Wolf House

„La casa lobo“, Chile, 2018
Regie: Cristóbal León, Joaquín Cociña; Drehbuch: Cristóbal León, Joaquín Cociña

„La Casa Lobo“ // Deutschland-Start: 4. April 2019 (Kino)

Es war einmal eine Kolonie deutscher Auswanderer in Chile, die sehr fromm waren, über die aber lauter böse Gerüchte im Umlauf waren. Gerüchte, die man nun endlich mal aus dem Weg räumen müsste. Auch wenn Cristóbal León und Joaquín Cociña sie nicht namentlich nennen, es liegt doch schon sehr auf der Hand, dass sie mit ihrem Film die Colonia Dignidad meinen, der vor zwei Jahren ein etwas verunglücktes Filmdenkmal errichtet wurde. Aber eigentlich ist es auch egal, ob sie davon reden. Denn sie reden ohnehin nicht davon. Aber wovon reden sie dann?

Von Schweinen, die in einem kleinen Haus leben. Von einem Wolf, der da draußen lebt, aber ganz gern einmal hinein möchte in dieses kleine Haus. Das wiederum wollen die Schweine nicht. Es war einmal Maria. Die wohnte vorher in der Kolonie, bevor sie in den Wald und anschließend zu den Schweinen floh. Die wiederum sind eigentlich Menschen oder werden zumindest später dazu. Wenn sie es wollen. Ganz sicher kann man sich darüber aber nicht sein, weder über das „werden“, noch das „wollen“. So wie nichts in The Wolf House bzw. La Casa Lobo wirklich sicher ist.

Seltsam nichtssagend
Mehrere Jahre arbeiteten León und Cociña an diesem kleinen Kunstwerk, das seine Weltpremiere im Rahmen der Forum-Sektion auf der Berlinale 2018 feierte. Zeit, die sie eher nicht auf den Inhalt angewendet haben. Denn der ist mindestens kryptisch, sofern man überhaupt von einem Inhalt sprechen möchte. Eigentlich möchte man aber gar nicht sprechen, kann es auch nicht wirklich. Zu seltsam ist, was die beiden Südamerikaner hier auf die Leinwand gezaubert haben.

Ein wenig erinnert das an Alice von Jan Švankmajer. Nicht nur, dass beide auf bekannte (Quasi-)Märchen zurückgreifen – dort Alice im Wunderland, hier Die drei kleinen Schweinchen. Sie setzen sie beide mithilfe der Stop-Motion-Technik um. Einer sehr eigenwilligen, surrealen Technik. Es ist dann auch weniger das „was“, das einem hier in Erinnerung bleibt, als vielmehr das „wie“. Denn es gelingt den beiden Filmemachern hier, Wege zu beschreiten, die einem selbst als Animationsjunkie unbekannt waren und die zudem nachhaltig verstören.

Figuren, die ihre Form und Gestalt ändern, sieht man bei Stop Motion eher selten, schließlich werden dort normalerweise reale Gegenstände verwendet. Und solche sind nun mal meistens von einer festen Konsistenz. Bei Claymotion-Werken, also solchen mit Knetmassefiguren, gibt es sie, die gelegentlichen Transformationen. Luzie, der Schrecken der Straße zum Beispiel. Auch in Junk Head durften kürzlich Bäume etwas anderes sein, als sie sind. Aber das ist kein Vergleich zu der Variabilität, welche hier an den Tag gelegt wird. Nicht nur, dass Maria und die Schweine sich häufig verwandeln, sie entstehen und vergehen zudem. An einer Stelle schaut beispielsweise der Kopf von Maria aus der Wand, der Körper aus Pappmaché setzt sich erst nach und nach zusammen, vor unseren Augen.

Der Verlust von Halt und Sicherheit
Überhaupt sind Hintergrund und Vordergrund in The Wolf House nicht mehr voneinander zu trennen. Auch die Räume sind in einem ständigen Wandel begriffen, verändern Farben, Einrichtung und Atmosphäre. Manchmal sind die Figuren aber auch Teil eben der Räume, wandern als aufgemaltes Bild über die Wände – wie geisterhafte Schatten. Denn auch das eint Alice und den chilenischen Verwandten: Die Vorlage mag mal für Kinder gedacht gewesen sein, die Umsetzung ist es sicher nicht. Explizite Szenen gibt es hier nicht, dafür passiert eigentlich auch zu wenig. Die bedrückende Atmosphäre, in dem Haus eingesperrt zu sein, während draußen ein Wolf umherstreicht, die allein reicht schon, damit selbst horrorerfahrenen Erwachsenen ein wenig unheimlich sein kann. Wenn dann noch bizarre Bilder hinzukommen, finstere Puppen und verzerrte Hintergründe, weder Protagonisten noch Inhalt etwas bieten, das einem Halt und Sicherheit geben könnte, ist der Wunsch groß, sich selbst irgendwo zu verstecken. Das experimentelle The Wolf House zeigt, wie man mit minimalen Mitteln großen Schrecken verbreiten kann, ist letzten Endes furchteinflößender als ein Großteil der ausgewachsenen Horrorkonkurrenz.



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Eine deutsche Kolonie in Chile, eine junge Frau auf der Flucht, drei Schweine und ein böser Wolf – das ist die Ausgangslage für einen Stop-Motion-Film, wie man ihn noch nie gesehen hat. Dabei ist es weniger der bescheidene Inhalt, mit dem sich „The Wolf House“ ins Gedächtnis frisst, als vielmehr der kreative und zugleich höchst furchterregende Umgang mit der Technik. Denn in diesem Haus ist nichts sicher, nicht einmal die Realität.
8
von 10