Die feine Gesellschaft
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Die feine Gesellschaft

(OT: „Ma Loute“, Regie: Bruno Dumont, Frankreich/Deutschland, 2016)

Die feine Gesellschaft DVDEs ist schon ein recht schönes Fleckchen Erde an der Normandieküste: viel Strand, blauer Himmel, Natur, Vögelchen. Und doch gibt es da etwas, das das Glück der Anwohner empfindlich trübt. Immer wieder verschwinden Leute auf mysteriöse Art und Weise. Und so sehr die beiden Polizisten Böswald (Cyril Rigaux) und Blading (Didier Després) danach suchen, eine Lösung ist weit und breit nicht in Sicht. Verdächtige gibt es natürlich, allen voran der Fischer Rohbrecht (Thierry Lavieville) und sein Sohn Lümmel (Brandon Lavieville), die gegen Geld die vornehmen Leute übers Wasser befördern. Aber wirkliche Beweise wollen nicht auftauchen. Prekär wird die Lage, als André van Peteghem (Fabrice Luchini) und seine Frau Isabelle (Valeria Bruni Tedeschi) wie jedes Jahr Besuch von der Verwandtschaft erhalten. Christian (Jean-Luc Vincent) macht sich breit, ebenso Aude (Juliette Binoche) und deren Tochter Billie (Raph). Als die dich nämlich ausgerechnet in Lümmel verliebt, steht auf einmal die feine Gesellschaft auf dem Kopf.

Ein Mädchen aus gutem Hause verliebt sich in einen Jungen aus der Unterschicht, doch, diese Geschichte haben wir schon einmal, zweimal, Dutzende Male gehört. Oder gesehen. Aber nicht so wie hier. Nichts ist so wie hier. Fast nichts. Jacques Tati mag einem in den Sinn kommen, allgemein einige der alten Slapstickgranden. Aber auch „Alice im Wunderland“, mit der genüsslichen Demontierung bürgerlicher Sitten und vornehmer Leute. Ein bisschen Fantasy hier, dort ein paar Krimianleihen, angereichert mit einem kräftigen Schuss Horror. Heraus kommt etwas, bei dem man gar nicht so genau sagen kann, was es eigentlich sein soll. Ob es denn überhaupt etwas sein soll.

Klassisch und zugleich sehr seltsam
Bruno Dumont ist ja grundsätzlich nicht der ganz große Anhänger des Mainstreamkinos. Hier hat der französische Regisseur und Drehbuchautor nun aber eine Schar seltsamer Kreaturen um sich herum versammelt, die jegliche Erwartungen verspottet. Die beiden Polizisten etwa erinnern sicher nicht ganz zufällig an Laurel und Hardy, kommen mit ihren Ermittlungen nie voran, wohl auch weil sie zu sehr damit beschäftigt sind, den übergewichtigen Blading wiederaufzurichten. Denn der fällt dauernd hin und schafft es nicht, allein aufzustehen. Bei Familie van Peteghem sieht es nicht besser aus. Sie sind überheblich, weltfremd und durch viele Jahre der Unzucht gezeichnet. Die arme Bevölkerung erfüllt aber ebenso wenig Vorbildfunktion. Arm, aber guten Herzens? Nicht hier. Für die Fischer sind Menschen ebenfalls nur ein Mittel zum Zweck.

Vor allem zu Beginn schüttet Dumont hier ein ganzes Füllhorn aus Sonderbarkeiten und Monstrositäten aus. Immer wieder sehen wir das Kuriositätenkabinett in komischen und lächerlichen Situationen, teilweise sogar in geradezu surrealen. Die spärlich-idyllische Landschaft, sie steht in einem starken Kontrast zu den Menschen, bei denen die Natur eine kleine Auszeit genommen hat. Der Effekt ist umso stärker, da Die feine Gesellschaft zunächst gar nicht so genau verrät, welche Geschichte erzählt wird, wer die Figuren sind, was sie dort treiben.

Es geht bergab!
Das ist vor allem am Anfang großartig, wenn vieles eingeführt wird. Die skurrilen Figuren. Das seltsame Szenario. Doch das allein trägt keinen ganzen Film, vor allem nicht, wenn er knapp zwei Stunden dauert. Zum Ende hin fängt sich Die feine Gesellschaft wieder und fügt den anfänglichen Ideen noch ein paar weitere hinzu, ebenso bescheuert-absonderlich wie die ersten. Doch dazwischen gibt es viel Leerlauf. Viele Wiederholungen auch. Ein dicker Polizist, der im Sand herumrollt, hat nun mal eine begrenzte Halbwertszeit. Und die von Juliette Binoche (Meine schöne innere Sonne – Isabelle und ihre Liebhaber, Die Wolken von Sils Maria) verkörperte Landadlige ist so exaltiert, dass sie schon nach wenigen Minuten kräftig das Nervenkostüm zerbröselt. Aber auch wenn der starke Ersteindruck die Erwartungen in eine falsche Richtung schicken – wie so vieles hier –, so ist diese eigen- und fremdartige Komödie doch ein Fest für die Freunde etwas anderer Unterhaltung.



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Die Natur ist schön, das Wetter ist es auch. Wären da nur nicht die Leute. Ob es der versnobte Landadel ist oder der brutale Pöbel, in „Die feine Gesellschaft“ wimmelt es vor eigenartigen Kreaturen, die innerlich wie äußerlich missgebildet sind. Das ist vor allem anfangs ein großer Spaß, wenn der surreal-komische Film immer wieder etwas anderes macht als erwartet. Mit der Zeit wiederholt sich die Komödie aber zu sehr, zieht sich gerade im Mittelteil unnötig.
6
von 10