
Michael Armstrong (Paul Newman), Professor für Atomphysik, reist gemeinsam mit seiner Verlobten und Assistentin Sarah Sherman (Julie Andrews) zu einem wissenschaftlichen Kongress nach Kopenhagen. Während des Kongresses benimmt sich Michael seltsam und abweisend gegenüber seiner Verlobten. Als er zu ihrer Überraschung nach Ost-Berlin reist, reist Sarah ihm nach. Dort angekommen wird er von einem Komitee der führenden Politiker des Landes empfangen, die ihm zu seinem Übertritt in den Osten gratulieren. Sarah ist schockiert und versucht, ihren Verlobten zur Rede zu stellen, doch Michael besteht darauf, dass sie zurück in die USA reist und ihn vergessen soll. So leicht will sie es ihm jedoch nicht machen und gibt gegenüber der Staatssicherheit an, sie wolle ebenfalls im Osten bleiben und Michael bei seiner Forschung für die Sowjetunion behilflich sein.
Was Sarah nicht weiß: Michaels Übertritt ist nur Tarnung. Im Dienste der USA will er einem der führenden Wissenschaftler Ostdeutschlands eine Formel entlocken, die im Kalten Krieg einen entscheidenden Vorteil bedeuten könnte. Ein gefährlicher Zwischenfall droht jedoch, seine Mission zu entlarven – und bringt beide in große Gefahr.
„Nicht der Film, den ich machen wollte.“
In den 1960er-Jahren manifestierte Alfred Hitchcock seinen Ruf als einer der besten Regisseure im Thrillergenre. Nach Filmen wie Die Vögel, Psycho und Marnie war er eigentlich in der Lage, sich den Stoff für sein nächstes Projekt auszusuchen. Dennoch sagte er später im berühmten Interview mit François Truffaut, Der zerrissene Vorhang sei ihm von Universal geradezu aufgezwungen worden. Die Geschichte interessierte Hitchcock, doch schon bei der Besetzung und später bei der Filmmusik gab es Streitigkeiten mit Universal, die einen familienfreundlicheren Ton anstrebten, der aber nicht Hitchcocks Intention war. Der zerrissene Vorhang ist einer der Filme, den der berühmte Filmemacher sehr kritisch betrachtete, auch wenn er ein paar Aspekte durchaus als sehr gelungen einschätzte. Es mag schon stimmen, dass Der zerrissene Vorhang im Schatten der bereits genannten Werke Hitchcocks steht, doch als Geschichte über die Machenschaften hinter den Kulissen der Weltpolitik ist der Film sehr interessant. Vielleicht hat auch dies dazu geführt, dass Hitchcock diesen Film so kritisch betrachtet – ist er doch neben dem ebenfalls oft unterschätzten Topas sein politischstes Werk.
Eine Szene, die Hitchcock sehr mochte und die als Schlüsselmoment für Der zerrissene Vorhang dient, ist die Sequenz im Bus. Gemeinsam mit einer Gruppe Menschen versuchen Michael und Sarah von Leipzig zurück nach Ost-Berlin zu gelangen, während ihnen die Volkspolizei auf den Fersen ist. Den übrigen Passagieren ist dieser Umstand bewusst, und sie sind sich der Gefahr bewusst, die von „den Amerikanern“ ausgeht. Hitchcock vermischt die sich nähernde Polizei mit der explosiven Eigendynamik im Bus, die sich immer mehr gegen Michael und Sarah richtet. Die Bedrohung durch ein repressives System schafft nicht nur neue Feindbilder, sondern wirkt sich zersetzend auf das menschliche Miteinander aus. Die Konventionen des Thrillers verstärken in solchen Momenten die politische Botschaft von Der zerrissene Vorhang, dessen titelgebende Metapher auch als Hinweis darauf gelten kann, dass man nun das wahre Gesicht der Menschen sieht. Wie in Die Vögel ist die Angst der Motor allen menschlichen Handelns – die Angst vor den Häschern des Systems sowie die Furcht, zurückgelassen und vergessen zu werden. Die dramaturgische Verdichtung, die Hitchcock meisterhaft beherrscht, betont eine Wahrheit über autoritäre Systeme und die Wirkung, die sie auf die Gesellschaft haben.
Hinter dem Vorhang
Man kann Der zerrissene Vorhang grob in zwei Kapitel unterteilen. Zu Beginn verfolgen wir die Geschichte noch aus der Perspektive Sarahs und stehen lange vor einem ähnlichen Rätsel, nämlich ob ihr Verlobter wirklich übergetreten ist. Diese faszinierende Sicht gibt der Film leider viel zu schnell auf, sodass wir für den Rest des Films das Geschehen aus Michaels Sichtweise verfolgen. Speziell im ersten, leider kurzen Teil des Films spielt Hitchcock mit der Wahrheit hinter dem „Vorhang“ der Weltpolitik, die wir meist nur erahnen können. Wie Sarah sind wir lediglich Spielfiguren innerhalb eines größeren Plans, bei dem wir uns nur auf unsere Intuition verlassen können, wie sie es auch tut. Während sie und ihr Verlobter eben noch mit der Staatssicherheit verhandelten, wirkt die Pressekonferenz kurz danach wie ein Offenbarungseid Michaels, der über seine Motive als Überläufer spricht.
Erst später erfahren wir, dass dies eine Inszenierung ist – oder vielmehr ein gefährliches Spiel, bei dem man sich verstellen muss, damit man nicht selbst zum Opfer wird. Inszenierung und Wahrheit liegen immer sehr dicht nebeneinander in der Welt von Der zerrissene Vorhang – eine harmlos aussehende Farm könnte das Versteck von Spionen sein, und hinter der würdevollen Mine einer polnischen Gräfin zeigen sich bei genauem Hinsehen Jahre der Demütigung und der Angst. Im Gegensatz zur glatten Oberfläche des James Bond-Universums zeigen Filme wie Der zerrissene Vorhang die hässliche Wahrheit. Bei Hitchcock tritt der Tod nicht durch einen schnellen Pistolenschuss ein, sondern ist ein langer, qualvoller Kampf, bei dem alles eingesetzt wird, was einem in die Finger kommt.
OT: „Torn Curtain“
Land: USA
Jahr: 1966
Regie: Alfred Hitchcock
Drehbuch: Brian Moore
Musik: John Addison
Kamera: John F. Warren
Besetzung: Paul Newman, Julie Andrews, Lila Kedrova, Tamara Toumanova, Wolfgang Kieling
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