Diese Sendung ist kein Spiel - Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann
© ZDF / Renate Schäfer.

Diese Sendung ist kein Spiel – Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann

Diese Sendung ist kein Spiel - Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann
„Diese Sendung ist kein Spiel – Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann“ // Deutschland-Start: 10. August 2023 (ZDF)

Inhalt/Kritik

Alle paar Jahre erscheint ein Dokumentarfilm, der so von Polemik, Ungenauigkeiten, Tatsachenverdrehungen und logischen Fehlschlüssen trieft, dass sich kaum des Eindrucks erwehren lässt, das wäre volle Absicht. Dass also die jeweiligen Filmemacher bewusst Unsinn fabrizieren, oft (wenn auch nicht immer) zum Zwecke der Propaganda. Ein Beispiel ist etwa Room 237 von 2012, eine hanebüchende, wenngleich auf ihre Art unterhaltsame Interpretation von Shining, in welchem unter anderem behauptet wird, dass aus den Großbuchstaben von „ROOM №“ (wie es auf dem Schild am Hotelzimmerschlüssel steht) nur zwei Worte gebildet werden könnten: MOON und ROOM. Das soll der Beweis dafür sein, dass Stanley Kubrick die Mondlandung inszeniert hätte. Am prägnantesten lässt sich das wohl dadurch widerlegen, aufzuzeigen, dass sich noch ein weiteres Wort aus den Großbuchstaben formen lässt: MORON.

Ein weiteres Beispiel ist The Game Changers von 2018, ein Dokumentarfilm, in welchem Fakten bewusst verfälscht oder unvollständig wiedergegeben werden, um die Überlegenheit der veganen Ernährung zu beweisen, und der damit genau das Gegenteil erreicht – oder erreichen sollte. Was diesen Dokumentationen nämlich gemein ist, ist ihr Erfolg. Es ist nicht zu fassen, wie viele Menschen alles was in diesen Werken kolportiert wird unhinterfragt für bahre Münze nehmen. Sie bekommen überwiegend hohe Wertungen, von Publikum wie auch Kritikern, und wer dann doch einmal Einspruch erhebt, der wird schnell damit zum Schweigen gebracht, dass er ja nur vom System indoktriniert wurde oder die Wahrheit nicht ertragen könne.

Reißerisch

Ebenfalls im Jahre 2018 hat Regina Schilling einen guten Dokumentarfilm vorgelegt. Kulenkampffs Schuhe bestand ausschließlich aus Archivmaterial, welches durch Narration von Maria Schrader aus dem Off begleitet wurde. Der Film zeichnete die deutsche Nachkriegsgeschichte exemplarisch an den Lebensläufen von vier Personen nach, eine davon Showmaster Hans-Joachim Kulenkampff. Der solide, aber anders aufgezogene und insgesamt anscheinend eher wenig beachtete Igor Levitt – No Fear von 2022 konnte nicht an die Erfolge anknüpfen, die sich mit Kulenkampffs Schuhe einfahren ließen. Vielleicht legt Schilling ja deshalb fünf Jahre und zwei Tage danach mit Diese Sendung ist kein Spiel – Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann einen weiteren Dokumentarfilm vor, der in Grundzügen demselben Muster folgt. Schilling ist hier, wenn auch weiterhin nur aus dem Off und wiederum in Form von Maria Schrader, jedoch deutlich präsenter.

Der reißerische Titel lässt bereits nichts Gutes erahnen. Die Doku beschäftigt sich mit Eduard Zimmermann und der von ihm konzipierten Fernsehsendung Aktenzeichen XY … ungelöst, welche im Oktober 1967 das erste Mal über deutsche Bildschirme flimmerte. Schon nach knapp dreieinhalb Minuten entsteht allerdings der Eindruck, dass es der Regisseurin hier eher um eine persönliche Vendetta geht als um eine faktenbasierte Auseinandersetzung. Während der Anfang der ersten Folge gezeigt wird, heißt es über Zimmermann aus dem Off: „Bei vielen […] löst [sic] dieses Gesicht und diese Stimme Angst aus. Mir geht es bis heute so. Die meisten von uns durften diese Sendung gar nicht schauen. Trotzdem kennen wir sie alle.“ Aus diesem Zitat ableiten zu wollen, dass die Regisseurin als Kind traumatisiert wurde, weil sie ohne Wissen der Eltern eine nicht kindgerechte Sendung rezipierte, und als Erwachsene nun versucht die projizierte Ursache allen anderen madig zu machen, statt die eigentliche Ursache anzugehen, wäre sicher verfrüht und logisch nicht haltbar. Es wäre allerdings auch nicht der erste Fall dieser Art in der Filmgeschichte.

