Regisseur Erol Afşin und Hauptcast Halima Ilter, Nicolas Garin Und Emir Kadir Taskin bei der Premiere von "Es brennt" beim Filmfest München 2023 (© FILMFEST MÜNCHEN / Joel Heyd)

Erol Afşin [Interview]

Erol Afşin ging mit 19 Jahren nach Deutschland zum Schauspielstudium und ist seitdem in vielen deutschsprachigen und internationalen Produktionen zu sehen. In Es brennt, seinem ersten langen Spielfilm als Regisseur, erzählt er von Amal (Halima Ilter), Omar (Kida Khodr Ramadan) und ihrem kleinen Sohn Ahmad, einer glücklichen arabischen Familie, deren Mitglieder alle in Deutschland geboren sind. Als Amal, die in der Öffentlichkeit Kopftuch trägt, mit ihrem Sohn auf einen Spielplatz geht, wird sie dort von Franz (Nicolas Garin) wegen ihrer Haarbedeckung rassistisch beleidigt, als Islamistin tituliert und angegriffen. Zwei deutsche Frauen, die dazwischen gehen und den Mann stoppen, raten ihr, zur Polizei zu gehen. Der Vorfall und die Gerichtsverhandlungen zerstören das einstige Glück der Familie. Wie es sich anfühlt, in diesem Land nicht sicher zu sein, macht der Film mit beeindruckender Subtilität spürbar, auch für Deutsche ohne Migrationshintergrund. Anlässlich des Filmfestes München, wo der Film Premiere hatte, sprachen wir mit Erol Afşin über seine eigenen Erfahrungen nach seiner Ankunft in Deutschland, über Mängel des deutschen Justizsystems und über Grenzen der Meinungsfreiheit.

Ihr Film basiert auf einem realen Fall, der sich 2009 ereignete. Hatten Sie damals schon davon gehört?

Nein, das war ein reiner Zufall, dass ich davon erfuhr. Ich saß 2020 in einem Café in Neukölln mit Anna-Sophie Schindler zusammen, einer Freundin von mir. Sie ist Schauspielerin und hat damals in einem Theaterstück von Ayşe Güvendiren an den Münchener Kammerspielen mitgespielt, das diesen Fall dokumentarisch aufarbeitet. Anna hat mir diese Geschichte erzählt und ich war so fassungslos, dass ich sofort mach Hause gehen musste und angefangen habe, zu recherchieren. Irgendwann habe ich beschlossen, darüber etwas zu machen. Weil meine Möglichkeiten begrenzt sind, sollte das am Anfang ein Kurzfilm sein. Da ich kein Geld bekommen habe, habe ich beschlossen, die Geschichte vor der Kamera zu erzählen, wie Jafar Panahi es mal gemacht hat, als er vom Filmemachen verbannt war. Das habe ich gemacht, aber es hat mir nicht gefallen. Irgendwann habe ich mit dem Schauspieler Kida Khodr Ramadan, der auch den Film mitproduziert hat und eine der Hauptrollen spielt, darüber gesprochen. Auch er war super überrascht und hat sofort gesagt, dass er den Film zusammen mit mir realisieren wollte. 2022 war es dann soweit.

Sie hatten prominente Mitstreiter. Neben Schauspieler Kida Khodr Ramadan fungiert auch Schauspieler Frederick Lau als Mitproduzent, der im Film keine Rolle hat. Wie ist dieses Team zustande gekommen?

Kida und Freddie haben eine gemeinsame Produktionsfirma, dadurch war Freddie mit an Bord. Produzent Hannes Heidenreich kam über Kida hinzu. Vorher hatten wir praktisch noch kein Geld. Und Christoph Fisser, den Kida ebenfalls kennt, hat dann die Finanzierung der Postproduktion übernommen.

Wie haben Sie für den Film recherchiert? Haben Sie auch mit dem Ehemann der Ermordeten gesprochen?

