Imagine

Imagine

(„Imagine“ directed by Andrzej Jakimowski, 2012)

Imagine„Imagine all the people living for today“

Nein, mit John Lennons gleichnamiger Weltverbesserungsschnulze hat Imagine trotz des gleichlautenden Titels nichts zu tun. Eine gewisse Gemeinsamkeit, und zwar die Betonung der Vorstellungskraft und eine allgemeine Verträumtheit, die ist aber in Film und Lied gleichermaßen zu finden. Hier ist beides aber nur zum Teil einer philosophischen Grundansicht geschuldet. Ebenso groß ist ein weniger schöner Einflussfaktor: Nahezu jeder Protagonist in der europäischen Koproduktion ist blind.

Auch Ian (Edward Hogg) ist ein Blick auf die Welt nicht vergönnt. Da, wo andere Menschen zwei Sehapparate das Umfeld erkunden, sitzen bei ihm nur Glasaugen. Doch der Engländer hat sich längst mit diesem Umstand arrangiert und seine ganz eigenen Methoden gefunden, sich zurechtzufinden. Ein Blindenstock? Nein, den lehnt Ian entschieden ab, denn er sieht sich nicht als Behinderten. Vielmehr hat er für sich die Vorteile der Echoortung für sich entdeckt. Bei dieser Methode, sonst eher von Tieren wie Fledermäusen bekannt, sendet man akustische Signale aus und erkennt anhand des Echos, wie die Umgebung aussieht. Aber auch Menschen können diese Technik erlernen, Ian ist dadurch beispielsweise in der Lage, ein Fahrrad mitten im Hof zu finden.Imagine Szene 1

Verbreitet ist die menschliche Echoortung aber nicht und so versetzt der Blinde die anderen Menschen immer wieder in Erstaunen. Menschen mit Sehbeeinträchtigungen ohnehin, die ihm oftmals nicht glauben, dass Ian tatsächlich nicht sehen kann. Beim Leiter einer Augenklinik (Francis Frappat) hinterlässt er ebenfalls großen Eindruck, weshalb der ihn auch einstellt, um seinen jungen Patienten zu helfen, sich im Leben zurechtzufinden. Die sind nach anfänglicher Skepsis auch begeistert von dem Mann und seinen eigenwilligen Methoden. Und auch die erwachsene Eva (Alexandra Maria Lara) verfällt bald Ians Charme. Doch diese anfängliche Begeisterung ist nicht auf Dauer, wird nach und nach von Misstrauen, Missgunst, sogar Neid ersetzt.

Filme über Behinderungen und den Versuch damit umzugehen, das läuft oft auf furchtbar ernste Dramen hinaus. Das kann mal gelungen sein wie etwa bei Der Geschmack von Rost und Knochen, geht oft aber nicht über Betroffenheitskitsch hinaus. Ziemlich beste Freunde zeigte vor zwei Jahren, dass man aber auch bei schweren Themen Humor haben kann und darf. Imagine geht nun eine Art Mittelweg. Anders als Der Duft der Frauen vor über zwanzig Jahren über einen verbitterten und lebensmüden Blinden wird hier das Leben gefeiert, traurige und komische Elemente miteinander verbunden. Ian hält die anderen dazu an, bewusst wahrzunehmen, alle Sinne zu nutzen und auch nicht vor dem Vorstellen und dem Träumen zurückzuschrecken, um so die Leerstellen zu füllen.Imagine Szene 2

Die Grundeinstellung der Tragikomödie ist also durchaus optimistisch und auch wenn zum Ende vielleicht kein klassisches Happy End wartet, sieht man die Welt doch danach mit etwas anderen Augen. Für die Optik wird innerhalb des Films hingegen wenig geboten, auf Spielereien mit Unschärfen à la Stadt der Blinden wurde hier verzichtet. Stattdessen sieht man ganz unspektakuläre Bilder: Ian und die anderen Blinden, wie sie miteinander reden, durch den Hof laufen, manchmal aber auch nur auf der Bank sitzen und lauschen. Und es lohnt sich, selbst etwas mitzuhören. Egal ob es Vögelzwitschern ist, Verkehrslärm, das Klacken von Schuhen auf dem Gehweg oder vielleicht doch das Meer, immer sind da Geräusche, die wir sonst in Filmen aber nie wahrnehmen. Insofern ist Imagine auch ein kleines Plädoyer dafür, wieder etwas bewusster auf die Welt zu „hören“.

Und als solches ist der Film durchaus gelungen. Was der Tragikomödie aber etwas fehlt wäre eine eigentliche Handlung oder wirkliche Charaktere. Ian wird nur als idealistischer Exzentriker gezeigt, der kompromisslos seinem eigenen Weg folgt, egal was es kostet. Die Schüler bleiben bis zum Ende blass, sind nie mehr als Zuhörer. Am ehesten sieht man noch bei Eva eine Entwicklung, die anfangs in Melancholie versinkt, später aber wieder Lebensfreude und sogar Eitelkeit entwickelt. Ansonsten passiert nicht viel, weswegen sich so mancher Kinobesucher eher langweilen wird. Wer hingegen derlei ruhige Filme mag und gerade zum neuen Jahr wieder etwas träumen mag, wird nach den 104 Minuten sicher mit einem Lächeln aus dem Saal gehen.

Imagine läuft seit 2. Januar im Kino



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Ohne spektakuläre Bilder und eine eigentliche Handlung, dafür mit einer interessanten Geräuschkulisse erzählt Imagine von einem Blinden, der die Welt ohne Hilfsmittel erleben will. Die lebensbejahende Tragikomödie ist dabei vor allem Anhängern von ruhigen Filmen zu empfehlen, die gerne auch etwas träumen.
6
von 10