Anne Zohra Berrached
Regisseurin Anne Zohra Berrached (© Neue Visionen Filmverleih)

Anne Zohra Berrached [Interview]

In ihrem Film Die Welt wird eine andere sein erzählt Anne Zohra Berrached von zwei jungen Menschen, die sich Mitte der 1990er kennenlernen und entgegen aller Hindernisse und Vorbehalte zu einem Paar werden. In der Folge sind Asli (Canan Kir) und Saeed (Roger Azar) sehr glücklich miteinander, bis Saeed irgendwann verschwindet, ohne Asli zu verraten, wohin er geht und was er vorhat. Dennoch beschließt sie, ihm die Treue zu halten, nichtsahnend, was das bedeuten wird. Zum Kinostart am 12. August 2021 unterhalten wir uns mit der Regisseurin und Drehbuchautorin über Verantwortung in der Beziehung, die Begegnung von Kulturen und politische Wendepunkte unterhalten.

Können Sie uns ein wenig über den Hintergrund von Die Welt wird eine andere sein erzählen? Wie und wann sind Sie auf die Idee gekommen?

Ich habe insgesamt sieben Jahre an dem Film gearbeitet, inzwischen sind es fast acht. Ich wollte einen starken Liebesgeschichte, eine Romeo und Julia Geschichte erzählen, bei der eine Frau im Mittelpunkt steht. Gleichzeitig haben meine Filme dabei immer auch eine politische Dimension und die Frage war: Wie bekomme ich diese Dimension in die Geschichte? Also habe ich nach Frauen von Verbrechern, Attentätern und Terroristen gesucht und intensiv in diese Richtung recherchiert. Dabei habe ich auch viel intimes Material sichten können von Paaren, E-Mails zwischen Attentätern und ihren Frauen. Dazu Polizeiakten, Videos, Verhöre von Leuten, die mit Attentätern zusammen waren. Irgendwann haben meine Mitautorin und ich das Material dann beiseite gelegt, um unsere eigene Geschichte zu bauen. Daraus hat sich dann die Subthematik der Mitschuld entwickelt. Sprich: Tragen die Frauen dieser Attentäter eine Mitschuld?

Hat man denn eine Verantwortung dafür, was der Partner oder die Partnerin tut?

Das ist die Frage, die sich meine Hauptfigur am Ende ihrer Liebe stellt. Hat sie alles richtig gemacht? Hat sie mit Absicht verdrängt? Hätte sie im weitesten Sinne auch das Attentat verhindern können? Das ist schon ein spannender und schwieriger Themenkomplex.

Als Zuschauer und Zuschauerin ist das natürlich schon einfacher, weil wir vorher wissen, was am Ende rauskommt. Wir können die entsprechenden Zeichen deuten. Hätte sie das überhaupt gekonnt? Hätte sie wissen können, was da geschieht, oder war das, was damals geschah, so weit weg, dass da einfach niemand auf die Idee gekommen wäre?

Ich glaube, dass das damals schon sehr weit weg war. Man konnte sich einen solchen Anschlag nur schwer vorstellen. Dass es so etwas überhaupt gibt. Aber der Film hält offen, wieviel sie weiß. Das wollte ich ganz bewusst so. Das Publikum soll selbst eine Antwort suchen, inwieweit sie das gewusst und verdrängt hat. Und damit hängt eben auch die Schuldfrage zusammen: Wie viel muss man bei einer solchen Tat wissen, damit eine Mitschuld entsteht? Zu diesem Zweck muss man natürlich auch wissen, wie der Charakter von Asli ist, also woher sie kommt, wie ihr Elternhaus aussieht. Sie kommt aus einer Familie, bei der es sehr viele Normen und Regeln gibt, aus denen sie sich freigekämpft hat. Zu einem gewissen Grad hat sie sich von ihrer Mutter emanzipiert. Aber viel wurde bei ihr zu Hause nicht direkt gesagt, weswegen sie gelernt hat, Dinge besser manchmal geheim zu halten.