Nein. Im Film gibt es eine Reihe von Elementen, die real passiert sind. Das sind der Spielplatz und das Ende. Aber das ist nur ein Bruchteil der Geschichte. Darum herum ist eigentlich alles fiktionalisiert. Ich glaube, ich hätte mit dem Ehemann gar nicht sprechen können, auch wenn wir versucht haben, ihn zu kontaktieren. Ich habe mich darauf konzentriert, ein Leben in Deutschland zu schildern, wie ich es selbst auch kenne. Das kennen auch Kida und die anderen Teammitglieder, mit denen ich gearbeitet habe. Ich bin Teil dieser Community und es fiel mir nicht schwer, ein Leben wie das dieser Familie auf die Leinwand zu bringen. Dabei wollte ich keinerlei Klischees bedienen. Das war mein Ziel: den Fall schildern, ihn in den Raum stellen und fragen, wie so etwas passieren konnte.

Der Film handelt von einem Gefühl, das allein dadurch entsteht, dass man sich aufgrund rassistischer Äußerungen in Deutschland nicht mehr sicher fühlt. Kennen Sie dieses Gefühl aus eigenem Erleben?

Ich lebe seit 2008 in Deutschland. In der Anfangszeit war es schwierig, weil ich noch kein Deutsch konnte. Danach wurde es weniger schwierig, weil ich mich verteidigen konnte, wenn ich rassistisch oder unfair angegangen wurde. Die Unsicherheit, von der Sie sprechen, spiegelt sich im Film in einer langen Sequenz, in der unterschiedliche Standpunkte ausgetauscht werden. Bleibe ich hier? Wenn ja, wie reagiere ich auf Anfeindungen und Diskriminierungen? Soll ich gewaltsam zurückschlagen? Soll ich vor Gericht gehen? Die Justiz ist zwar der richtige Weg, und die Figur Amal im Film beschreitet ihn auch. Aber der Weg hilft ihr nicht ausreichend. Nicht, weil der Richter nicht helfen will, sondern weil das System so ist, wie es ist.

Ich finde die Szene, die Sie ansprechen, sehr beeindruckend. Amal und ihr Mann Omar sitzen im Wohnzimmer und man hört zwei Stimmen aus dem Off, die nicht die ihren sind. Die Stimmen diskutieren das aus, was den beiden durch den Kopf geht. Vereinfacht gesagt, will der Mann zuschlagen und die Frau plädiert für Vernunft. Wie sind Sie auf dieses ganz besondere Setting gekommen? Gab es Vorbilder?

Es sind übrigens nicht zwei, sondern drei Stimmen, eine weibliche und zwei männliche, die allerdings sehr ähnlich sind. Denn ich wollte die Ambivalenz im Mann durch zwei Stimmen darstellen. Es war schwierig, meine Mitstreiter von dieser Szene aufgrund der Beschreibung im Drehbuch zu überzeugen. Sie zweifelten, ob das funktionieren könnte, wenn man zehn Minuten lang ein statisches Bild hat. Mein Gedanke dahinter war, dass es sich hier nicht um einen Konflikt zwischen zwei konkreten Personen handelt, sondern dass aufgrund der Diskussion jeder Zuschauer etwas anderes sehen und schlussfolgern kann. Mir geht es um das Gesagte, nicht um das Gesicht desjenigen, der etwas sagt. So wie im ganzen Film die Geschichte wichtig ist, nicht in erster Linie die einzelnen Figuren. Für die Szene selbst hatte ich kein Vorbild.

Mich hat sehr beeindruckt, dass das Gefühl der Bedrohung nicht ausgesprochen werden muss, sondern durch filmische Mittel erzeugt wird, ohne zu klassischen Thriller- oder Horror- Mitteln zu greifen. Wie haben Sie das mit ihrem Team erarbeitet? Neben dem Kameramann ist ja sicherlich auch die Ausstattung beteiligt.

Ich habe sehr eng mit meinem Kameramann Emrah Celik zusammengearbeitet. Wir wollten eine Bildsprache schaffen, bei der das Publikum die Kamera nicht eigens wahrnimmt. Immer bei einer Gefahr ist die Kamera weiter weg oder sie entfernt sich, egal ob auf dem Spielplatz oder in der Wohnung der Familie. Der Gedanke dahinter war, dass man nur dann nah bei der Familie ist, wenn man sich am sichersten fühlt, etwa beim Spiel mit dem Sohn oder wenn noch nichts passiert ist oder im Gerichtssaal. Was die Wohnung angeht, wollte ich nicht das zeigen, was man normalerweise im Fernsehen bei einer türkischen oder arabischen Familie sieht, mit Mustertapeten und bunten Möbeln. Ich wollte eine dezente, coole Wohnung mit viel Platz, bei der man spüren kann, dass diese Familie ein schönes Leben hat.