Kinder bitte draußen bleiben

Nachdem eine kurze Beschreibung der Sendung folgt und die erste Episode abgearbeitet wird, bekommen wir um die Zwölf-Minuten-Marke herum den nächsten Hinweis über die wahren Motive der Filmemacherin: „Was hat Eduard Zimmermann […] uns mitgegeben? Ging es ihm wirklich nur darum, Verbrechen aufzuklären?“ Das ist eine sehr seltsame Frage, nachdem gerade eben noch aufgezeigt wurde, wie erfolgreich die erste Episode war: Vier Fälle konnten aufgrund von Zuschaueranrufen aufgeklärt werden. Als würde das nichts gelten, weist Schilling jedoch sofort darauf hin, dass der Fall einer ermordeten Frau nicht auf diese Weise gelöst werden konnte (der Täter stellte sich zwei Jahre später von alleine). Die Implikation scheint zu sein, dass das ganze Format daher nichts wert ist. Im Zusammenhang mit der von ihr im Anschluss gestellten Frage ergibt sich allerdings noch ein anderes Bild. Aber auch zu diesem Zeitpunkt sind alle Annahmen in diese Richtungen verfrüht.

Schon das nächste Segment liefert jedoch weitere Indizienbeweise. Schilling erzählt von den Auswirkungen der Sendung auf sie (und ihre Geschwister? Freunde? Sie redet jedenfalls von „wir Kinder“). Sie stellt es so hin, als wären diese das Schlimmste, was einem Kind zugemutet werden könnte – so blieben sie etwa bei Sonntagsausflügen in der Nähe der Eltern. Ganz grausam. Anders als Schilling wollen wir hier aber fair bleiben und uns nicht nur die Rosinen für unsere Argumente herauspicken, sondern uns die Doku so vollumfänglich anschauen, wie es ihm Rahmen einer Filmkritik möglich ist. Schließlich berichtet sie auch davon, wie beängstigend die nachgespielten Szenen der Sendung waren, und dass die Kinder sich mehr Gedanken um ihre Sicherheit machten. Während das im Prinzip nichts Schlechtes ist, wird es hier ausgehend von der extremen Auslegung insgesamt verurteilt. Es ist ein wenig so als würde jemand sagen, man solle kein Wasser trinken, da der Konsum von 50 Litern Wasser in kurzer Zeit tödlich ist. Das aber führt uns zum Anfang zurück: Kinder hätten diese Sendung einfach nie schauen sollen. Es ist nicht die Schuld einer nicht kindgerechten Sendung, wenn sie nicht kindgerecht ist. „Eduard Zimmermann schien unsere Angst nicht zu kümmern“, klagt sie an. Ja vielleicht ging Eduard Zimmermann auch nicht davon aus, dass seine für Erwachsene gedachte Sendung von Kindern rezipiert wird. Vielleicht wusste er nicht einmal, dass Regina Schilling Angst hat. Vielleicht kannte er sie nicht einmal. Vielleicht ignoriert hier jemand Gegebenheiten, um ein Trauma aufzuarbeiten.

Wer einwenden möchte, dass es ja überhaupt nicht klar war, dass Aktenzeichen XY … ungelöst unter Eduard Zimmermann keine kindgerechte Sendung war, dem liefert Schilling dankenswerterweise selbst das Gegenargument. Während sie darüber schwadronierte, wie schädlich die Sendung für „uns Kinder“ war, passte das natürlich nicht ins Bild, doch um die 42-Minuten-Marke herum muss eine neue Attacke her, bei der es nun angemessen erscheint, einen Ausschnitt einer Episode von 1973 zu zeigen, in welchem Zimmermann sagt: „[…] und ich glaube, es wäre nicht verkehrt, wenn Sie ausnahmsweise in den nächsten zehn Minuten auch Ihre Kinder zuschauen lassen würden.“ Aber wenn ihn doch die Angst der Kinder nicht kümmerte, wieso dauerte es sechs Jahre, bis er die Sendung einmal ausnahmsweise für einen beschränkten Zeitraum für Kinder freigab? Diese Frage stellt Schilling natürlich nicht, spekuliert eventuell darauf, dass niemand den Zusammenhang zwischen den zwei Szenen sieht. Stattdessen lamentiert sie: „Auf einmal soll ich mir die verbotene Sendung anschauen“, als würde Zimmermann (oder ihre Eltern) furchtbar inkonsistente Signale schicken und selbst nicht so richtig wissen, was er denn nun will.

