Der Distelfink The Goldfinch
© Warner Bros.

Der Distelfink

Der Distelfink
„Der Distelfink“ // Deutschland-Start: 26. September 2019 (Kino)

Eigentlich hatten sich der 13-jährige Theo Decker (Oakes Fegley) und seine Mutter nur ein wenig die Zeit im New Yorker Metropolitan Museum vertreiben wollen, als sie Opfer eines verheerenden Terroranschlags werden. Theo gelingt es, heil aus der Katastrophe zu kommen, doch seine Mutter stirbt während der Explosion. Daraufhin findet er erst bei der Familie eines alten Schulfreundes ein neues Zuhause, später bei seinem Vater, den er lange nicht gesehen hat. Doch immer wieder kehren seine Gedanken zu seiner Mutter zurück. Und zu jenem wertvollen Bild, das Theo im Trubel des Anschlags eingepackt hat und das seither als verschollen gilt …

Eines der Hobbys, die Filmfans Anfang des Jahres so umtreibt: tippen, wer am Ende bei den Filmpreisen groß abräumt, vor allem natürlich bei den Oscars. Während die Diskussionen erst in den Wochen davor richtig Fahrt aufnehmen, spekulieren die Hartgesottenen schon einige Monate früher, bevor die eigentliche Award Season beginnt. Da kommt es durchaus einmal vor, dass ein im Vorfeld hoch gehandelter Titel vorzeitig aus dem Rennen aussteigt und die komplette Planung durcheinanderbringt. Ein solcher Titel ist Der Distelfink, dem man vorab sehr viel zugetraut hat, aus gutem Grund. Die Vorlage von Donna Tartt erhielt den Pulitzer Preis, die Besetzung ist edel, Regisseur John Crowley inszenierte zuvor das für mehrere Oscars nominierte Brooklyn, hinter der Kameramann steht Roger Deakins, der für 14 (!) Oscars im Rennen war, für Blade Runner 2049 auch einen erhielt. Was kann da schon schief gehen?

Schade, das war wohl nichts …
Und doch wird der Film wohl keine Rolle spielen bei den künftigen Filmpreisen. Nicht nur, dass das immerhin an die 50 Millionen Dollar teure Drama ein finanzielles Fiasko ist. Die Kritiker ließen zudem so gar kein gutes Haar an dem Film. Die harschen Reaktionen nach der Premiere beim Toronto International Film Festival 2019 mögen etwas übertrieben gewesen sein und letztendlich den hohen Erwartungen im Vorfeld geschuldet. Enttäuschend ist Der Distelfink aber schon angesichts der vielen guten bis exzellenten Elemente. Doch das hilft alles nichts, wenn sie irgendwie nie so richtig zusammenfinden. Man am Ende das Gefühl hat, dass da kein wirklicher Film draus wurde.

Das größte Problem bestand wohl darin, den Roman in eine adäquate filmische Form zu bringen. Mehr als 1000 Seiten hat die deutsche Fassung des Buches, das ist eine Menge Stoff für einen Film, selbst wenn dieser zweieinhalb Stunden lang ist. Während andere aus einer derart umfangreichen Vorlage eine Miniserie gemacht hätten oder wenigstens einen Mehrteiler – siehe Es –, da musste hier ein regulärer Film reichen. Erschwerend bei der Adaption kommt hinzu, dass Der Distelfink weniger von Handlung getragen wird als von Beschreibungen und Dialogen. Es geht um die Figuren und ihre jeweiligen Beziehungen untereinander. Das lässt sich nicht in ein paar Bildern abhaken.

Zu viel und zu wenig
Der Distelfink scheitert dann auch an der Aufgabe, diese Entwicklung filmisch ansprechend zu gestalten. Stattdessen besteht das Drama aus einer Aneinanderreihung von Szenen, die mal chronologisch aufeinander folgen, mal auch nicht – der Film springt zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her –, die aber nie direkt miteinander in Verbindung treten. Viel zu viele Zwischenschritte werden übersprungen, die aber nötig gewesen wären, um der Komplexität des Figurengeflechts gerecht zu werden. Das ist besonders gegen Ende irritierend, wenn Crowley wohl die Zeit davonlief und er alles ganz hektisch noch über die Zielgerade bringt. Aber schon vorher hat man das Gefühl, dass da einfach zu viel fehlt, dass in der Packung mit dem so schön anzusehenden Puzzle ein ganzer Haufen Teilen verschlampt wurde, die für das Gesamtbild notwendig gewesen wäre.

Verständlich ist der Film natürlich schon, trotz der etwas eigenwilligen Zeitsprünge weiß man am Ende im Großen und Ganzen, wer was wann warum getan hat. Ein Film sollte aber schon mehr sein als eine bloße Inhaltsangabe. Das ist auch deshalb schade, weil in den zweieinhalb Stunden durchaus eine Reihe schöner Momente sind. Die betreffen jedoch eher die Jugend. Während Ansel Elgort (Baby Driver, Jonathan) als erwachsener Theo ein distanzierter Fremdkörper bleibt, hat Oakes Fegley (Elliot, der Drache) die gelungeneren Auftritte. Gerade wenn es um die traumatische Erfahrung geht, aber auch die Momente, wenn er versucht, wieder ein ganz normaler Junge zu sein, zeigt Der Distelfink, wie viel mehr möglich gewesen wäre. Und das nicht nur bei der Vergabe von Filmpreisen.



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„Der Distelfink“ startet mit so vielen guten Voraussetzungen, dass das nur gut durchschnittliche Ergebnis ziemlich enttäuscht. Vereinzelt zeigt die Verfilmung des preisgekrönten Romans um einen traumatisierten Jungen, der die Kunst liebt, was möglich gewesen wäre. Die Adaption leidet jedoch darunter, nicht genug Zeit für alles zu haben, weshalb es zwar punktuelle Höhepunkte gibt, aber keinen roten Faden bzw. ein stimmiges Gesamtbild.
6
von 10