Sehr beeindruckend finde ich das Gerichtsgebäude. Gibt es das in Berlin?

Ich wollte ein prächtiges Bild, wo wir zuerst groß bei der Familie sind und die Personen dann immer kleiner werden, wenn sie zu diesem großen und schönen Gerichtsgebäude gehen. Die Außenaufnahmen haben wir beim Gericht im Wedding und die Innenaufnahmen in Charlottenburg gemacht. Wir mussten die ganzen Gerichtsszenen in zwei Tagen drehen.

Ihr Film wirft Fragen auf. Zum Beispiel die, ob der Richter richtig gehandelt hat. Ob er den Angeklagten bei dessen Hassrede nicht sofort hätte stoppen müssen, als das Wort „Islamistin“ fiel. Wie denken Sie darüber?

Ich glaube, jeder Mensch, der ein Herz hat, wünscht sich, dass der Richter den Angeklagten spätestens nach zwei Minuten stoppt. Der Monolog, den der Angeklagte hält, ist übrigens angelehnt an den realen Brief, den er schrieb, als er in Berufung gehen wollte. Real wäre es nur ein Schreiben gewesen. Aber ich habe das fiktionalisiert und die Rechtsberatung gefragt, ob das geht. Die sagten, es gehe, denn es sei nicht ganz falsch und auch nicht ganz richtig. Als ich diesen Satz hörte, dachte ich, das passt doch zu dem Film. Insgesamt ist er, was die Wirklichkeitstreue angeht, nicht ganz richtig und nicht ganz falsch. Gemäß seinen Vorgaben hat der Richter wohl richtig gehandelt. Die Frage ist nur, ob die Vorgaben richtig sind, wenn sie es erlauben, dass Menschen, die aus anderen Kulturkreisen stammen, ganz offen vor Gericht beleidigt werden.

Die zweite Frage ist die nach der Meinungsfreiheit. Es gibt eine Partei im deutschen Bundestag, die genau das behauptet, was auch der Angeklagte vor Gericht von sich gibt, dass nämlich Menschen aus anderen Kulturen in Deutschland nichts zu suchen hätten. Sollte die Meinungsfreiheit an dieser Stelle beschnitten werden?

Das ist eine schwierige Frage. Der neonazistische Angeklagte äußert sich in langen Stellungnahmen und Amal äußert sich zum Schluss ebenfalls ausführlich und beschreibt, was diese Beleidigungen bei ihr und ihrer Familie emotional anrichten. In ihrem Endmonolog geht es genau um diese Frage: Wo fängt Meinungsfreiheit an und wo sollte sie enden? Und wenn sie nicht endet, wer leidet dann darunter? Eine konkrete Antwort kann ich von meiner Seite nicht geben.

An welchen neuen Projekten arbeiten Sie?

Ich möchte einen Film realisieren über einen Schauspieler, der nicht ernst genommen wird bei seinem Wunsch, auch Regie zu führen. Der aber unbedingt einen Film drehen will, von dem er überzeugt ist. Das führt dann zu einem Chaos, das die Filmförderungsstruktur in unserem Land ein bisschen in Frage stellt. Das Drehbuch dazu steht und es gibt Gespräche darüber. Ich habe es nach dem Schnitt von Es brennt geschrieben und hoffe, dass ich das als nächstes realisieren kann.

Zur Person
Erol Afşin wurde im türkischen Adana geboren und kam nach Deutschland, um seiner Leidenschaft für die Kunst nachzugehen. Während seines Schauspielstudiums spielte er in Theaterproduktionen und Filmen auf nationalen und internationalen Bühnen, unter anderem auch in Palästina. Sein Studium an der Folkwang Universität der Künste schloss er als einziger Absolvent mit einem Drehbuch ab. 2015 drehte er einen ersten Kurzfilm, dem weitere folgten. Als Schauspieler hat Erol Afşin in zahlreichen nationalen und internationalen Filmen mitgewirkt, unter anderem im Film Mustang, der 2016 bei den Oscars als bester fremdsprachiger Film nominiert war. Zurzeit arbeitet er an seinem nächsten Kinofilm Cenk, Träume hinter den Kulissen. Heute ist Erol Afşin deutscher Staatsbürger und lebt in Berlin.



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