Unzufriedenen um sich scharen. In einer seiner ersten Rollen spielt Jonathan Kahn eindrucksvoll einen Jugendlichen, dessen Vaterlosigkeit ihn in eine tiefe Störung und Trauer versetzt hat, die sich in einer unergründlichen Liebe zum Meer und einem Beschützerinstinkt zu seiner Mutter deutlich macht. Es sind teils gewagte und sehr provokante Aufnahmen, welche die Kamera Douglas Slocombes einfängt, doch halten sie Jonathans Begeisterung für diese Ideologie der Starken fest, seine sexuellen Wünsche wie auch das Wechselspiel von Liebe zu tiefer Frustration über eben jenen Eindringling im Haus.

Credits

OT: „The Sailor Who Fell from Grace with the Sea“
Land: USA
Jahr: 1976
Regie: Lewis John Carlino
Drehbuch: Lewis John Carlino
Vorlage: Yukio Mishima
Musik: John Mandel
Kamera: Douglas Slocombe
Besetzung: Sarah Miles, Kris Kristofferson, Jonathan Kahn, Earl Rhodes, Paul Tropea, Gary Lock, Stephen Black, Margo Cunningham

Bilder

Filmpreise

Preis Jahr Kategorie Ergebnis
Golden Globes 1977 Beste Hauptdarstellerin – Drama Sarah Miles Nominierung
Bester Nachwuchsdarsteller Jonathan Kahn Nominierung

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„Der Weg allen Fleisches“ ist ein provokantes, teils vielleicht etwas zu plakatives Drama über Macht, sexuelle Sehnsüchte und das Erwachsenwerden. Schauspielerisch stark und verstörenden Aufnahmen inszeniert Lewis John Carlino die Geschichte eines Frustrierten, dessen Verlangen ihn eine unbeschreiblich schreckliche Tat begehen lässt.
7
von 10