Me We
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Me, We

„Me, We“ // Deutschland-Start: 6. Oktober 2022 (Kino)

Inhalt / Kritik

Vier Episoden, ein Thema: In seinem zweiten Spielfilm holt Regisseur David Clay Diaz, Österreicher mit peruanischen Wurzeln, die Flüchtlingskrise zurück auf die Tagesordnung. Dabei nimmt er nicht die Opfer, sondern die westlichen Helfer in den Blick. Die Tragikomödie erzählt von zwei Frauen und zwei Männern, deren altruistisch gemeintes Engagement zu bedenklichen Konsequenzen führt. Marie (Verena Altenberger) fährt nach Lesbos, um Geflüchtete mit einem Rettungsschiff vor dem Ertrinken zu bewahren. Die allein lebende Petra (Barbara Romaner) nimmt den minderjährigen Mohammed (Mehdi Meskar) in ihr Haus auf. Als Leiter einer Asylunterkunft gerät Gerald (Lukas Miko) in Konflikt mit dem widerspenstigen, traumatisierten Asylbewerber Aba (Idowu Wonderful). Auf der anderen Seite der Spaltung zwischen Willkommenskultur und Fremdenhass steht der halbstarke Teen Marcel (Alexander Srtschin). Er gründet mit seinen Kumpels die „Schutzengel AG“, die junge Frauen auf dem Nachhauseweg von der Disko begleiten und so vor angeblich gefährlichen Ausländern schützen soll.

Retter brauchen selber Rettung

Zu den ergreifendsten Momenten des Films zählt eine missglückte Seenotrettung. In ihrem Drang, unbedingt eine gute Tat vollbringen zu müssen, glaubt Aktivistin Marie, mitten in der Nacht Menschen in Not zu sehen. Auf eigene Faust lässt sie ein Schlauchboot ins Wasser, fährt weit hinaus und springt ins Meer. Doch die Ertrinkenden erweisen sich als Fata Morgana. Und weil die unerfahrene Helferin anschließend den Motor nicht starten kann, wird sie nun selbst zur Schiffbrüchigen. Griechische Schiffer ziehen sie an Bord, die Retterin muss selbst gerettet werden.

Das klingt nach Ironie, aber Regisseur Diaz verspottet seine Charaktere nicht. Die Kamera von Julian Krubasik begleitet sie einfühlsam und wohlwollend. Feinnervig registriert sie unausgesprochene Spannungen, innere Konflikte und offenkundige Widersprüche. Dabei verurteilt der Film seine scheiternden Heldinnen und Helden nicht, zumindest nicht Marie und die beiden anderen hilflosen Helfer, die Patin Petra und den Heimleiter Gerald. Alle drei leiden unter der mangelnden Balance zwischen Selbstreflexion, gesunder Selbstbezogenheit und dem Dasein für andere. In dem Glauben, sich für die gute Sache einzusetzen, geraten ihnen die egoistischen Anteile und Motive ihres Helfens aus dem Blick.

Auch auf den Ausländerhasser Marcel trifft die Diagnose des Helfersyndroms zu. Aber ihn betrachtet der Film deutlich satirischer, quasi als humorvollen Kontrapunkt zu den drei anderen, eher tragischen Geschichten. Jede von ihnen wird chronologisch erzählt, aber sie folgen nicht aufeinander, sondern sind ineinander verwoben, mit schnellen Perspektivwechseln, die die Spannung hoch halten. Dabei berühren sich die Episoden nicht, sondern laufen nebeneinander her, verbunden nur durch den thematischen Zusammenhang.

Gute Absichten, üble Konsequenzen

Gegen das Anliegen des Regisseurs ist wenig einzuwenden. Ihm geht es darum, die Migrationsdebatte gegen den Strich zu bürsten und blinde Flecken im Selbstverständnis der Helfer aufzudecken. Gute Absichten allein, scheint David Clay Diaz sagen zu wollen, reichen nicht. Gerade das Überengagement mancher Aktivisten führt dazu, dass sie über die reale Lage der Geflüchteten hinweghuschen und mit ihnen nicht wirklich ins Gespräch kommen. Besonders deutlich wird das in den überhasteten Erziehungs- und Integrationsversuchen von Patin Petra, die „ihren“ Flüchtling als Ersatzsohn instrumentalisiert. Solche Missstände seien nicht erfunden, schreibt Diaz in seinem Regiekommentar. Sein Team habe sowohl bei Paten und Schützlingen als auch in Wiener Flüchtlingsheimen (Geralds Geschichte) und in griechischen Flüchtlingscamps (Maries Story) gründlich recherchiert.

Als Fiktion muss der Film die Realität verdichten und zuspitzen. Es fragt sich allerdings, ob die Episodenstruktur dafür eine gute Idee ist. Durch sie muss jeder einzelne Erzählstrang quasi auf Kurzfilmlänge zusammengestrichen werden. Vor allen in den drei Betrachtungen der Willkommenskultur verleitet das zu Kurzschlüssen. Etwa zu dem, dass die meist ehrenamtlichen Bemühungen den Geflüchteten mehr schaden als helfen. Eine solche Konsequenz liegt keineswegs in der Intention des Films, erweist sich aber als ungewollter Kollateralschaden. Dabei ist jede einzelne Geschichte so komplex, dass sie einen eigenen Film getragen hätte – mit mehr Raum für Zwischentöne und ein genaueres Austarieren von positiven und bedenklichen Aspekten des humanitären Engagements.

Credits

OT: „Me, We“
Land: Österreich
Jahr: 2020
Regie: David Clay Diaz
Drehbuch: David Clay Diaz, Senad Halilbasic
Musik: David Reichelt
Kamera: Julian Krubasik
Besetzung: Lukas Miko, Verena Altenberger, Barbara Romaner, Alexander Srtschin, Mehdi Meskar, Anton Noori, Wonderful Idowu

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Me, We
fazit
„Me, We“ bürstet die klassischen Flüchtlingserzählungen gegen den Strich und deckt Vorurteile oder Übergriffe bei denen auf, die es eigentlich gut meinen. Der Film macht sich verdient um das Anstoßen bisher unterbliebener Debatte in der Unterstützerszene. Aber die Episodenstruktur zwingt zu Verkürzungen und legt ungewollte Schlussfolgerungen nahe.
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