Tara
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„Tara“ // Deutschland-Start: 19. Januar 2023 (Kino)

Inhalt / Kritik

Ein spirituelles Treffen bei Nacht an einem Flussufer, ein kleiner Schrein im Schilf, Algen, die wie goldene Haare in der Dämmerung leuchten. Der Tara ist kein gewöhnlicher Fluss nach Ansicht vieler Menschen, die am Rande der italienischen Hafenstadt Taranto leben. Sie kommen an dem Fluss zusammen, um zu baden, manche reiben sich mit seinem Bodenschlamm ein, dem sie eine heilende Wirkung zuschreiben. Wie nebenbei hören wir alte Geschichten und Legenden über den Fluss. Taras war auch ein Sohn Poseidons, der die Stadt Taranto dereinst gegründet haben soll. Der Tara wird der „Eselfluss“ genannt und der „Fluss des Glücks.“ Letzteres hat jedoch einen traurigen Grund: „Ja, weil wir hier in Taranto sind, wo es so viel Verschmutzung und solche Sachen gibt“, erklärt einer der Badegäste.

Zwischen Vlog-Ästhetik und Okö-Thriller

Der Film zieht einen allmählich in den Bann. Kurze, hypnotisierende Unterwasseraufnahmen, weiße Ruinen, Orangen- und Olivenbäume. In der Ferne ragt eine Fabrik empor. Die Ästhetik vieler Aufnahmen erinnert an hochwertige Video-Reiseblogs, was durchaus als Kompliment zu verstehen ist. Die Bilder wecken ein vages Gefühl von Nostalgie, etwa wenn man der jungen Reisenden folgt, wenn sie wie suchend durch die Stadt streift oder ehemalige Wohnhöhleneingänge besichtigt. Neben der jungen Reisenden gibt es aber noch andere Protagonisten, denen wir immer nur für eine kurze Weile folgen.

Tara erweckt den Eindruck, als sähe man Ausschnitte aus einem vielstimmigen Öko-Thriller, verschmolzen mit meditativen Landschaftsbildern und weißen Ruinenhäusern. Unter dieser mesmerisierenden Oberfläche aus Erzählfragmenten rauscht der Tara, dessen Proben zeitgleich in einem Labor untersucht werden. Im Hintergrund ragt die Fabrik empor, ein drohender Antagonist für viele Bewohner der Stadt („[…] und unsere Kollegen sagten, dass unsere Arbeit Mensch tötet?“), der die Geschichten (wie auch der Fluss) mal mehr, mal weniger lose verbindet.

Man muss sich auf den Film einlassen und damit zurechtkommen, dass man von dem Regisseur hier nicht an die Hand genommen wird, dass man sich streckenweise vielleicht sogar fragt „Ging es nicht eigentlich um einen Fluss?“. Tatsächlich gewinnt man zeitweise den Eindruck, das Thema das Films zerfranse an manchen Ecken und Enden, als wäre der Fokus nicht immer klar erkennbar. Wenn man sich darauf einlässt, wird man mit poetischen Bildern und Geschichten belohnt, die wie Mosaiksteine funktionieren. Mit etwas Distanz erkennt man ein Gesamtkunstwerk, das es lohnt zu betrachten. In dem Film wird die Kulisse der Hafenstadt sehr treffend beschrieben: Als beträte man ein Gemälde. Eine Beschreibung, die sich auch auf den Film beziehen lässt.

Tara arbeitet auch mit Selbstreferenzen (oder eher Andeutungen), z.B. wenn ein Esel wie aus der Geschichte, der dem Fluss einen seiner Spitznamen eintrug, in die Wohnsiedlung geführt wird. Damit wird die Legende des Flusses in die Stadt zu den Leuten geführt und lädt die Zuschauer zum Nachdenken über die Anekdote der Frau am Fluss ein. Spannend sind ferner die Archivaufnahmen, welche die Zuschauer in vergangene Zeiten versetzen, als die Landschaft von Maschinen bearbeitet wurde. Wer sich entschieden hat, statt eines Streifens von Michael Bay mit Explosionen eine ruhige Dokumentation zu schauen, bekommt hier zumindest doch noch ein paar Sprengungen zu sehen.

Eine Frage, deren Beantwortung bestimmt interessant gewesen wäre, aber (auch verständlicherweise) unbeantwortet bleibt: Wie wirkt dieser wohl Ort im Winter, wenn der Tara zugefroren ist? Hier hätte man womöglich nochmal eine weitere Schattierung, eine weitere Kontur in das Gesamtbild einfügen können.

Zum Schluss noch zwei Punkte, die mir gerade genug ins Auge gesprungen sind, um sie zu erwähnen, aber auch zu wenig, um sie allzu scharf zu kritisieren: Der Film neigt zu wiederholenden Aussagen über die Fabrik und manche Gespräche, etwa der Dialog der Labormitarbeiter an der Brücke, wirken ein wenig zu konstruiert, als wollte man dem Zuschauer das Thema – Schau mal, der Fluss ist paradiesisch, und in der Nähe steht das Ex-ILVA Stahlwerk – fast auf die Nase binden, obwohl die Bilder auch für sich selbst sprechen können. Aber das ist hier Meckern auf hohem Niveau.

Credits

OT: „Tara“
Land: Deutschland, Italien
Jahr: 2022
Regie: Volker Sattel, Francesca Bertin
Drehbuch: Volker Sattel
Musik: Christina Kubischm Massimo Scalici, Emanuele Minafò, Guiseppe Pacucci
Kamera: Volker Sattel

Bilder

Trailer

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Tara
fazit
„Tara“ porträtiert einen mythenumrankten Fluss als Ort der Begegnung mit Freunden und der Natur in einer von Skandalen und Ausbeutungen des Stahlwerks ILVA gezeichneten Hafenstadt. Dabei summen im Labor bereits die Maschinen, um das Flusswasser zu prüfen, wodurch der Film auch jene auffängt, die in den Geschichten um den heilenden Fluss pure Esoterik sehen. Zwischen meditativen Landschaftsbildern und Archivaufnahmen begleitet die Kamera verschiedene Menschen bei ihren Suchen, Kämpfen und Lebenswirklichkeiten in dieser Umgebung zwischen Ruinen, weißen Häusern und Olivenbäumen.
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