Der Nachtzug

Der Nachtzug

Inhalt / Kritik

Der Nachtzug
„Der Nachtzug“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Auf dem Weg zurück vom Grab ihrer Mutter begegnen die fünfjährige Banafsheh und ihre Großmutter (Maryam Boubani) im Zug einer Lehrerin (Behnaz Naderi). Als diese davon erfährt, dass das junge Mädchen ihre Mutter nie kennengelernt hat, versucht sie Banafsheh zu trösten, erzählt ihr eine Geschichte und schenkt ihr schließlich ein Plüschtier. Das Mädchen schließt die Frau sofort in ihr Herz und ringt ihr das Versprechen ab, sie möge sie und ihre Familie nächsten Freitag doch einmal besuchen. Die Lehrerin sagt zu, doch leider verliert sie in den folgenden Tagen ihr Handy und kann deswegen nicht Banafshehs Familie anrufen. Vor allem wegen ihres schlechten Gewissens dem Kind gegenüber arbeitet sie mit ihren Schülern an einer Geschichte, deren Ausgangspunkt jene Fahrt mit dem Nachtzug ist und was Banafsheh und ihrer Familie danach widerfahren sein könnte. Parallel wird Banfsheh immer ungeduldiger, streicht die Tage im Kalender durch und wartet vor dem Telefon auf einen Anruf der Lehrerin. Während ihre Großmutter bald schon nicht mehr weiter weiß und ihr Vater (Afshin Hashemi), der den ganzen Tag in einer Mine arbeitet, meist viel zu erschöpft ist, um sich mit seiner Tochter zu befassen, beschließt Banafsheh kurzerhand, selbst auf die Suche nach der Lehrerin zu gehen.

Geschichte und Erinnerung

Für seinen Spielfilm Der Nachtzug, der auf dem Internationalen Filmfestival Schlingel 2020 zu sehen war, wurde Regisseur Hamidreza Ghotbi auf dem Roshd International Film Festival in seiner Heimat mit der Ehrung für den Besten Film ausgezeichnet. In seinem Film geht es um die Macht von Geschichten, welchen Trost sie spenden können und welchen Einfluss sie generell auf unser Leben haben. Eine zentrale Rolle spielen dabei Kinder, insbesondere deren Vorstellungskraft, die der Schlüssel zu einer guten Geschichte sein kann.

Immer wieder prallt die Wirklichkeit der Erwachsenen mit der Welt der Kinder in diesem Film zusammen. Ohne Mutter aufgewachsen und mit einem Vater, der die meiste Zeit weg ist und arbeiten muss, hat sich Banafsheh eine eigene Welt zurechtgemacht, in die bisweilen höchstens ihre Großmutter vordringt sowie ihr Großvater, der ihrem Vater nach wie vor die Schuld am Tod seiner einzigen Tochter gibt. Das aufmüpfige Mädchen hält ihre Großeltern jedoch so auf Trab, dass diese gar nicht mehr mitkommen, wie ihre Oma Banafshehs Vater an vielen Stellen gesteht. Dieser Kontrast wird nochmals deutlich daran, dass die im Gegensatz zu den Erwachsenen nicht so schnell aufgibt und sich selbst einen Plan überlegt, als sich die Lehrerin nicht meldet.

Im Kontext des Erzählens einer Geschichte, ein Konzept, welches im Fokus des Films steht, erzählt Ghotbi von den Grenzen, die wir uns selbst auferlegen. So ist es die gemeinsame Vergangenheit, die geteilte Geschichte von Banafshehs Großvater und seinem Schwiegersohn, die sie nicht mehr miteinander reden lässt. Auch wenn der frühe Tod der Mutter einen traurigen Beginn definiert, ist Banafsheh doch unschuldig und mit einer kindlichen Neugierde ausgestattet, aber vor allem mit dem Willen, dieser Geschichte eine positive Wendung zu geben, die sich, wenn es die Erwachsenen nicht tun wollen, eben selbst herbeiführt.

Ein gutes Ende

Jedoch ist das Konzept des Erzählens noch auf anderen Ebenen in Der Nachtzug verankert. Als Zuschauer fragt man sich an vielen Stellen, welcher Geschichte man hier eigentlich folgt, ob es sich um die der Schüler handelt, die, motiviert durch ihre Lehrerin, diese weiterspinnen, oder ob es sich hierbei um diese handelt, die Banafsheh erzählt und in der sie handelt. Dieses Spiel mit verschiedenen Ebenen einer Geschichte und des Erzählens zeigt sich auch formal, wenn ein abrupter Schnitt beispielsweise das Verwerfen einer Idee oder Erzählstrangs andeutet. Allerdings stiftet es auch bisweilen gehörig Verwirrung beim Zuschauer, bis man sich fragt, ob nicht etwas mehr Struktur diesem Plot gutgetan hätte.

Credits

OT: „Ghatare An Shab“
Land: Iran
Jahr: 2019
Regie: Hamidreza Ghotbi
Drehbuch: Behrouz Reshad
Kamera: Mohammad Rasouli
Besetzung: Afshin Hashemi, Siamak Safari, Maryam Boubani, Behnaz Naderi

Trailer

Filmfeste

Schlingel 2020



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„Der Nachtzug“ ist eine Geschichte über kindliche Neugierde und über die Macht des Erzählens. Mögen auch viele Einfälle des Films eher mehr Verwirrung stiften, als unbedingt nötig ist, gelingt Hamidreza Ghotbi dennoch eine sehr berührende Erzählung über ein junges Mädchen, welches nach seiner Mutter sucht.
6
von 10