Scala Adieu
© Douglas Wolfsperger Filmproduktion

Scala Adieu – Von Windeln verweht

Scala Adieu
„Scala Adieu – Von Windeln verweht“ // Deutschland-Start: 21. März 2019 (Kino)

Es war eine Nachricht, die besonders Filmjournalisten in München traf: Das Gabriel Kino macht zu. Jenes Kinos, in dem ein Großteil der Münchner Pressevorführungen stattfindet. Ein Ort, an dem man sich traf, um die neuesten Filme zu sehen, darüber auch manchmal hitzig zu diskutieren. Ein Ort auch mit Tradition: 1907 gegründet gilt es immerhin als eines der ältesten Kinos der Welt. Und nun steht die Tradition vor ihrem Aus, seit Jahren sinken die Besucherzahlen, das jahrzehntelang als Familienbetrieb geführte Kino rentiert sich einfach nicht mehr. Was danach kommt, weiß keiner so recht. Ein Hotel vielleicht, schließlich befindet sich das Gabriel in unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof.

Und es befindet sich in guter Gesellschaft. In ganz Deutschland sind die Kinos auf dem Rückzug, gerade kleinere Programmkinos kämpfen täglich ums Überleben und gegen den Besucherschwund. Eines dieser Programmkinos wird jetzt zumindest selbst in Form eines Filmes weiterleben, der Scala Filmpalast in Konstanz. Auch der war eine Institution, 80 Jahre wäre er letztes Jahr geworden. Aber schon vorher verschwand er aus der Konstanzer Innenstadt und damit das einzige Kino in der Region, das sich dem Arthouse verschrieben hat. Das dem Publikum mehr bieten wollte als die üblichen Blockbuster.

Kulturbeutel statt Kultur
Jetzt gibt es dort Hygieneprodukte wie der Untertitel von Scala Adieu – Von Windeln verweht bereits verrät. Statt eines Kinos befindet sich eine neue Filiale von dm in dem alten Gebäude. Bringt mehr Geld. Der Dokumentarfilm beginnt, als der Kampf der Kulturbeflissenen gegen die Kommerzialisierung noch im vollen Gange ist, als ein kleiner Teil von ihnen noch hoffte, das Unglück aufhalten zu können. Doch trotz des unermüdlichen Einsatzes, trotz einer 7000 Namen enthaltenden Unterschriftenliste, der Gegenwind war zu stark. Nicht nur vom Investor, der sich in Konstanz einkaufte und auch mithilfe von Knebelverträgen eine Auseinandersetzung verhinderte. Auch die Politik wetterte offen gegen das Vorhaben, den neuen Markt aufhalten zu wollen. Denn am Ende zählt für sie das Geld, zählt der Reichtum der Stadt. Kultur ist schön, darf Wachstum aber nicht im Wege stehen.

Douglas Wolfsperger lässt beide Seiten zu Wort kommen, die Aktivisten wie auch deren Gegner. Unparteiisch ist er indes nicht. Im Gegenteil: Der Regisseur, den selbst viele Erinnerungen mit dem Kino verbinden, kommentiert selbst kräftig das Geschehen, tritt manchmal auch vor die Kamera. Wer sich von einem Dokumentarfilm nüchterne Distanz erwartet, der ist bei Scala Adieu an der falschen Adresse. Der Film ist ein von Wehmut und Wut geprägter Abgesang auf eine Kulturlandschaft, für die es in ganz Deutschland keinen Platz mehr zu geben scheint.

Die fehlende Frage nach dem warum
Woran das liegt, das fragt Wolfsperger dabei kaum. Zwischendrin werden auch mal die Multiplex-Kinos zur Verantwortung gezogen. Dass aber auch die unter schwindenden Besucherzahlen leiden, kommt im Film nicht vor. Der Einfluss von Netflix und anderen Streamingdiensten, die unser Sehverhalten gerade nachhaltig verändern, wird nicht einmal erwähnt. Das ist schon ein wenig schade, da es hier am Ende lediglich darauf hinausläuft, dass Politik und Wirtschaft einspringen müssen, wo die Zuschauer fernbleiben. Eine Diskussion, wie man wieder ein Publikum findet und ob das heute überhaupt noch machbar ist, die bleibt aus. Ebenso, warum die Deutschen allgemein so kinofaul sind, im Vergleich etwa zu den Franzosen.

Andererseits, Scala Adieu, das auf den Hofer Filmtagen 2018 Premiere feierte, befasst sich nur zum Teil mit dem Thema Kino. Der Dokumentarfilm ist gleichermaßen die Frage, inwieweit unser Leben allgemein von Kommerzialisierung geprägt wird, wie der Filmemacher zum Schluss anmerkt. „Es geht nicht nur um das Kino. Es geht auch nicht nur um Konstanz. Es geht darum, dass Orte, an denen wir träumen, zu Orten werden, an denen wir kaufen. Dass nur noch zählt, was sich rechnet, und nicht das, was von Wert ist.“ Selbst wer nichts mit Arthouse anfangen kann und kein großer Kinogänger ist, darf hier aufhorchen, sollte es vermutlich auch. Sollte sich damit auseinandersetzen, was da eigentlich mit unseren Städten und mit uns passiert. Wer dafür noch eine Gelegenheit braucht, Wolfsperger ist derzeit mit dem Film auf großer Kinotour, Publikumsdiskussionen inklusive.



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Ein Programmkino in Konstanz macht zu, rechtfertigt das wirklich einen eigenen Film? Und ob: „Scala Adieu – Von Windeln verweht“ ist nicht nur ein Einzelfall, sondern ein auch persönliches Plädoyer dafür, unser Leben nicht allein von einer Kommerzialisierung bestimmen zu lassen. Das macht den Film selbst für die Leute relevant, die nicht in Konstanz wohnen oder Zielpublikum von Programmkinos sind.