L’arbre, le maire et la médiathèque Der Baum, der Bürgermeister und die Mediathek
© La Compagnie Eric Rohmer

Der Baum, der Bürgermeister und die Mediathek

Inhalt / Kritik

L’arbre, le maire et la médiathèque Der Baum, der Bürgermeister und die Mediathek
„Der Baum, der Bürgermeister und die Mediathek“ // Deutschland-Start: 28. Juni 2021 (Arte)

Julien Dechaumes (Pascal Greggory), Schlossherr und Bürgermeister des Dorfes Saint-Juire en Vendée, hat Großes vor: Er will auf einer Wiese ein Kultur- und Sportzentrum bauen, Schwimmbad, Freilufttheater und Mediathek inklusive. Dass dieses Zentrum eigentlich viel zu groß für den Ort ist, das weiß er natürlich schon. Nur wäre es doch schade, die bereits dafür genehmigten Mittel verfallen zu lassen, umso mehr da sich Dechaumes erhofft, dadurch in seiner Partei aufzusteigen. Aber nicht alle im Dorf sind von dem Vorhaben überzeugt. Vor allem der Lehrer Marc Rossignol (Fabrice Luchini) will um jeden Preis die alte Wiese erhalten. Während die Bevölkerung in der Frage geteilt ist, recherchiert die Journalistin Blandine Lenoir (Clémentine Amouroux) für einen Artikel …

Stadt vs. Land

Er gehört zu den Konflikten, die in Filmen immer mal wieder gern ausgepackt werden: der zwischen der Provinz und der Stadt. Oft geschieht das in der Form von Culture-Clash-Komödien, in denen arrogante Großstädter aufs Land fahren und dort erkennen müssen, worauf es wirklich ankommt – beispielsweise Willkommen bei den Sch’tis oder Fisherman’s Friends – Vom Kutter in die Charts. Vereinzelt sprechen die Werke aber auch an, wie die Dörfer langsam aussterben und ihnen die Perspektiven ausgehen. Ein Dorf zieht blank oder Drift Away zeigen auf, wie auf dem Land die Verzweiflung groß wird, gerade auch weil das Verständnis und das Interesse der Politik fehlen. Denn die kümmern sich lieber um Prestigeobjekte anstatt um die Bauern.

Eric Rohmer, Ikone der Nouvelle Vague, greift das Thema in Der Baum, der Bürgermeister und die Mediathek ebenfalls auf, variiert es aber auf eine reizvolle Weise. So geht es zwar erneut um den Kontrast zwischen Stadt und Land und um fehlende Perspektiven. Dem Dorf Saint-Juire en Vendée laufen schon seit einiger Zeit die Einwohner und Einwohnerinnen davon, ohne dass sich dabei etwas zu ändern scheint. Anstatt aber einfach aufzugeben, versucht der Bürgermeister die Stadt ins Dorf zu holen und auf diese Weise die Zukunft zu sichern. Doch daran schließt sich die Frage an: Ist das dann noch unser Dorf? Was macht uns genau aus? Wie weit sollten wir in unseren Kompromissen gehen, um unser Überleben zu sichern?

Auseinandersetzung mit den Klischees

Rohmer stellt diese Fragen in den Raum, verzichtet aber darauf, eine eindeutige Antwort zu geben. Verkompliziert wird die Geschichte zudem dadurch, dass Dechaumes tatsächlich aus dem Ort kommt und in diesem stark verwachsen ist, während sein Gegenspieler Rossignol lediglich hinzugezogen ist. Wenn er für die Wiese und seine Vorstellung des Dorfes kämpft, dann hat das mehr von einem Touristen, der sich ärgert, wenn seine Urlaubsdestination nicht so aussieht wie im Prospekt. Zumal es aus seiner Position heraus deutlich einfacher ist, auf dem Status Quo zu beharren. Er hat ja nichts zu verlieren. Der Baum, der Bürgermeister und die Mediathek veranschaulicht damit schön, dass es in dieser Frage keine einfachen Antworten gibt. Die üblichen Klischees, die es bei solchen Stadt-Land-Kontrasten meisten gibt, finden hier keine Anwendung.

Alleine aus diesem Stoff hätte sich vermutlich ein ganzer Film machen lassen, zumindest wenn man das restliche Dorf miteinbezieht. Der Baum, der Bürgermeister und die Mediathek fährt stattdessen aber lieber thematisch mehrgleisig. Tatsächlich ist der Film über weite Strecken auch ein satirisch gefärbter Kommentar auf die politische Landschaft Frankreichs. Da kämpft jeder gegen jeden, sie alle suchen den persönlichen Vorteil und träumen von Macht und Einfluss. Wenn sich Dechaumes derart vehement für das Zentrum einsetzt, bleibt deshalb immer etwas offen, wie viel davon aus echter Zuneigung zu dem Ort geschieht, wie viel das Ergebnis politischen Kalküls ist. Denn irgendwann will auch er mehr sein als nur ein Bürgermeister.

Anlass zum Schmunzeln und Nachdenken

Tatsächliche Witze baute Rohmer nicht ein. Der Humor ist stärker zurückgenommen, kein Vergleich zu regulären Culture-Clash-Komödien, in denen ständig irgendwelche peinlichen Szenen passieren. Anlässe zum Schmunzeln finden sich aber schon immer wieder welche. Neben den bissig-entlarvenden Momenten sind es vor allem die Darsteller, die Gründe zur Heiterkeit liefern. Gerade Pascal Greggory und Fabrice Luchini, die sich in dem dialoglastigen Der Baum, der Bürgermeister und die Mediathek ein Fernduell liefern, sind dabei sehenswert als zwei Männer, die sich jeder auf seine Weise für das Dorf einsetzen. Der Film mag zu den unbekannteren des Regisseurs und Drehbuchautors zählen, bietet aber auch bald drei Jahrzehnte später noch genügend Stoff, über den es sich nachzudenken lohnt.

Credits

OT: „L’arbre, le maire et la médiathèque“
Land: Frankreich
Jahr: 1993
Regie: Eric Rohmer
Drehbuch: Eric Rohmer
Musik: Sébastien Erms
Kamera: Diane Baratier
Besetzung: Pascal Greggory, Arielle Dombasle, Fabrice Luchini, Clémentine Amouroux, François-Marie Banier, Michel Jaouën, Jean Parvulesco, Galaxie Barbouth

Bilder

Kaufen / Streamen

Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.




(Anzeige)

In „Der Baum, der Bürgermeister und die Mediathek“ kämpfen der Bürgermeister und ein Lehrer um die Zukunft eines kleinen französischen Dorfes – nur auf sehr unterschiedliche Weise. Die Komödie spielt dabei mit dem Stadt-Land-Konflikt, vermeidet dabei einseitige Stellungnahme und Klischees. Die ganz großen Lacher gibt es dabei nicht, dafür aber viele kleine schöne Spitzen, gerade auch im politischen Umfeld.
7
von 10