Orphea
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Orphea

Kritik

Orphea
„Orphea“ // Deutschland-Start: 22. Juli 2021 (Kino)

In der Rockszene Manilas ist Orphea de Jesus (Lilith Stangenberg), Frontfrau der Band Orphea’ Lament, berüchtigt für ihre extravaganten Auftritte, die stets viele Bewunderer anziehen. Hierbei geraten die Zuschauer in den Bann von Orpheas Stimme, die sie sogar verwandeln kann, und verfallen zusehends dem beschwörenden Gesang. Doch das Herz Orpheas ist längst vergeben, denn seit sie in einem Stripclub den Prostituierten Eurydico (Ian Madrigal) kennengelernt hat, sind die beiden ein Paar. Jedoch wird Orpheas Welt zerstört, als sie vom plötzlichen Tod ihres Geliebten erfährt. Von Trauer erfüllt, will die Eurydico das letzte Geleit erweisen, dies wird ihr aber von der Trauergemeinde verweigert. Am Grab weint sie so bitterlich, dass ihr mitfühlende Geister letztlich den Zugang zur Unterwelt öffnen, welchen sie schließlich betritt und sich in der albtraumhaften Welt auf der Suche nach Eurydico macht.

Ein Totentanz

Bereits in ihrer ersten Kollaboration Happy Lamento bewiesen Alexander Kluge und Khavn de la Cruz die expressive Stärke, die im Zusammenschluss ihrer beider Bilderwelten stecken kann. Während der erste Film, seinem Titel entsprechend, einem fröhlichen Lamentieren über den Zustand der Moderne und des Menschen war, der sich in einem durch Oberthemen getragenen Bilderreigen äußerte, folgt ihr neuer Film dem antiken Mythos von Orpheus und Eurydike. Orphea geht hierbei sehr eigene Wege, greift des Öfteren Aspekte der Moderne und des Menschseins auf, wobei diese vor allem durch den Gesang und das Schauspiel Lilith Stangenbergs (Wild, Der Staat gegen Fritz Bauer) getragen wird.

Wer sich bereits mit der Eigenwilligkeit eines Happy Lamento schwertat, wird keine große Freude an einem Film wie Orphea haben. Auch wenn der neueste Film Kluges und Khavns stärker narrativ strukturiert ist, so sind die audiovisuellen Kompositionen, die sich dem Zuschauer offenbaren, nicht weniger eigenwillig und wirken auf den ersten Blick sehr irritierend. Jedoch weist dieser Punkt bereits auf einen interessanten Aspekt der Produktion hin, denn gerade der Gesang konterkariert eine Intellektualisierung des Zuschauers bisweilen und ist, ähnlich wie die Struktur von Happy Lamento, als eine Einladung an den Zuschauer zu verstehen. In diesem Fall könnte diese darin bestehen, sich dem Totentanz, dieser musikalischen und visuellen Beschwörung hinzugeben.

Der Tod der Kunst

Die Fülle des Reichtums, des thematischen sowie des visuellen, innerhalb der 99 Minuten Laufzeit abzudecken ist schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Randvoll, gespickt mit allerlei Referenzen und sehr inspirierend sind die einzelnen Sequenzen, die durch Zwischentitel wie „Die Rückholung aller Toten“ oder „Die verlorene Utopie in der Unterwelt aufsammeln“ eingeteilt sind. Recht deutlich wird, dass es Orphea nicht mehr nur um das Wiedersehen mit ihrem Geliebten geht, sondern dass in diesem Akt ein Neuanfang liegt, ein Neustart für die Kunst im Allgemeinen, die, mit Bezug auf ein Zitat Ingmar Bergmans, schon längst tot sei und nur noch künstlich am Leben erhalten bleibt.

Von daher ist der Gesang und der Tanz ein Weg der Belebung, der Wieder-Begegnung sowie des Anfangs. Auf der Bildebene des Films ergänzt sich dies durch die Wildheit der philippinischen Hauptstadt, wie man es aus den Werken Khavns kennt, sowie die zahlreichen Verweise auf das Theater sowie Aspekte der modernen Welt, beispielsweise, wenn es in einem Segment des Films um die Formel des Lebens geht oder die Kameraperspektive durch starke Verfremdung das Bild zu einer Erde im Kleinformat werden lässt. Die Kunst der alten Welt mag tot sein, aber diese beiden Filmemacher glauben an den Neuanfang und erweisen sich in ihrem Film, wie ihre stark spielende Hauptdarstellerin, als wahre Romantiker.

Credits

OT: „Orphea“
Land: Deuschland
Jahr: 2020
Regie: Alexander Kluge, Khavn de La Cruz
Drehbuch: Alexander Kluge, Khavn de La Cruz, Douglas Candano
Musik: Sir Henry, Khavn de La Cruz, Tilman Wollf, Diego Mapa
Kamera: Thomas Wilke, Albert Banzon, Gym Lumbera
Besetzung: Lilith Stangenberg, Ian Madrigal

Bilder

Trailer

Interview

Was machte den Dreh von Orphea so besonders? Und wie war es, mit zwei Regisseuren zu arbeiten? Diese und weitere Fragen stellten wie Hauptdarstellerin Lilith Stangenberg in unserem Interview.



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„Orphea“ ist eine wilde, betörende Neuinterpretation des Mythos von Orpheus und Eurydike. Visuell expressiv und stark gespielt lohnt sich diese weitere Einladung an den Zuschauer, die Khavn und Alexander Kluge in ihrer zweiten Zusammenarbeit aussprechen und sorgt damit für überraschende, kreative und verspielte Momente.
8
von 10