Prisoners

Prisoners

(„Prisoners“ directed by Denis Villeneuve, 2013)

PrisonersDas Wetter ist trübe, die Straßen verwaist, jeder hat es sich zum Feiern in den eigenen vier Wänden gemütlich gemacht. Nichts also deutet darauf hin, dass dieses Thanksgiving anders verlaufen sollte als die Male zuvor. Aber in der Kleinstadt irgendwo in der Einöde Pennsylvanias passiert ohnehin nie was. Und so schnappen sich Keller (Hugh Jackman) und Grace Dover (Maria Bello) die beiden Kinder, um mit den Nachbarn Franklin (Terrence Howard) und Nancy Birch (Viola Davis) und deren Töchter zusammen zu feiern. Man isst, unterhält sich, musiziert zusammen, ein Familientag wie aus dem Bilderbuch.

Doch diese Bilder nehmen im späteren Verlauf alptraumhafte Züge an, als die beiden Jüngsten der Familie draußen spurlos verschwinden. Die Hoffnung, die Kinder hätten sich vielleicht versteckt oder beim Spielen die Zeit vergessen, zerschlagen sich bald, da muss etwas Anderes dahinterstecken. Oder auch jemand. Einen Schuldigen haben die Familien auch bald ausgemacht: Der geistig zurückgebliebene Alex Jones (Paul Dano) hatte nachmittags mit seinem Wohnmobil in der Nähe geparkt und die Töchter hatten dieses unbedingt von innen ansehen wollen. Als Alex bei der Vernehmung durch Detective Loki (Jake Gyllenhaal) auch noch fliehen will, ist die Sachlage klar. Doch Beweise gibt es nicht und der Verdächtige ist bald wieder auf freiem Fuß. Während Loki auf der Suche nach Hinweisen ist, beschließt Keller, die Sache selbst in die Hand zu nehmen – schließlich steht das Leben seiner Tochter auf dem Spiel.Prisoners Szene 1

Nach wirklich viel Handlung hört sich das nicht an. Wenn man dann auch noch erfährt, dass abgesehen von den Personen oben kaum jemand mehr hinzukommt und auch die Schauplätze sehr überschaubar sind, stellt sich einem unweigerlich die Frage: Wie will man mit dem Material bitte schön zweieinhalb Stunden füllen? Zur großen Überraschung funktioniert das nicht nur, sondern ist auch noch verflucht spannend. Obwohl die Bestandteile einfach sind und trotz Überlänge, Prisoners kommt praktisch ohne Längen aus. Und damit hat der franko-kanadische Regisseur Denis Villeneuve so manchem alteingesessenen Hollywoodkollegen einiges voraus.

Spannend ist der Film aber nur zum Teil aufgrund des Falls an sich. Der ist in Ordnung, neben dem Hauptverdächtigen tun sich mit der Zeit noch andere Fährten auf. Richtig komplex wird es jedoch nie, Villeneuve lässt sich viel Zeit beim Nachgehen dieser Spuren und überfordert seine Zuschauer auch nie mit mehreren parallel laufenden Lösungsansätzen. Ein traditioneller Whodunit mit vertrackten Tatvorgängen, dutzenden Verdächtigen und ebenso vielen Motiven ist Prisoners also nicht, Krimifans bekommen hier nur wenig zum Grübeln.

Nein, die eigentliche Stärke des Films sind seine Protagonisten. Denkt man anfangs, der Titel würde sich allein auf die beiden entführten Mädchen beziehen, ahnt man schnell, dass jeder hier auf seine Weise ein „Gefangener“ ist: Loki kämpft gegen die Reglementierungen seines Berufes, Keller kann vor lauter Rachegedanken kein Recht und Unrecht unterscheiden, seine schwer depressive Frau Grace ist ans Bett gefesselt, Alex spricht seit seiner Jugend nicht mehr, dessen Tante Holly (Melissa Leo) lebt einsam in ihrem Haus. Jeder hat hier irgendwo seine Leichen im Keller, seine dunklen Geheimnisse und erlittenen Traumata. Zeitweise kommt hier so viel ans Tageslicht, dass die Kleinstadt so düster wirkt wie Twin Peaks oder das Boston in Hannibal – und auch ebenso übertrieben.Prisoners Szene 2

Interessant sind dabei vor allem die verschiedenen Ansätze, mit Schicksalsschlägen umzugehen. Immer wieder fragt Keller die anderen und damit die Zuschauer, wie sie in seiner Situation reagieren würden. Villeneuve vermeidet es jedoch, eine eigene Antwort auf dieses moralische Dilemma geben zu wollen, überlasst dies lieber seinen Figuren. Und die fallen oft erschreckend aus, sind in ihrem Schmerz und der Verzweiflung aber immer auch nachvollziehbar. Prisoners ist damit eben nicht nur herkömmlicher Entführungsthriller, sondern gleichzeitig auch eine Charakterstudie über die Auswirkungen von Schicksalsschlägen. Jackman hat dabei die dankbarste Rolle als auseinanderbrechender Vater; eine Aufgabe, die der Australier mit Bravour löst. Aber auch Gyllenhaal als einsamer Cop hat seine starken Momente.

Wem Prisoners gefallen hat, der sollte sich übrigens schon einmal den 22. Mai vormerken. An dem Tag startet nämlich Enemy in unseren Kinos, den Villeneuve zusammen mit Gyllenhaal noch vor seinem großen Durchbruch gedreht hat. Und auch dort bleiben die beiden dem Thrillergenre treu.

Prisoners ist seit 13. Februar auf DVD und Blu-ray erhältlich



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Wie gehen wir mit Schicksalsschlägen um? Wie würde der Zuschauer in einer solchen Situation reagieren? Verpackt in einen Entführungsthriller präsentiert uns der kanadische Regisseur Denis Villeneuve eine Charakterstudie, die trotz Überlänge und einfacher Geschichte bis zum Schluss seine Spannung hält.
8
von 10