Ein Kuss
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Ein Kuss

(„Un Bacio“ directed by Ivan Cotroneo, 2016)

Unterschiedlicher könnten sie kaum sein, was ihre Persönlichkeit und ihr Auftreten betrifft. Und doch haben die drei Schüler Lorenzo (Rimau Grillo Ritzberger), Blu (Valentina Romani) und Antonio (Leonardo Pazzagli) eines gemeinsam: Sie sind Außenseiter. Während Lorenzo mit farbenfrohen Outfits seine Homosexualität unterstreicht, was in dem italienischen Provinzgymnasium auf wenig Gegenliebe stößt, ist Blu als Nutte gebrandmarkt, seitdem sie im Jahr zuvor mit vier Jungs gleichzeitig geschlafen hat. Antonio wiederum ist sich  selbst im Weg: Gut aussehend und ein begabter Basketballspieler stehen ihm die Tore zu den anderen offen, welche der seit dem Tod seines Bruders sehr verschlossene und als zurückgeblieben geltende Junge aber ignoriert. Schnell werden die drei zu besten Freunden, blühen auf, stoßen dabei aber auf alte wie neue Probleme.

Die Jugend ist eine Hölle, durch die wir alle einmal durchmüssen, mal gestärkt und bereichert wieder verlassen, mal auch zerstört und auf Jahre traumatisiert. Es ist eine Zeit, in der wir uns selbst entdecken dürfen, das andere – oder eigene – Geschlecht, langsam beginnen, unseren individuellen Platz in dieser großen und furchtbar komplizierten Welt zu suchen. Und eben dieser Hölle aus Unsicherheiten, Ängsten und Begierden nähert sich Regisseur und Drehbuchautor Ivan Cotroneo hier behutsam und mit viel Verständnis für das Leid seiner drei jungen Protagonisten an.

Das erinnert auf den ersten Blick an Die Mitte der Welt, zum einen weil hier wie dort drei unterschiedliche Protagonisten erst zusammenfinden müssen und zu einer festen Clique werden, welche die Welt da draußen lässt. Es ist aber auch der Hang von Cotroneo zum Überbordenden, Verspielten, welcher Ein Kuss von vielen anderen LGBT-gefärbten Jugenddramen unterscheidet. Vor allem Lorenzo lässt seiner Fantasie freien Lauf, zelebriert seine Homosexualität geradezu, sieht sich als Star einer Fernsehshow und Mittelpunkt des Schulgeschehens – und der Zuschauer gleich mit. Auch Antonio ist nicht so ganz in der Realität zu Hause, immer wieder taucht sein verstorbener Bruder für kleine Unterhaltungen auf. Und selbst Blu verdrängt ganz gerne mal, was war, wenngleich das bei ihr erst sehr viel später offensichtlich wird.

Bis es so weit ist, ist Ein Kuss ein ausgesprochen leichtfüßiger Film, ein Feel-Good-Drama, das eine Liebeserklärung an die Freundschaft und alle Außenseiter dieser Welt ist. Immer wieder zeigt er uns anhand seiner drei kleinen Anti-Helden, dass die Jugend gar nicht so furchtbar sein muss. Es gilt nur ,die richtigen Leute zu finden, mit denen man das Minenfeld der Pubertät durchstreiten kann. Leute, die einen wieder zusammenflicken, wenn man gerade in Stücke zerfetzt wurde. Darum geht es dann auch über weite Strecken: Toleranz gegenüber Andersartigen, Selbstakzeptanz und Hoffnung. Denn irgendwann wird alles besser, bestimmt!

Diese oft mitreißende Beiläufigkeit des Alltags von Lorenzo, Blu und Antonio ist aber eben nur ein Teil des Bilds. Als wäre es Cotroneo nicht genug, gut gelaunte Alternativen zum mobbinggeprägten Schulhorror zu präsentieren, ist sein Appell zum Ende ein bisschen sehr dramatisch geworden. Es sind schon sehr harte, nicht unbedingt repräsentative Ausgangssituationen, die hier geboten werden – Lorenzo ist ein Waisenkind, Antonio hat einen Bruder verloren. Situationen, die später durch einige andere, äußerst drastische Erfahrungen und Erkenntnisse noch einmal pechschwarz angemalt werden. Das ist sicher gut gemeint und auch ausgesprochen effektiv, wenn es darum geht, das Publikum zu mehr Achtsamkeit beim Umgang miteinander zu bringen. Und auch dazu, Ängste anzunehmen und sich ihnen zu stellen. Sonderlich subtil sind seine schweren Geschosse aber nicht, da zeigte sich das kürzlich gezeigte, ebenfalls von einer Selbstsuche handelnde Closet Monster von einer insgesamt ausgeglicheneren Seite. Dennoch macht es auch hier über weite Strecken Spaß, den drei italienischen Nachwuchsdarstellern beim Träumen, Lachen und Leiden zuzusehen. Und daran zurückzudenken, wie das damals selbst war, als man in dieser Hölle feststeckte.



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„Ein Kuss“ zeigt anhand dreier Außenseiter sehr schön, was es heißt, in einer schwierigen Jugend zu stecken. Das ist über weite Strecken gleichzeitig verspielt und schön beiläufig, nur zum Ende hin wurden etwas unnötig schwere Geschosse ausgegraben, um das Toleranzplädoyer an den Mann zu bringen.
7
von 10