Liberte
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Liberte
„Liberté“ // Deutschland-Start: 12. September 2019 (Kino)

Madame de Dumeval (Théodora Marcadé), der Herzog von Tesis (Marc Susini) und der Herzog von Wand (Baptiste Pinteaux) haben eines gemeinsam: die Lust an einem ausschweifenden Leben! Leider teilen andere nicht ihre Freizügigkeit und das genüssliche Auskosten der Lust. Vor allem nicht Ludwig XVI. An dessen Hof waren sie bis vor kurzem noch, bis es diesem zu bunt wurde und er das ungezügelte Trio verbannte. Doch sie wissen schon, wo sie als nächstes hinwollen: zum Herzog von Walchen (Helmut Berger), der ebenfalls wenig von Regeln hält. Vor allem nicht von moralischen. In einem kleinen Wald finden sie den geeigneten Orten, um ungestört ihren erotischen Spielchen nachgehen zu können …

Es gibt sie natürlich, die Filmemacher, die in erster Linie das Wohlgefallen des Publikums im Auge haben. Die alles dafür tun, dass die Zuschauer und Zuschauerinnen ihren Spaß haben, ein bisschen die Zeit vergessen können. Bei Albert Serra ist das nahezu unmöglich. Der Katalane, der mal als Videokünstler, mal als Regisseur auftritt, scheint daran gelegen zu sein, einen mit seinen Filmen jede einzelne Minute spüren zu lassen. Die Filme selbst sind zwar nicht wirklich länger als die der Kollegen, aber so selbstvergessen in der genüsslichen Detail-Darstellung, dass man selbst jegliches Zeitgefühl verliert. Und manchmal auch das Interesse.

Die Qual der Zeit
Das bedeutet nicht, dass seine Werke minderwertig wären oder nichts zu sagen hätten. Sie sind nur oft an der Grenze zur Zumutung. Der Tod von Ludwig XIV. beispielsweise erzählt, wie der Titel bereits verrät, von den letzten Stunden des großen französischen Monarchen. Der war nicht nur einer der am längsten regierenden Oberhäupter in der Geschichte der Menschheit, mit immerhin 72 Jahren – Queen Elizabeth II. bringt es derzeit auf 69 Jahre. Der Sonnenkönig stand wie sonst kaum einer für den Prunk der Krone. In seinem Film demontierte Serra ihn jedoch zu einem gebrechlichen, wenig vorzeigbaren Greis, der unter unwürdigen Umständen ans Bett gefesselt seinem langen Ende entgegenkeucht.

Bei Liberté sind die Protagonisten zwar auch meist etwas älter, aber doch noch quicklebendig. Zumindest fühlen sie sich so, wenn sie im Schutze der Nacht und des Waldes ungestört ihrer Lust nachgehen. Auch dieses Mal ist der zeitliche und örtliche Rahmen eng gesteckt, nahezu der komplette Film spielt in nur einer Nacht in besagtem Wald. Auch dieses Mal dehnt Serra dieses Ereignis aus, verzichtet auf eine tatsächliche Handlung. Es ist sogar noch ein bisschen extremer in diesem Fall. Denn wo bei Ludwig XIV. zumindest noch ein Ziel vor Augen war – der Tod –, da steht hier die Entwicklung komplett aus. Ein bisschen werden die Männer und Frauen, die sich selbst entdecken, mit der Zeit etwas wagemutiger, ohne dass es jedoch auf eine nennenswerte Weise eskalieren würde.

Die kunstvoll-hässliche Suche nach der Lust
Man würde das, was hier geschieht, nicht wirklich als erotisch bezeichnen wollen. Es ist auch nicht skandalös, zumindest nicht für heutige Verhältnisse: ein bisschen Masturbation hier, dort mal kurz den Hintern ablecken oder diesen versohlen – das dürfte die wenigsten noch aufregen. Liberté, das bei den Filmfestspielen von Cannes 2019 Premiere feierte, schockiert höchstens dadurch, wie wenig Ekstase bei dieser freien Liebe zu spüren ist. Vielmehr entlarven sich die selbsternannten Freigeister oft selbst, sind verzagt, schauen mal misstrauisch, mal neugierig, träumen davon, alle Fesseln abzulegen, übersehen dabei aber ihre eigenen. Vor allem die Art und Weise, wie sich die Männer zu Gefangenen der Frauen machen, läuft dem Titel und dem Anspruch schon seht entgegen.

Anders als das ungeschönte Hinsiechen von Ludwig XIV. ist das Treiben hier aber durchaus von einer gewissen Ästhetik. Nicht weil die kopulierenden Blautblüter übermäßig ansehnlich wären, zumindest nach heutigen Maßstäben. Liberté wirkt jedoch oft wie ein Gemälde, mit den vorsichtig angeordneten Elementen und einem Licht, das weniger erhellt als verdunkelt. Dass dem Film ein von Serra geschriebenes Theaterstück zugrunde liegt, ist unverkennbar. Die starren Perspektiven, die oft sehr lange beibehalten werden, haben immer etwas Künstliches, Arrangiertes, eben nicht so wild und natürlich, wie es Sex in der Natur sein sollte. Doch in dieser Widersprüchlichkeit liegt auch ein Reiz, sofern man sich darin verlieren kann: Die Adaption zeigt das Leben, wie es ist, wie es gleichzeitig nicht ist, eine Vermengung der Schöngeisterei und der banalen Hässlichkeit.



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„Liberté“ ist wie alle Filme von Albert Serra sehr speziell, an der Grenze zum Unzumutbaren. Dieses Mal lässt er eine Gruppe größtenteils älterer Adliger in einem Wald ihren Trieben nachgehen. Das Ergebnis ist gleichzeitig kunstvoll und hässlich, ein zeitvergessenes Experiment, das einen jede Minute spüren lässt.
6
von 10