Die Angst macht’s

Der fragliche Teil der Sendung dreht sich um Kindesentführungen. Wie Zimmermann richtig feststellt, mangelt es Kindern an der Fähigkeit, Gefahren einzuschätzen, weshalb sie trotz Warnungen der Eltern in fremde Autos einsteigen können. Es wird der Fall eines Mädchens gezeigt, das nach der Schule zu einem fremden Mann ins Auto steigt, der verspricht, sie nach Hause zu fahren. Stattdessen endet die Fahrt für sie im Wald, wo sie später immerhin wieder aufwacht. Danach kritisiert Schilling, dass in dem (zur Erinnerung: als für Kinder geeignet ausgewiesenen) Kurzfilm gar nicht erklärt wurde, dass das Mädchen vergewaltigt wurde oder was eine Vergewaltigung überhaupt sei. Ebenfalls stößt ihr bitter auf, dass „wir [Kinder] durch dieses Beispiel nur [lernten], nicht zu fremden Männern ins Auto zu steigen. Aber das hatten uns die Eltern schon hundertmal gesagt.“

Was ist das Argument hier? Dass eine Sendung nichts zeigen sollte, was Eltern schon einmal gesagt haben? Schilling scheint sich unwissentlich für das Gegenteil starkzumachen: „Seit dieser Sendung laufe ich nicht mehr gern allein durch den Wald. Und vielleicht bin ich nicht die einzige.“ Die Sendung war also wirksamer als die Ermahnungen der Eltern. Der Nachsatz zementiert zu diesem Zeitpunkt aber bereits den Eindruck über die wahren Motive, der sich schon seit einer ganzen Weile aufdrängt. Am Ende der Doku fragt sie noch einmal: „[Ist] Angst wirklich ein gutes pädagogisches Mittel?“ Wer rein basierend auf ihren eigenen Aussagen argumentieren möchte, muss hier wohl zu einem „Ja“ als Antwort kommen.

Fragwürdige Motivsuche

Den Erfolg der Sendung redet Schilling um die 24-Minuten-Marke herum damit klein, dass die Menschen im Nachkriegsdeutschland sich durch die Niederlage selbst noch als Opfer wahrnahmen, von der Welt jedoch als Täter angesehen wurden. An dieser Stelle muss wohl erwähnt werden, dass Schilling anders als es bisher vielleicht den Eindruck machte tatsächlich eher selten konkrete Aussagen tätigt. Sie bedient sich eines klassischen polemischen Tricks: ‚Ich stelle ja nur Fragen.‘ Wer Suggestivfragen stellt, macht jedoch im Prinzip Aussagen. Insbesondere, wenn die Gegenseite nicht zu Wort kommt. Zimmermann selbst lebt ja nun mittlerweile nicht mehr, aber sicherlich gibt es noch Leute aus dem Umfeld der Sendung, die sich hätten äußern können. Schließlich läuft sie bis heute.

Schilling ist jedenfalls ganz groß darin, zu fragen ob das Interesse der Eltern an dieser ersten True-Crime-Fernsehsendung überhaupt etwas mit den Nachwirkungen des Krieges zu tun hat (was gleichsam die Sendung als solche im Wert schmälert und, ironischerweise, das kollektive Trauma der Zuschauer als verantwortlich für ihren Erfolg präsentiert), ignoriert im Sinne ihrer Argumentationstaktik jedoch geflissentlich (oder weiß es schlicht wirklich nicht), dass True Crime heute weltweit mit zu den beliebtesten Genres gehört. „Haben jetzt plötzlich alle einen Krieg verloren?“, könnte sie nun wohl aus dem Off fragen.

