American Honey
© Universal Pictures

American Honey

(„American Honey“ directed by Andrea Arnold, 2016)

„American Honey“ läuft ab 13. Oktober im Kino

Die 18-jährige Star (Sasha Lane) ist es leid, dieses Leben ohne Geld, ohne jegliche Perspektive. Leid, mit ihren kleinen Geschwistern die Mülltonnen nach Essbarem zu durchwühlen, weil ihre Mutter sich nicht um sie kümmert. Als sie dem charismatischen Jake (Shia LaBeouf) begegnet, der mit einer Gruppe Jugendlicher durchs Land zieht und Zeitschriftenabos verkauft, scheint der Ausweg endlich da zu sein. Und so schließt sie sich kurzerhand der Truppe an, in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Ganz so einfach wie erhofft ist das Leben auf der Straße jedoch nicht, denn nur wer genügend verkauft, bekommt den Respekt der Anführerin Krystal (Riley Keough). Und die ist gar nicht erfreut darüber, dass der Neuzugang offensichtlich Gefühle für ihren Powerseller Jake hat.

Sonderlich eilig hat es Andrea Arnold bei ihrem neuesten Film ja nicht. Nicht nur dass es fünf Jahre dauerte, bis sich die Regisseurin und Drehbuchautorin nach Wuthering Heights mal wieder zu Wort meldete, mit 160 Minuten fordert die gefeierte Indie-Filmemacherin einiges an Geduld. Umso mehr, da American Honey keine wirkliche Geschichte zu erzählen hat. Nach nur wenigen Minuten ist Star bereits Teil der Truppe, die folgenden Stunden folgen wir den Jugendlichen durchs Land, erleben sie bei ihrer „Arbeit“, aber auch in den Momenten abseits der Haustüren. Lediglich das komplizierte und sich zunehmend intensivierende Verhältnis zwischen der Jugendlichen und ihrem Mentor Jake spinnt eine Art roten Faden. Der Rest sind mehr oder weniger unzusammenhängende Episoden, die auch in anderer Reihenfolge hätten gezeigt werden können, ohne dass es weiter auffiele.

Das wird sich für den einen oder anderen vielleicht nicht allzu spannend anhören. Tatsächlich gibt es auch nur wenige Höhepunkte im eigentlichen Sinn, nur selten einen Ausschlag nach oben. Und doch ist American Honey fesselnd, sehr viel fesselnder, als es ein derart handlungsarmer Mammutfilm normalerweise sein sollte. Aber für eine normale Herangehensweise hat sich Arnold noch nie interessiert. Anstatt sich an bewährte Filmkonventionen zu halten, setzte sie schon immer vor allem auf Realismus und Natürlichkeit. Und so ist dann auch ihr insgesamt vierter Film hauptsächlich von Laiendarstellern bevölkert, Menschen, die selten bis nie vor einer Kamera gestanden haben. Menschen, denen die Engländerin aber solche Höchstleistungen entlockt, dass man dies gar nicht merkt – vor allem bei der absoluten Entdeckung Sasha Lane. Mehr noch, zwischenzeitlich vergisst man sogar, hier überhaupt in einem Film zu sitzen, so natürlich, so ungeschminkt ist der Road Trip.

Anders als zuletzt bei Wuthering Heights lässt die Authentizitätsverfechterin dieses Mal auch Musik zu, bedient sich dabei aber eines Kniffs: Es sind Lieder, welche die Truppe während der Autofahrten hört. Auf diese Weise fügen sie sich harmonischer in das Geschehen ein, als es bei den meisten Filmen der Fall ist, wo sie der Übertönung der Stille dienen. Dabei folgt der Soundtrack keinem bestimmten Schema, so ziellos die Reise der Jugendlichen, so kreuz und quer auch die Musikgenres: Da ist von Bruce Springsteen über Mazzy Star bis zu Rihanna so ziemlich alles dabei. Und auch das kommt dem Film zugute, der vor allem vom Suchen und Sehnen erzählt, nicht vom Finden.

Es ist dann auch eher ein Gefühl, welches American Honey zusammenhält, als ein konkreter Inhalt. Ein Gefühl, welches sich leicht auf den Zuschauer überträgt, selbst wenn die Figuren kaum fassbar sind. „Hast du irgendwelche Träume?“, wird an zwei Stellen im Film gefragt, worauf keiner einer Antwort zu haben scheint. So sehr sind die Jugendlichen damit beschäftigt, Geschichten zu verkaufen, dass ihre eigene dabei verlorengegangen ist. Und den meisten scheint dies auch egal zu sein, so lange am Ende das Geld stimmt, sie einen Platz zum Schlafen haben, zwischendurch auch feiern dürfen. Immer weiter, wohin auch immer. Das ist mal erschütternd, dann wieder widerlich, wenn die Drückerkolonne nach neuen Maschen sucht, manchmal fast schon komisch oder einfach nur traurig. Arnold verweigert sich auch hier einfachen Antworten, gibt lieber keine, anstatt Kompromisse eingehen zu müssen. Das eine oder andere Klischee findet sich in dem Wirbelwind schon, ebenso manches Logikloch. Aber noch bevor wir darüber nachdenken können, sind wir schon wieder weiter, in einer anderen Stadt, in einem anderen Motel, immer auf der Jagd nach einem Traum, von dem wir gar nicht wissen, wie er eigentlich aussieht.



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Rau, natürlich, widersprüchlich: In „American Honey“ folgen wir einer jugendlichen Drückerkolonne durchs Land. Der Anblick ist oft nicht schön, gibt auch nicht immer die Antworten, die wir gern hätten, ist aber so authentisch, dabei noch stark gespielt, dass die überlange Reise trotz ihrer Ziellosigkeit fast durchgängig fesselt.
8
von 10