Mammut

Mammut

(„Mammoth“ directed by Lukas Moodysson, 2009)

Lukas Moodysson wird seit seinem Spielfilmdebüt Raus aus Åmål als aufgehender Stern des europäischen Kinos gehandelt, ich selbst kann neben besagten Film allerdings nur A Hole In My Heart als gesehen abhaken, weshalb ich mich umso mehr freute bereits jetzt, vor offiziellem deutschen Kinostart am 10.06, einen Blick auf seinen letzten Streich werfen zu können. Wenn sich der Schwede in den von mir gesehenen Werken ausschließlich auf die skandinavische Kultur konzentrierte, so findet in Mammut ein willkommener Tapetenwechsel statt. Der Zuschauer wird gleich zu Beginn mit dem fröhlichen, nein ich würde sogar sagen überschwänglichen, Beisammensein der Vidales, einer geradezu perfekt wirkenden Familie aus New York, konfrontiert.

Die Protagonisten dabei: sie, Ellen (Michelle Williams), erfolgreiche Chirurgin und Teilzeitmutter – er, Leo (Gael García Bernal), ehemaliger Videospiele Nerd der aus seinem Hobby ein lukratives Geschäft machte. Gemeinsam führen sie nun eine finanziell sorgenfreie Ehe und für ihre einzige Tochter Jackie (Sophie Nyweide) ist das Beste gerade mal gut genug. Bedingt durch die Jobs ihrer Eltern wächst die Kleine allerdings primär unter der Obhut von Gloria, ihrem philippinischen Kindermädchen (Marife Necesito), auf. Die perfekte Fassade, die sich vor allem in einem riesigen und durchdesingten Appartement mitten in NYC widerspiegelt, beginnt langsam aber sicher zu bröckeln als Leo nach Thailand abreisen muss um dort das Geschäft seines Lebens abzuschließen.

Von nun an teilt der Regisseur und Drehbuchautor seinen Film in drei Erzählstränge bzw. Perspektiven auf, die sich zeitgleich in den USA, Thailand und den Philippinen abspielen. Wenn in den ersten beiden der Alltag und die Gedanken des Ehepaars ausgeleuchtet werden, wird im letzteren näher auf Garcias Familie eingegangen, derentwegen sie überhaupt erst im Big Apple nach Arbeit suchte. Das Paradoxe an der Geschichte: um ihre zwei Söhne auf die Schule schicken zu können, ihnen medizinischen Beistand zu sichern und damit sie überhaupt etwas zu essen auf den Tellern haben, passt ihre Mutter auf ein fremdes Kind auf. Wenn das Kindermädchen, in einem Geschäft in Amerika, als Geburtstagsgeschenk für ihren Jüngsten dann auch noch einen Basketball mit der Aufschrift „made in the Philippines“ kauft, bringt Moodysson den Werdegang unserer globalisierten Welt sehr einfach aber präzise auf den Punkt.

Die schwedisch-dänisch-deutsche Produktion versteht sich aber keineswegs als eine plumpe Hasstirade gegen die Liberalisierung des Welthandels, sondern bietet neben diesem Aspekt äußert interessante Figuren deren Sehnsüchte, Zweifel und Fragen nach dem „Warum“, sie kurz gesagt echt wirken lassen und das Publikum somit direkt ansprechen. So behaupte ich, wird jedem Kinobesucher die eine oder andere Szene oder ein einfacher Gefühlsausbruch vertraut vorkommen, was bei mir dazu führte dass ich gegen Ende der fast zwei Stunden mental ziemlich zerworfen war.

Bernal, der mir zuletzt in Iñarritus Babel wahnsinnig gut gefiel und auch in der Hauptrolle bei Die Reise des jungen Che eine gute Figur machte, spielt hier wohl den Charakter der am meisten über sein Dasein reflektiert. Wir verfolgen ihn auf seiner Sinneswanderung durch Thailand auf Schritt und Tritt, bei der Moodysson natürlich keine Gelegenheit auslässt um an den ausufernden Sextourismus zu verweisen, der dort leider Realität ist.

Grandios auch Williams (Shutter Island), dessen verzweifelte Bemühungen einen Zugang zu ihrer Tochter zu finden, zumindest bei mir, unter die Haut gehen. Ihre Tochter lehnt es strikt ab mit ihr Pizza zu backen oder sonst etwas zu unternehmen, da erscheint Jackie die wöchentliche Messe in der Kirche, zu der sie oft mit Garcia geht, wesentlich interessanter, womit wir auch schon bei einem weiteren Thema wären. Der schwedische Filmemacher sät geduldig über die gesamte Laufzeit, oft wirklich nur kleine in Form von Abbildungen vorkommende, christliche Symbole, konfrontiert das Thema aber nur einmal so richtig, wenn es etwa um die Urknall-Diskussion zwischen Garcia und Jackie geht.

Zunächst scheint es so als würde sich gegen Ende, zumindest für Familie Vidales, alles zum Besseren entwickeln, doch der letztendlich bewusst kitschig anmutende und übertrieben glückliche Familienschnappschuss ist noch einmal Beweis für Moodyssons doch recht negatives Menschenbild, schließlich deuten Ellens Schlussworte „Wir müssen ein neues Kindermädchen suchen“ und die stimmlich zum Intro identische Schlusssequenz, unmissverständlich darauf hin, dass wir wieder am Anfang des Films angekommen sind.

Musikalisch wird der Streifen meist durch neuzeitliche Musik unterlegt die sehr passend und stimmig gewählt ist. Inwiefern übrigens die deutsche Synchronisation gelungen ist, kann ich nicht zu 100% sagen, schließlich lag der Presse-Screener ohne O-Ton vor. An einigen Stellen, vor allem aber am Anfang, klingt Bernals Sprecher jedenfalls etwas seltsam, was sich aber mit fortschreiten der Laufzeit etwas legt. Insgesamt ist und bleibt aber Mammut (dessen Namensgebung übrigens an einer wenig aufregenden aber nichts desto trotz Schlüsselszene im Film deutlich wird) mit Sicherheit gutes, europäisches Independent-Kino das begeistert, den Zuschauer mitreißt und von dem man sich für die Zukunft eindeutig noch mehr wünscht.



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