Noch mehr Blödsinn

In einem gezeigten Making Of um die 70-Minuten-Marke herum erklärt Zimmermann: „Zu den ungeschriebenen Gesetzen gehört […], dass die Darstellung von Gewalt und Brutalität so weit wie möglich zurückgenommen wird.“ Dem hält Schilling triumphierend eine Szene entgegen, in welcher ein weibliches Opfer auf dem Waldboden liegt, je eines der Beine mit einem Seil an einen Baum gefesselt. Einer von zwei Männern tritt ihr in die Seite, bevor beide abhauen und die Kamera über die zitternde Frau fährt und auf ihrem Gesicht verharrt. Ein gefundenes Fressen für die Regisseurin, schließlich kann sie Zimmermann nun endgültig vernichten: „WO wird in dieser Darstellung Gewalt und Brutalität so weit wie möglich zurückgenommen?“, intoniert sie mit der ‚gotcha!‘-Attitüde eines Rechtsanwaltes vor Gericht, der bis zum letzten Moment gewartet hat, um einen Täter im Kreuzverhör zu überführen. Wenn Schilling glaubt, dass ein Tritt das Gewalttätigste und Brutalste ist, was zwei Männer einer wehrlos gefesselten Frau antun können, dann hat sich die Sichtung der Sendung in ihrer Kindheit wohl doch ziemlich gelohnt, immerhin scheint sie äußerst behütet aufgewachsen zu sein. Völlig abgesehen davon, dass diese Szene ja offensichtlich nach der eigentlichen Tat einsetzt. Fast so, als wäre die eigentliche Tat nicht gezeigt worden, um die Darstellung von … na ja und so weiter.

Dass Schilling eine Aussage Zimmermanns aus dem Jahre 1982 mit einer 1989 in Auftrag gegebenen Studie widerlegen möchte, und zudem noch fragt: „Kannte Zimmermann diese Studie nicht? Oder hat er sie uns verschwiegen?“, ist vielleicht das einzige, was man über Diese Sendung ist kein Spiel wissen muss. Traurigerweise hat sie genau an der Stelle endlich eine echte Chance, etwas aufzudecken (da Zimmermann nach eigenen Angaben aus der Kriminalstatistik zitiert, sich dieses Zitat dort jedoch nicht finden lässt – was vor Schilling tatsächlich noch niemandem aufgefallen zu sein scheint), stellt aber nur ihre Fragen, statt die Spur richtig weiterzuverfolgen, um dann in den absurdesten Teil der Doku überzuleiten. Dort wiederholt sie etwas Ähnliches mit noch deutlich neueren Daten.

Bitte selber denken

Wer einen Dokumentarfilm macht, der hat immer den Vorteil, dass er 90 Minuten lang alles präsentieren kann was er will. Das wird dann auch deutlich häufiger angeschaut, als eine längere Kritik gelesen wird. Wie die eingangs erwähnten Beispiele wird auch Diese Sendung ist kein Spiel – Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann vom Establishment gelobt, ähnlich unreflektiert. Das liegt wahrscheinlich vor allem an dem, was nach etwa 35 Minuten alles in der Doku behandelt wird. Es fühlt sich nach einem müßigen Kampf gegen Windmühlen an, auch die restlichen Szenen zu besprechen. Letzten Endes ist die erste Wahl sowieso immer, ein Werk selbst zu rezipieren und zu eigenen Schlussfolgerungen zu kommen. Dank Aktenzeichen XY … ungelöst konnten im Laufe der Jahre 1948 Fälle aufgeklärt werden (Stand Dezember 2022). Das sind knapp 40% aller vorgestellten. Wer könnte ein Interesse daran haben, Verbrecher ungeschoren davonkommen zu lassen? Ich stelle natürlich nur Fragen.

Credits

OT: „Diese Sendung ist kein Spiel – Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann“
Land: Deutschland
Jahr: 2023
Regie: Regina Schilling
Drehbuch: Regina Schilling
Musik: Ulrike Haage
Mitwirkende: Maria Schrader

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Fazit
"Diese Sendung ist kein Spiel - Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann" ist ein demagogisches Machwerk.
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