Die Nacht ist jung Mauvais Sang

Die Nacht ist jung

Die Nacht ist jung Mauvais Sang
„Die Nacht ist jung“ // Deutschland-Start: 11. Februar 1988 (Kino)

Paris, in einer nicht zu fernen Zukunft: Ein Virus greift um sich, der Menschen befällt, die ohne Gefühle Sex miteinander haben. Einer davon: der junge Alex (Denis Lavant). Doch vielleicht gibt es ja einen Weg, diese Krankheit zu bekämpfen. Tatsächlich soll es ein Gegenmittel geben, das in einem Hightech-Labor versteckt sein soll. Gemeinsam mit den beiden alternden Kriminellen Marc (Michel Piccoli) und Hans (Hans Meyer) macht sich Alex daher auf den Weg, eben dieses Serum zu stehlen. Dabei hat er jedoch die Rechnung ohne Anna (Juliette Binoche) gemacht, die ebenso junge wie schöne Freundin von Marc, für die er wider Erwarten selbst Gefühle entwickelt.

Ein Virus, der nur Menschen angreift, die Sex außerhalb von Liebe haben, in einem Film aus den 80ern – da braucht es nicht sonderlich viel Fantasie, um die Querverbindung zu AIDS zu ziehen. Denn auch der Virus betraf ja in erster Hinsicht Leute, die wild in der Gegend herumvögeln. Gottes Strafe für Schwule lautete eine der absurden Vorwürfe aus dieser Zeit. Da liegt es doch irgendwie nahe, dass Die Nacht ist jung trotz des etwas futuristischeren Szenarios etwas über die damalige Gesellschaft auszusagen hatte. War aber nicht so. Allgemein dürfte man sich schwer damit tun, so etwas wie eine Aussage in dem Film zu finden.

Ein etwas anderer Blick
Wer andere Filme von Leos Carax kennt, etwa seinen bislang letzten aus dem Jahr 2012 (Holy Motors), der weiß das natürlich schon. Der französische Regisseur und Drehbuchautor hat eine Vorliebe für Inszenierung sowie eine Schwäche für das Skurrile und Sonderbare. Packende Geschichten erzählt er jedoch weniger. Dabei ist Die Nacht ist jung im Grundsatz klassisches Genrekino. Ein paar Gangster, ein geplanter Raubüberfall, dazu noch große Leidenschaften, finstere Hintermänner und -frauen und Verrat. Da ist eigentlich alles dabei, was es für einen klassischen Thriller braucht.

Nur dass Die Nacht ist jung eben das nicht ist. Die Jagd auf das Serum ist in erster Linie ein Vorwand für Carax, sich in zahlreichen stilistischen Spielereien zu versuchen. Die Geschichte ist Nebensache, fast schon losgelöst von dem, was sich da vorne abspielt. Auffallend ist beispielsweise die häufige Verwendung von Glas oder auch Spiegelungen. Auch der Kontrast von Farben zieht sich durch den Film, etwa zwischen großflächigem Grau und pointiertem Rot. Berühmt sind aber auch eine Fallschirmszene sowie eine Szene, in der Denis Lavant zu David Bowies Modern Love durch die Straße hechtet, in einer Mischung aus Tanz und Flucht, getragen von Euphorie.

Eine fremde Ode an die Liebe
Was dem Film an herkömmlicher Spannung fehlt, das macht er durch umso mehr Gefühl wieder wett. Gewissermaßen zumindest. Ein traditionelles Liebesdrama ist Die Nacht ist jung natürlich ebenso wenig. Es gibt hier keine Momente, die zum Schmachten verleiten, die Tränendrüsen haben eher Sendepause. Vielmehr ist der Film Ausdruck einer Sehnsucht, ein Verlangen nach Liebe. Poetisch, kunstvoll, aber auch seltsam entrückt, nur wenig fassbar. Ein Drama, das mehr Erfahrung ist als wirkliche Narration.

Dass ein solches Werk nicht unbedingt für die großen Massen gedacht ist, verwundert nicht wirklich – auch wenn es sich an die Blockbusterkonkurrenz anlehnt. Und so gibt es bis heute auch keine deutsche Veröffentlichung des Films, obwohl der seinerzeit sogar auf der Berlinale lief und anschließend in die Kinos kam. Experimentierfreudige Zuschauer sollten aber auf jeden Fall versuchen, dieses stilistische Wunderland anderweitig zu sehen, beispielsweise als Import. Denn auch wenn das knapp zwei Stunden lange Thrillerdrama Geduld und Offenheit einfordert, belohnt es doch mit jeder Menge sehenswerter Momente, die einem bekannt vorkommen und doch völlig fremd sind. Und mit diversen bekannten Schauspielern in jungen Jahren.



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„Die Nacht ist jung“ zeigt uns ein Paris der nahen Zukunft, wo drei Ganoven versuchen, ein Gegenmittel aus einem Labor zu stehlen. Das hört sich nach Genrekino an, ist aber vielmehr ein verspieltes, experimentierfreudiges Thrillerdrama über die Sehnsucht nach Gefühlen, das vor allem durch die kunstvolle Inszenierung in Erinnerung bleibt.
7
von 10