India Song

India Song

Kritik

India Song
„India Song“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Eigentlich hat Anne-Marie Stretter (Delphine Seyrig) nicht wirklich Grund zur Klage. Als Ehefrau des französischen Diplomaten in Indien genießt sie in den 1930ern ein Leben in Wohlstand, muss sich um nichts sorgen, muss selbst keinen Finger krumm machen. Doch eben das wird zum Problem für sie, denn das Elfenbeinturm-Leben in der Fremde ist ihr nicht genug. Sie sehnt sich nach etwas anderem, nach mehr, will etwas erleben. Und so beginnt sie eine Reihe von Affären, um der Eintönigkeit ihres Alltags zu entkommen …

Wer sich mit der französischen Literatur des 20. Jahrhunderts auseinandersetzt, für den führt praktisch kein Weg an Marguerite Duras vorbei. Über Jahrzehnte prägte sie die Kultur ihres Landes, war mit ihren später zunehmend experimentellen Büchern eine der wichtigsten Schriftstellerinnen der Grande Nation. Aber auch im Bereich Film feierte sie künstlerische Erfolge: Ihr Drehbuch zu Hiroshima, mon amour war 1961 für einen Oscar als bestes Originaldrehbuch nominiert, der Film selbst war bei einer Reihe wichtiger Filmpreise im Rennen.

Schöne Bilder, umstrittener Inhalt
Die von ihr selbst inszenierten Filme hatten es da schon schwerer. An India Song schieden sich seinerzeit beispielsweise die Geister. Zwar lief der Film auf diversen bedeutenden Festivals, darunter Locarno und Cannes. Außerdem gab es drei Nominierungen für den César, den wichtigsten französischen Filmpreis. Aber nicht alle Kritiker waren von dem Werk überzeugt. Erneut verweigerte sich Duras alten filmischen Normen, wollte lieber etwas Neues schaffen. Das tat sie zum Teil auch, das Drama um eine promiskuitive Diplomatenfrau ist schon recht ungewöhnlich. Nur bedeutet anders nicht zwangsläufig besser.

Ein häufig geäußerter Vorwurf ist der, dass India Song viel Arbeit in das Äußere investiert, dabei aber den Inhalt vergessen hat. Tatsächlich ist das Drama als rein narratives Werk kaum zu gebrauchen. Duras verzichtet darauf, die sexuellen Eskapaden zu einer wirklichen Geschichte auszubauen. Sie zeigt sie aber auch nicht wirklich. So wie sie allgemein wenig zeigt – und gleichzeitig sehr viel. Die Bilder, aus denen der Film besteht, gleichen oft Gemälden, weniger filmischen Aufnahmen. Die Kamerabewegungen sind sparsam, sofern sie überhaupt stattfinden. Die Filmemacherin führt uns eine Welt vor Augen, die in einer Gestrigkeit erstarrt ist, die sich einem längst erblassenden Glanz ergibt.

Erinnerung an eine verblassende Welt
Der Film, der auf einem nie realisierten Bühnenstück basiert, funktioniert daher besser als eine Art Momentaufnahme eines Frankreichs bzw. allgemein einer westlichen Welt, die in den letzten Zügen des alten Kolonialismus liegt. Die Entfremdung der Hauptfigur funktioniert deshalb auf mehreren Ebenen. Sie ist eine Fremde in einem Land, mit dem sie nur wenig Berührungspunkte hat. Sie ist gleichzeitig aber auch Repräsentantin einer Weltsicht, die nicht mehr wirklich greift. Duras arbeitete diese Entfremdung zusätzlich heraus, indem Bilder und Ton keine wirkliche Einheit eingehen. Die Dialoge gleichen eher Farbtupfern auf einer Leinwand, dienen nicht dazu, die Geschichte voranzutreiben oder wenigstens Kontexte zu liefern.

So richtig viel erfährt man dann auch nicht, weder über die Hauptfigur, noch die Welt, in der sie sich bewegt – was den Vorwurf der Oberflächlichkeit erklärt. Hier ist eben alles Dekor, egal ob Möbel oder Menschen, Bilder oder Ton. Auf Dauer ist das natürlich wenig. India Song ist ein Film, der einen schnell in den Schlaf wiegen kann, gerade durch die säuselnden Stimmen. Aber es ist eben auch ein Film, der durch seine traumartige Eleganz faszinierend sein kann. Hier dabei zu sein, zuzusehen, zuzuhören, das bedeutet, sich auf etwas einzulassen, das nah und fern ist, eine Erinnerung, die nicht weggeht, die wir gleichzeitig aber nicht wirklich zu fassen kriegen.

Credits

OT: „India Song“
Land: Frankreich
Jahr: 1975
Regie: Marguerite Duras
Drehbuch: Marguerite Duras
Musik: Carlos d’Alessio
Kamera: Bruno Nuytten
Besetzung: Delphine Seyrig, Michael Lonsdale, Mathieu Carrière, Claude Mann, Vernon Dobtcheff, Didier Flamand, Françoise Lebrun

Trailer

Filmpreise

Preis Jahr Kategorie Ergebnis
César 1976 Beste Hauptdarstellerin Delphine Seyrig Nominierung
Beste Musik Carlos D’Alessio Nominierung
Bester Ton Michel Vionnet Nominierung

Filmfeste

Cannes 1975
Locarno Film Festival 1975
International Film Festival Rotterdam 1975
Locarno Film Festival 2020

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In „India Song“ erzählt Marguerite Duras aus dem Leben einer Diplomatenfrau, die aus Langeweile mit vielen Männern schläft. Die Geschichte ist minimalistisch, der Film ist eher Bestandsaufnahme als ein narratives Werk. Das kann faszinierend sein oder auch langweilig, ein kunstvoller Traum einer verblassenden Vergangenheit.
6
von 10