Ein kleiner Junge wäre an diesem Abend eigentlich in den Zirkus gegangen. Allein, akutes Fieber bindet ihn ans Bett. Etwas jedoch lockt ihn ans Fenster, während er sich dorthin begibt, fängt es an zu regnen. Der Regen bringt ein kleines Mädchen mit sich, das durch die Straßen irrt. Sie ist nicht allein – eine mysteriöse, hochgewachsene Gestalt scheint das Kind zu jagen. Der Junge verlässt das Haus, um ihr zu Hilfe zu eilen. Kurz darauf sieht er die beiden durch eine große Tür in die Dunkelheit verschwinden. Er folgt ihnen …
Wo sind die Farben hin?
Dieser Einstieg von rain wird mit Texttafeln erzählt, die sich mit Bildern abwechseln. Letztere wirken wie mit Wasserfarben auf die Leinwand gezaubert und tragen ihren Teil dazu bei, dass dem Spiel von Anfang an die volle Aufmerksamkeit geschenkt werden kann. Die eingeblendeten Texte sind kurz gehalten, jedoch aussagekräftig genug, um die Ausgangssituation schnell verstehen zu können, während sie gleichzeitig vage genug bleiben, dass sich das Gefühl einstellt, der Spieler müsse unbedingt mehr darüber erfahren, was hier vor sich geht.
Wer farbenfrohe Spiele bevorzugt, der wird nach der etwa dreiminütigen Cutscene zu Beginn des Spiels wohl nicht mehr so viel Freude mit rain haben. Die liebevoll kreierten, Aquarell-artigen Bilder lässt der Junge hinter sich zurück. Er durchschreitet die Tür und landet in einer düsteren, von Grautönen dominierten Stadt, die so ganz anders ist, als sein warmes Kinderzimmer hätte vermuten lassen. Vor allem aber war es dort deutlich trockener – hier prasselt der Regen erbarmungslos auf die Gebäude hinab, als wolle er sie dem Erdboden gleichmachen.
Verstecken im Regen
An dieser Stelle offenbart rain seine Besonderheit: Der Junge ist mit dem Durchschreiten der Tür unsichtbar geworden. Während sich die Szenen vor den Augen des Spielers entfalten, wird die Geschichte weiter mit Texteinblendungen erzählt, ohne nun aber das Gesehene zu unterbrechen. Nun wird auch klar, dass sowohl das Mädchen als auch die unbekannte Gestalt ebenfalls unsichtbar sind – allein die Regentropfen sorgen dafür, dass ihre Umrisse erkennbar sind. Wie auch im weiteren Verlauf von rain wird dem Spieler hier nebenbei etwas beigebracht. Steht der Junge unter einem Dach oder jeglichem Vorsprung, ist er also nicht mehr dem Regen ausgesetzt, wird er wieder unsichtbar – auch für die unbekannte Gestalt. Ganz beiläufig integriert rain so Tutorials in das Spielerlebnis.
rain ist eine Art Stealthgame, mit Puzzle- und Platformer-Elementen. Nicht nur die unbekannte Gestalt, auch tierartige Monster können der Spielfigur gefährlich werden. Im Bestreben, das Mädchen zu erreichen, muss sich immer wieder vor ihnen versteckt werden. Leider ist der Weg dabei oft so linear, dass er kein besonderes Können erfordert, wie etwa strategisches Denken oder das Lösen kniffliger Rätsel, sondern meist einfach nur die Fähigkeit, schlicht den einzig richtigen Weg zu finden. Das macht rain zu einem einfachen, aber manchmal eben leider auch etwas frustrierenden Spiel. Die Steuerung lässt den Spieler zuweilen ebenfalls ein wenig im Stich.
Atmosphärisch und poetisch
rain kann je nach Spielstil in drei bis fünf Stunden absolviert werden (Trophäenjäger müssen nach dem Beenden der Story ein zweites Mal rein, um alle Sammelstücke zu ergattern, weshalb zumindest diese näher an der Obergrenze sein werden), länger hätte sich das Spiel wahrscheinlich auch nicht getragen. Einen Wiederspielwert gibt es abgesehen von Komplettierungsgründen leider gar nicht. rain ist eines jener Spiele, die durch ihre einzigartige Atmosphäre und ihre ruhige, poetische Erzählweise hervorstechen. Ein stiller, melancholischer Titel, der weniger durch komplexe Mechaniken glänzt, sondern durch seine emotionale Tiefe und visuelle Originalität. Hier liegt der Fokus nicht auf intensiver Action oder großen Herausforderungen, sondern auf subtiler Erkundung, gefühlvollem Storytelling und einer immersiven Inszenierung der Umgebung, auch dank der meditativen Klangkulisse.
OT: „rain“
AT: „Lost in the Rain“
Land: Japan
Jahr: 2013
Director: Yuki Ikeda
Producer: Tomoharu Fujii
Musik: Yugo Kanno
Publisher: Sony Interactive Entertainment
Entwickler: Japan Studio
Plattform: PlayStation 3
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