Die Welt wird eine andere sein
Die Geschichte einer großen Liebe: Asli (Canan Kir) und Saeed (Roger Azar) in „Die Welt wird eine andere sein“ (© Neue Visionen Filmverleih)

Wie haben Sie diese Zeit damals erlebt, als Sie von den Anschlägen erfahren haben?

Ich erinnere mich noch daran, wie das World Trade Center zusammengestützt ist. Ich war damals 19, kam von der Schule und habe den Fernseher eingeschaltet. Das wirkte alles nicht real auf mich. So als hätte sich das jemand ausgedacht, ein gefakter Dokumentarfilm oder so etwas.

Und wie hat sich die Welt seither verändert aus Ihrer Sicht, um beim Titel Die Welt wird eine andere sein zu bleiben?

Das war schon eine Art Urknall, nach der es zu einer großen Spaltung zwischen der westlichen Welt und der arabischen Welt kam. Araber wurden danach leider vorurteilshaft gesehen und behandelt. Auf einmal hatten die Leute Angst, dass alle arabisch aussehenden Menschen Bombenattentäter sein könnten. Dabei gibt es viele, die dafür argumentieren würden, dass es diese Spaltung vorher schon gab und sie durch die Anschläge nur erst sichtbar wurde.

Sie haben schon gemeint, dass Asli sich zum Teil von ihrer Mutter und den Frauenrollen, mit denen sie aufgewachsen ist, emanzipiert hat. Was hat sich ganz allgemein in den letzten zwanzig Jahren im Hinblick auf Frauenrollen und Gleichberechtigung getan?

Das ist natürlich ein sehr weites Feld. Ein Punkt, der sich gerade ändert, betrifft Frauen beim Film. Zwar sind es nach wie vor überwiegend Männer, die bei Filmen Regie führen. Aber es entsteht doch gerade ein Bewusstsein, in diesem Bereich Frauen gezielt zu fördern. Da hat sich sehr viel getan. Und natürlich gab es die #MeToo-Bewegung, die viele überfällige Diskussionen angestoßen hat. Frauen treten heute oft selbstbewusster auf als früher. Das merke ich zum Beispiel, wenn ich an Hochschulen unterrichte: Die Mädels, die dort sitzen, sind ganz anders, als ich es in ihrem Alter war. Sie wissen heute viel mehr über die Welt als ich damals, auch wegen des Internets. Selbst wer in einem kleinen Dorf wohnt, hat alle Möglichkeit dieses Fenster zur Welt zu nutzen. Sie mucken mehr auf, lassen sich nicht alles sagen. Da ist nicht mehr dieses Obrigkeitsdenken von früher. Zusammengefasst kann man über die letzten zwanzig Jahre sagen: Die Mädels haben heute eine noch größere Schnauze. Und das finde ich cool.

Was könnte man tun, um diese Entwicklung noch weiter zu fördern?

Wir müssen anfangen, Mädchen von klein auf mutig zu erziehen. Das bedeutet, sie viel zu loben. Es bedeutet auch, Jungen und Mädchen gleich zu behandeltn. Barbies und Spielzeugautos für alle. Das ist unheimlich schwer, weil wir es selbst anders gelernt haben. Da gibt es so viele Dinge, die wir unbewusst tun und damit die Entwicklung vorwegnehmen. Es gibt viele Eltern, die sagen, dass sie ihren Sohn wie die Tochter behandeln, es dann aber doch nicht tun. Da wird das Mädchen getröstet, wenn es weint, dem Jungen wird aber gesagt, er soll sich nicht so anstellen und seine Gefühle besser kontrollieren. Und diese Ungleichbehandlung setzt sich später fest. Gibt ein Mann Kontra, heißt es, da spricht mal jemand wahre Worte. Eine Frau, die genau dasselbe tut und sagt, wird hingegen als hysterisch gesehen. Wenn wir eine wirkliche Gleichberechtigung wollen, müssen wir uns also erst einmal bewusst werden, wie viele Unterschiede wir machen.

