Europe She Loves
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Europe, She Loves

(„Europe, She Loves“ directed by Jan Gassmann, 2016)

„Europe, She Loves“ läuft ab 29. September im Kino

Nicht erst seit dem Scherbenhaufen, den der überraschende Brexit hinterlassen hat, grübeln auf dem ganzen Kontinent die Menschen, wie es denn nun mit dem Problemkind Europa weitergehen soll. Wo eine echte gemeinsame Vision fehlt, die Union in den Augen der Menschen zu einer realitätsfernen Zweckgemeinschaft verkommen ist, da melden sich am rechten Rand Leute zu Wort, die mit leicht verständlichen Parolen immer mehr Leute hinter sich scharen. Auch in Europe, She Loves dürfen wir die Meinungsmacher hören, jedoch nur beiläufig, wenn im Hintergrund Fernseher oder Radio laufen. Stattdessen widmet sich der Schweizer Filmemacher Jan Gassmann (Heimatland), der Titel verrät es bereits, dem Thema Liebe.

Mit Europa hat das nur indirekt zu tun, denn weder die Union, noch der Kontinent spielen eine wirkliche Rolle. Vielmehr sind es vier junge Paare, die im Mittelpunkt stehen, aus vier verschiedenen europäischen Ländern, und versuchen, das Beste aus der Situation zu machen. Irland und Spanien, Estland und Griechenland – dass hier nicht unbedingt die großen Gewinner der EU gezeigt werden, gibt natürlich den Ton an, zumindest drei der vier Paare haben mit geringen Einnahmen und einer unsicheren Zukunft zu kämpfen.

Beispiel Caro. Die lebt noch immer bei ihrer Mutter, verdient ein wenig Geld als Bedienung, hofft auf einen Master-Platz oder auch von einem Leben woanders. Ihr Freund Juan ist da genügsamer, hegt weder große Ambitionen, noch zeigt er sich übermäßig arbeitseifrig, was regelmäßig zu Spannungen führt. Ganz ähnlich geht es Penny, die zusammen mit dem älteren Pizzaboten Niko in Thessaloniki lebt, aber viel lieber nach Italien ginge. Worauf er jedoch keine Lust hat. Leidenschaft zeigt sich bei den beiden höchstens im Streit, ansonsten dürfte nicht einmal den zweien wirklich klar sein, warum sie überhaupt noch zusammen sind.

Und auch die Iren Siobhan und Terry haben mit ihrer Situation zu kämpfen. In ihrem Fall ist es jedoch nur zum Teil die Zukunft, welche ihnen Probleme bereitet, sondern die gemeinsame Drogenvergangenheit. Die wollen sie hinter sich lassen, auch mit den schlechten Erfahrungen aus Terrys früherer Abhängigkeit im Kopf. Doch so ganz will das nicht gelingen, zumal auch bei ihnen Geld Mangelware ist, sie sich ständig von Bohnen ernähren und sich mit Auftritten auf der Straße ein paar Kröten dazuverdienen. Veronika und Harri, die in Tallinn daheim sind, scheinen als einziges Paar keine materiellen Nöte zu haben. Ihr Problem ist vielmehr der Patchwork-Charakter ihrer Familie, gerade das Verhältnis von Sohn zu Stiefvater könnte besser sein.

Und so wechselt Gassmann ständig hin und her, zeigt mal eine Szene des einen Paares, dann die eines anderen. Die Übergänge sind dabei gut gelungen, teils regelrecht kunstvoll. Ansonsten zeichnet sich Europe, She Loves aber im Gegenteil weniger durch Kunstfertigkeit als vielmehr Intimität aus. So sehr ins Detail geht der Dokumentarfilm, in den schönen wie schlechten Momenten, selbst bei den häufigen und überraschend expliziten Sexszenen, als hätten die Protagonisten vergessen, dass hier ja noch eine Kamera mitläuft. Als Kommentar über Europa ist das nicht ganz so geeignet, eine wirkliche Aussage wird man hier vergeblich suchen. Stattdessen darf man hier acht Menschen beim Leben zuschauen, beim Lieben und Streiten, beim Bangen und Hoffen. Nichts davon wird die Welt verändern, kaum einer dürfte überhaupt von den so unscheinbaren und dennoch aussagekräftigen Paaren Notiz nehmen. Aber es sind universelle Geschichten, welche der Schweizer bewundernswert beiläufig erzählt. Geschichten der Orientierungslosigkeit und Sinnsuche, bei denen es auch in Deutschland nicht schwerfällt, sich irgendwo in ihnen wiederzufinden.



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Vier Paare, ein Schicksal? Nicht so ganz, auch wenn es der Titel impliziert, der Dokumentarfilm hat Europa nur mit einem halben Auge im Blick, erzählt dafür umso authentischer und intimer aus dem Leben der Protagonisten. Wirklich ungewöhnlich sind die nicht, vielmehr sogar in ihrer Sinnsuche so universell, dass daraus ein beeindruckendes und lebensnahes Porträt entsteht.