Mikra morofa aloga All the Pretty Little Horses
© Neue Visionen Filmverleih

All the Pretty Little Horses

Inhalt / Kritik

All the Pretty Little Horses
„All the Pretty Little Horses“ // Deutschland-Start: 6. Mai 2021 (DVD)

Nach einem folgenschweren Vorfall in Athen sehen sich die Pflegerin Aliki (Yota Argyropoulou) und ihr Mann Petros (Dimitris Lalos) gezwungen, Hals über Kopf ihr altes Leben hinter sich zu lassen und zusammen mit ihrem Sohn Panayiotis in eine kleine Ortschaft in der Nähe der griechischen Küste zu ziehen. Dort übernimmt Aliki die Pflege eines älteren Herrn, während ihr Mann einen Hausmeisterjob annimmt für eine vermögende Witwe, welche die meiste Zeit über entweder auf Reisen ist oder bei ihren Freunden. Da Petros’ Job diese den ganzen Tag über vereinnahmt, obliegt es Aliki eine geeignetere Bleibe für ihre Familie zu finden, doch bislang war die Suche nicht von Erfolg gekrönt. Wirklich wohl fühlt sie sich nur, wenn sie Petros auf dessen Arbeit besuchen kann und das luxuriöse Anwesen betritt, was für sie immer mehr zu einer Art Trost wird. Zwar versucht Petros die Besuche zu unterbinden, aus Angst, seine Arbeit zu verlieren und seine Arbeitgeberin zu verärgern. Jedoch kann auch er sich der Wirkung des Hauses nicht entziehen, und wie sich die Zeit dort auf die angeschlagene Beziehung zu seiner Frau und seinem Sohn auswirkt, der seine Freunde vermisst und wieder zurück nach Athen will.

Immer mehr schleicht sich die Erkenntnis bei den Eheleuten ein, dass eine Rückkehr nach Athen und damit zu ihrem alten Leben schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist, sodass die Stunden im Haus immer wichtiger für Petros und Aliki werden. Als die Inhaberin für eine ganze Weile verreist, beschließt das Paar ganz dort einzuziehen, um sich zumindest der Illusion hinzugeben, dass sich alles zum Guten wenden könnte. Doch die Zeit läuft ihnen davon, und während sich die Rückkehr der eigentlichen Bewohnerin nähert, sehen sich Petros und Aliki mit der Frage konfrontiert, ob nicht sogar ihre Beziehung verloren ist.

Die Illusion einer Familie

Bereits in seinem letzten Projekt Luton befasste sich der griechische Drehbuchautor und Regisseur Michaelis Konstantatos mit dem Konzept des sozialen Abstiegs und inwiefern Wohlstand, Ruf und Vermögen eine Rolle spielen in der modernen Gesellschaft. In All the Pretty Horses, der bereits auf Filmfestivals in Shanghai, Sarajewo und Warschau lief, geht der Filmemacher noch einen Schritt weiter und erzählt davon, wie die Erfahrung eines solchen Abstiegs den Menschen an sich und seine Beziehung zu anderen nachhaltig prägen kann. Damit ist ein Drama entstanden, welches nicht nur erschreckend aktuell ist, sondern sich aufgrund seiner Ästhetik den Werken von Regisseuren wie Yorgos Lanthimos oder Michael Haneke annähert.

Nicht zuletzt dürfte man sich als Zuschauer auch an Filme wie Bong Joon-hos Parasite erinnert fühlen, spielt doch Konstantatos’ Drehbuch mit der Idee von Besitz, Reputation und Vermögen, was sich im Bild des Hauses widerspiegelt. In statischen Kameraeinstellungen eingefangen, betonen die Inszenierung Konstantatos’ und Kameramann Yannis Fotou die Weite des Raumes, der Möglichkeiten für ein Leben, aber auch, wie verloren die Figuren teils in diesen wirken. Wirken die ersten Wohnungen und Häuser auf Aliki noch fremd und kalt, fragt man sich doch bald, inwiefern sich die junge Familie doch sich dies überhaupt leisten kann und inwiefern die Option eines erfüllenden Familienlebens, wie sie es in Athen wohl erlebt haben, noch möglich erscheint. Jedoch ist das Bild nach wie vor da, mag man es auch als Illusion abtun und hallt in den Figuren nach, welche nun einem anderen, einem fremden Haus eben diese Vorstellung von Familie inszenieren.

Die Vorstellung von Besitz und Familie ist eng verknüpft mit der Vorstellung des persönlichen Erfolgs. Als Aliki und Petros ein bekanntes Paar aus Athen einladen, sie in ihrem „neuen Haus“ zu besuchen, gibt sich vor allem Petros als stolzer Besitzer, welcher bereits sehr genaue Pläne für die Erweiterung des Hauses hat, was von seinem Gegenüber, passenderweise ein Architekt, wohlwollend gebilligt wird. Zeigt die Szene auch die wachsende emotionale Distanz der Eheleute, betont Konstantatos in solch klaren, ästhetisch wie darstellerisch unaufgeregten Sequenzen, wie sich der Mensch über Konzepte wie Besitz definiert und welch nachhaltigen psychologischen Schaden dessen Verlust nach sich zieht.

Ein fremdes Leben

Generell ist Konstantatos kein Freund des großen Dramas und setzt stattdessen auf eine subtile, stille Inszenierung, die aber keinesfalls ihre Wirkung einbüßt. Ganz im Gegenteil ist der formale Minimalismus, kombiniert mit dem Spiel seiner beiden Hauptdarstellern sehr überzeugend und deutet vielmehr an, als das er etwas ausbuchstabiert. Besonders interessant wird dies, wenn es um die Definition des Lebens in diesem eigentlich fremden Haus geht, welches die Familie ungefragt okkupiert. Mehr und mehr zeigt sich die Diskrepanz zwischen dem alten Leben, welches reanimiert werden soll, zu dieser eigentlichen Darstellung von Leben, die mehr einem Theaterstück gleicht und die Distanz zwischen den Figuren mehr als alles andere hervorhebt.

Daraus ergibt sich eine Anspannung, die von den ersten Einstellungen in All the Pretty Horses an existiert und sich im Verlauf der Handlung steigert. Wie die Figuren im Film kann auch der Zuschauer nicht genau fassen, was es genau ist, was hier schiefläuft oder woher die Katastrophe kommen mag, die man bereits erahnt und welche unausweichlich scheint. Im Unausgesprochenen und Ambivalenten liegt nicht nur die Kunstfertigkeit, sondern auch das Perfide dieser Geschichte.

Credits

OT: „Mikra morofa aloga“
Land: Griechenland, Belgien, Deutschland
Jahr: 2020
Regie: Michalis Konstantatos
Drehbuch: Michalis Konstantatos
Musik: Liesa Van den Aa
Kamera: Yannis Fotou
Besetzung: Yota Argyropoulou, Dimitris Lalos, Katerina Didaskalou, Alexandros Karamouzis

Bilder

Trailer

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„All the Pretty Little Horses“ ist eine spannende Mischung aus Thriller und Drama über Themen wie Besitzdenken, Familie und sozialen Abstieg. Dank Michalis Konstantatos‘ subtiler Inszenierung gelingt ein hochgradig interessanter Film, in dessen Stille sehr viel Gefahr und Explosivität lauert und der viel über unsere Wirklichkeit zu sagen weiß.
9
von 10