The Sunlit Night

The Sunlit Night

Inhalt / Kritik

The Sunlit Night
„The Sunlit Night“ // Deutschland-Start: 23. September 2021 (Kino)

Der Fußballer Lothar Matthäus befand einmal, dass seine Mannschaft kein Glück gehabt habe – und dann sei auch noch Pech dazu gekommen. So ähnlich ergeht es Frances (Jenny Slate), einer Nachwuchskünstlerin aus New York. Ihre neueste Arbeit fällt bei den Kritikern durch, ihr Freund verlässt sie und selbst bei den schrulligen Eltern kommt sie nicht unter. Die scheiden sich nämlich gerade. Aber Frances steckt „den Sand nicht in den Kopf“, um noch einmal Lothar Matthäus zu zitieren. Die junge Frau plappert über manche Unbill einfach hinweg, steht wieder auf, wo andere liegenbleiben würden. Und so nimmt sie ein Stipendium an, das sie zum norwegischen Künstler Nils (Fridtjov Såheim) führt, hoch oben auf den Lofoten, wo die Sonne im Sommer niemals untergeht. Auch Yasha (Alex Sharp) ist hier unterwegs, allerdings in deutlich depressiverer Grundstimmung. Er will seinem verstorbenen Vater den letzten Wunsch erfüllen: ein traditionelles Wikinger-Begräbnis. Trotzdem ist gute Laune angesagt in einer Komödie über das ernste Thema der Selbstfindung.

Vernebelung der Sinne

Wenn Frances’ New Yorker Quirligkeit auf Nils’ stoisches Schweigen à la Aki Kaurismäki trifft, dürften surreale Momente eigentlich nicht weit sein. Zumal die Schlaf raubende Sonne die Nerven in einen irritierten, fiebrigen Zustand versetzt. Ein Stoff also wie geschaffen für Regisseur David Wnendt, der 2015 mit seiner Hitler-Persiflage Er ist wieder da vor keiner Verrücktheit zurückschreckte. Sollte man meinen. Aber The Sunlit Night lässt die Kamera nur einmal Kopf stehen. Ansonsten taucht die Inszenierung ihre manchmal skurrilen Einfälle in satte Farben und klares Licht, ohne irritierende Bilder zu finden für die Vernebelung der Sinne durch den Kulturschock. Die Lofoten sind hier so, wie man sie sich vorstellen mag, ohne jemals dort gewesen zu sein: eine malerisch schöne Gebirgs- und Meereswelt, oft einen Tick zu nah an der Postkarten-Ästhetik. Das ist schade für einen Regisseur, dem man eine sperrigere Inszenierung zutraut.

So wie in seinem Debüt Kriegerin (2013). Einfühlsam lässt er sich dort auf die Gefühlswelt eines neonazistischen Mädchens ein, die nicht bloß als „Nazi-Braut“ irgendwo mitläuft, sondern sich Respekt verschafft unter Glatzen und ihre aus Minderwertigkeitsgefühlen gespeiste Wut authentisch in Hass ummünzt. Auch das kann er also: eine Frauenfigur begleiten, die dem Zuschauer zunächst fremd bleiben muss. Warum sich also nicht auf einen Charakter wie Frances einlassen, eine Suchende, die sich manchmal selbst im Weg steht? Dazu findet die Inszenierung des Drehbuchs von Rebecca Dinerstein Knight, die ihren gleichnamigen Roman adaptiert hat, durchaus Ansätze. Der Film geht einige hoffnungsvoll stimmende Schritte mit der verkrachten Künstlerin, die sich von einem grantigen Menschenfeind demütigen lässt, bis ihr der Kragen platzt. Aber er traut der jungen Frau wohl nicht, die Handlung allein zu tragen. Und stellt ihr deshalb eine zwar nicht zentrale, aber in ihrer Abgegriffenheit doch durchschaubare Liebesgeschichte zur Seite.

Vom Pech verfolgt

Offenbar leidet nicht nur Frances, sondern der ganze Film unter dem Diktum vom fehlenden Glück und hinzukommendem Pech. David Wnendts erste internationale Arbeit wurde 2019 in einer deutlich längeren Fassung von 109 Minuten beim renommierten Sundance Festival gezeigt. Sie fiel aber bei Kritik und Publikum durch, zu sehr war der Stoff auf das Format eines gefälligen Wohlfühlkinos in der Arthouse-Variante gebürstet. In der Folge kürzte Wnendt rund 20 Minuten, aber in der nun ins Kino kommenden Fassung ist unklar, wohin der Film eigentlich will. Leise Komödie? Kulturschock? Künstlerdrama? Romanze? Oder doch die humorvolle Bewältigung einer Krise mit glaubhafter Läuterung?

An Hauptdarstellerin Jenny Slate liegt es jedenfalls nicht, dass sich die Handlung in der Einsamkeit der Lofoten verläuft. Die gelernte Stand-up-Komödiantin stattet ihre Figur mit einer sympathischen Portion Schusseligkeit, einem gehörigen Schuss Eigensinn und einer unglaublichen Kämpfernatur aus. Gerne schaut man ihr zu, wie sie einen Eisberg wie ihren Chef Nils durch eine Mischung aus Anpassung, Trotz und List zum Schmelzen bringt. Slates Frances hätte eine Schwester im Geiste der wunderbaren Frances Ha (2013) von Noah Baumbach und Greta Gerwig werden können. Aber dazu hätte der Film der inneren Stärke seiner Figur trauen müssen. Und sie nicht durch peinlich hinkonstruierte Nebenhandlungen übermalen dürfen.

Credits

OT: „The Sunlit Night“
Land: Deutschland, Norwegen
Jahr: 2019
Regie: David Wnendt
Drehbuch: Rebecca Dinerstein Knight, David Wnendt
Vorlage: Rebecca Dinerstein Knight
Musik: Enis Rotthof
Kamera: Martin Ahlgren
Besetzung: Jenny Slate, Alex Sharp, Fridtjov Såheim, Gillian Anderson, Zach Galifianakis, David Paymer, Jessica Hecht

Bilder

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David Wnendts erste internationale Arbeit wird als leichtfüßige Wohlfühlkomödie angekündigt. Tatsächlich aber gerät dem Ausflug einer New Yorker Künstlerin auf die nordnorwegischen Lofoten-Inseln vieles zu glatt, um eine mehr als oberflächliche Identifikation mit der pechgeplagten Hauptfigur zu ermöglichen.
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