Eine weitere Frage, die in Die Welt wird eine andere sein angesprochen wird, ist: Wie weit gilt die Loyalität einem Partner und einer Partnerin gegenüber? Als Saeed weggeht, muss ihm Asli versprechen, niemandem etwas zu sagen, was dann dazu führt, dass Saeeds Familie krank vor Sorge ist. Ihre Loyalität hat also konkrete, negative Folgen.

Das stimmt. Sie hält das mit der Loyalität schon sehr lange aus, was übrigens sehr unterschiedliche Reaktionen in den Menschen auslöst. Ein Journalist sagte mir mal, wie toll er das fand und wie sehr er da mitgegangen ist. Ich selbst frage mich aber: Ist da nicht irgendwann auch der Punkt erreicht, an dem man sie schütteln und aufwecken möchte? An dem man will, dass sie ihre eigene Meinung mal sagt? Gerade im Libanon wird sie mit dieser Passivität konfrontiert durch die Eltern. Natürlich ist sie zum Teil da noch immer durch ihre Kultur geprägt. Gleichzeitig war es mir wichtig zu zeigen, dass sie alles im Namen der Liebe tut. Sie will diese Beziehung erhalten. Sie will diese Liebe. Sie will diesen Mann. Und dafür ist sie bereit, sehr weit zu gehen. Das muss man nicht unbedingt verstehen. Nicht alles im Menschen ist rational erklärbar, vor allem, wenn die Liebe im Spiel sind.

In dem Film kommt es zu einer Begegnung von mehreren Kulturen, die nicht immer kompatibel sind. Aus unserer deutschen Sicht ist es natürlich einfach zu sagen: Ihr müsst Frauen mehr Rechte geben. Gleichzeitig gab es aber gerade auch zu Koloniezeiten Beispiele, wie wir anderen unsere Kultur und unsere Vorstellungen aufgezwungen haben. Wo zieht man da die Grenze zwischen berechtigter Kritik und Übergriffigkeit?

Das ist eine riesengroße Frage. Ich denke, dass Unterschiede in den Kulturen solange in Ordnung sind, solange die Menschen in dieser Kultur alles freiwillig mittragen. Wobei sich da natürlich die Frage anschließt: Was ist wirklich freiwillig? Wenn du in eine Kultur oder eine Familie hineingeboren wirst, in der von dir erwartet wird, dass du dich auf eine bestimmte Weise verhältst, dann bist du offiziell zwar frei, dich anders zu entscheiden. Inoffiziell aber eben nicht. Dennoch sollte, um bei der Frage zu bleiben, die Freiwilligkeit immer ein wichtiger Parameter sein.

Letzte Frage: Was kommt als nächstes? An welchen Projekten arbeiten Sie?

Ich habe den Tatort Dresden Das kalte Haus gedreht. Und ansonsten schreibe ich am Drehbuch für meinen nächsten Film. Ich möchte nur soviel verraten, dass alles anders wird. Meine bisherigen Filme leben vom authentisch realistischen Erzählen. Ich bleibe bei tief emotionalen Charakteren, setze sie aber in eine surreale Umgebung. Ich will nicht mehr allein in der echten Welt erzählen und freue mich schon darauf, etwas Neues auszuprobieren.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person
Anne Zohra Berrached wurde am 31. Juli 1982 in Erfurt geboren. Nach Abschluss ihres Studiums als Diplom-Sozialpädagogin, mit dem Schwerpunkt Psychologie, in Frankfurt am Main, arbeitete sie zwei Jahre als Theaterpädagogin in London, anschließend als Regieassistentin am Hansa-Theater und am Ballhaus Ost in Berlin. Ab 2009 studierte sie Regie an der Filmakademie Baden-Württemberg. Ihr erster Kinospielfilm Zwei Mütter über zwei Frauen, die sich ein Kind wünschen, feierte 2012 auf der Berlinale Premiere.



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