Ornithologe
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„O Ornitólogo“, Portugal/Frankreich/Brasilien, 2016
Regie: João Pedro Rodrigues; Drehbuch: João Pedro Rodrigues; Musik: Séverine Ballon
Darsteller: Paul Hamy, Han Wen, Chan Suan, Xelo Cagiao

Der Ornithologe DVDEigentlich war Fernando (Paul Hamy) zu dem abgelegenen Wald in Nordportugal gereist, um Schwarzstörche zu beobachten. Als er unterwegs mit seinem Kanu kentert, hat sich dieses Thema jedoch erst mal erledigt. Glück im Unglück: Die beiden chinesischen Pilgerinnen Fei (Han Wen) und Lin (Chan Suan), die sich auf dem Weg nach Santiago de Compostela verlaufen haben, lesen ihn auf und versorgen ihn. Doch damit beginnt erst das eigentliche Abenteuer, bei dem auch der Hirte Jesus (Xelo Cagiao) eine große Rolle spielen wird.

Doch, das ist schon ganz schön da unten in Portugal. Wenn wir an das südeuropäische Land denken, dann kommen uns in erster Linie Bilder von Strand und Küstenstädten in den Sinn. Dass es dort auch größere Wälder gibt, das erfahren wir meistens erst, wenn sie mal wieder so stark brennen, dass es für die hiesigen Nachrichten reicht. Bei João Pedro Rodrigues ist die Welt jedoch noch in Ordnung. Zumindest brennt es bei ihm nicht. Nicht im wörtlichen Sinn.

Ein nackter Mann sagt mehr als Tausend Worte
Aber wörtlich sollte man in Der Ornithologe ohnehin kaum etwas nehmen. Was ein Glück, dass in dem Film dann auch nur selten gesprochen wird. Dann und wann gewinnt man sogar den Eindruck, dass der portugiesische Regisseur und Drehbuchautor gar nicht so wahnsinnig daran interessiert war, eine Geschichte zu erzählen. Stattdessen gibt es bei ihm traumhafte Bilder einer ursprünglichen Waldlandschaft, dazu das amerikanisch-französische Teilzeitmodel Paul Hamy, das es nur selten schafft, sein Hemd anzubehalten. Oder auch andere Kleidungsstücke.

Aber das ist nicht das einzige, was es hier zu sehen gibt. Da wären natürlich diverse Vögel, die herumflattern und nur darauf warten, von Fernando beobachtet zu werden. Oder warten sie darauf, selbst zu beobachten? So ganz wird es in Der Ornithologe nie klar, wer da auf welcher Seite der Linse steht. Immer wieder nimmt der Film die sprichwörtliche Vogelperspektive ein, durchbricht Gewohnheiten, am Ende auch Hierarchien. Fernando wird immer wieder zum Objekt degradiert, im Film wie auch für andere Leute, die da durch den Wald huschen. Ein Stillleben voller seltsamer Details.

Surreal, sexy und ein klein wenig böse
Und doch hat Rodrigues eine ganze Menge zu erzählen. So viel, dass es schwerfällt, alles zu verarbeiten. Aber das passt schon so, dürfte so gewollt sein. Manche Erlebnisse des Vogelbeobachters sind zumindest komisch, andere ausgesprochen surreal, wenn nicht sogar alptraumhaft. Ein Alice im Wunderland. Ohne sprechende Tiere zwar, dafür ein wenig morbide, ziemlich sexuell aufgeladen und voller religiöser Elemente. Der heilige Antonius taucht beispielsweise auf, in Name und Bild. Jener Heilige also, der als Schutzpatron der Reisenden gilt. Was hier nicht so ganz funktioniert: Gewalt und Demütigung sind ständige Begleiter. Wer in den Wald hineingeht, kommt nicht unbedingt wieder heraus. Und wenn nichts mehr geht, dann verläuft man sich eben.

Gläubige Zuschauer müssen hier dann auch mehrfach stark schlucken. Auf religiöse Befindlichkeiten nimmt Der Ornithologe keine Rücksicht, macht sich vielmehr über alles und jeden lustig. Rodrigues zeigte sich sogar stolz auf die blasphemischen Elemente. Und doch ist der Film eben auch keine Religionssatire. Er ist nicht einmal eine Komödie, auch wenn er manchmal komisch ist. Abenteuer würde es besser treffen, da im Zentrum eine nicht ganz freiwillige Reise steht und diverse Gefahren überwunden werden müssen. Der Ornithologe ist aber auch ein Abenteuer, weil es herausfordert, inhaltlich und visuell, lockt und verstört. Jeder Schritt durch den höchstens intuitiv, keinesfalls rational erfassbaren Wunderwald könnte der letzte sein, ohne dass man es merkt. Vielleicht ist man ja auch schon tot und hat es nur nicht bemerkt. Spannend ist diese so eigenartige Mischung, nicht wie ein klassischer Abenteuerfilm à la Die versunkene Stadt Z, sondern spannend, weil man hier nie weiß, was einen als nächstes erwartet. Man auch, wenn es schon vorbei war, nie weiß, was man da eben eigentlich gesehen hat.



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Ein junger Vogelbeobachter kentert in einem nordportugiesischen Wald. Doch das ist noch das geringste Problem in einem Film, der ungewöhnlich beginnt und anschließend immer seltsamer wird. Manche der surrealen Begegnungen sind lustig, andere bösartig, „Der Ornithologe“ fordert dem Publikum eine ganze Menge ab. Belohnt wird man jedoch durch fantastische, einfallsreiche Bilder und Situationen, die zu einzigartig sind, um sie je wieder zu vergessen.
8
von 10