The Pervert's Guide to Cinema
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The Pervert’s Guide to Cinema

Kritik

The Pervert's Guide to Cinema
„The Pervert’s Guide to Cinema“ // Deutschland-Start: 23. Oktober 2020 (DVD)

Die Disziplin der Analyse wird in der Regel eher dem akademischen Bereich zugeordnet, wobei sie in der Praxis immer mehr an Relevanz verliert. Immer weniger wird hinterfragt oder selbständig der Versuch gemacht, etwas zu erklären, und es finden sich immer mehr in den Netzen einiger findiger Menschen wieder, welche ihrer eigenen Ideologie folgend Sachverhalte er-, wenn nicht sogar verklären. Der slowenische Philosoph Slavoy Žižek gehört alleine schon deswegen zu einer Lichtgestalt innerhalb der Kultur, nicht nur wegen seiner zahlreichen Veröffentlichungen, sondern wegen seiner großen Passion des Erklärens, des Entschlüsselns, welche sich schon nach wenigen Minuten, denen man dem teils hyperaktiv anmutenden Redefluss Žižeks lauscht, auf den Zuschauer überträgt, der hineingeworfen wird in den an Verweisen reichen Diskurs, den er mit seinem Gegenüber betreibt. Immer wieder wendet Žižek, selbst ein bekennender Cineast, seine Theorien und Befunde auf Bereiche der Popkultur, vor allem aber den Film, an, sodass ihm die britische Dokumentarfilmerin und Produzentin Sophie Fiennes (Grace Jones: Bloodlight and Bami) mit der Einladung diese Gedanken in Form einer abendfüllenden Dokumentation zu vertiefen, eine perfekte Plattform bot.

Das Ergebnis der Bemühungen ist The Pervert’s Guide to Cinema, eine 153 Minuten umfassende Dokumentation, die teils aus Studioaufnahmen besteht, teils aber auch die Originalschauplätze von Filmen wie Vertigo – Aus dem Reich der Toten, Die Vögel oder Der Dialog aufsucht, wo Žižek sich dem betreffenden Werk besonders widmet. Mehr als 200 Stunden Material wurden aufgenommen, in denen sich Žižek den einzelnen Werken in erster Linie aus psychoanalytischer Sicht nähert, aber auch Verbindungen schafft zu ideologiekritischen Ansätzen. Die Ausführungen des Philosophen sind dabei nicht geskriptet, sondern orientieren sich lediglich an thematischen Kernpunkten, die er anspricht.

Perverse Kunst
Wem die Aussicht auf eine über zweistündige Filmanalyse langweilig erscheint, wird bereits in den ersten Minuten der Dokumentation eines Besseren belehrt, wenn Žižek auf seiner Kernthese zu sprechen kommt, nach der insbesondere der Film eine „perverse Kunst“ sei, die einem beibringt, wie man etwas begehrt, es dann aber dem Zuschauer vorenthält. Ausgehend von dieser theoretischen Rahmung der Dokumentation, verknüpft der Philosoph in einer teils etwas gehetzt wirkenden, aber hintersinnigen Vortragsweise einzelne Unterpunkte, in denen es um das „Alien“ in uns geht, um die Problematik des Doppelgängers in Werken wie David Finchers Fight Club oder um die Dunkelheit der Gelüste in den Filmen eines David Lynch.

Bei dieser Fülle an Verweisen kann es immer mal wieder sein, dass man den Überblick verliert, sodass man vermutlich einige Passagen der Dokumentation noch einmal sichten wird. Doch dies werden gerade Filmfreunde mit großer Freude tun, eröffnet Žižek seinem Zuhörer doch teils provokante, strittige aber immer doch interessante Lesarten vieler Klassiker wie beispielsweise Psycho, von denen man eigentlich dachte, zu diesen sei bereits alles gesagt worden. In der Darstellung von Schlüsselszenen wie der finalen Szene in Psycho oder dem Mord in Der Dialog zeigt sich eine große Lust auf die Elemente sowie die Bedeutungsebenen dieser Bilder, Szenen und Figuren der einzelnen Filme, eine Passion für die Filmkunst, aber auch eine für den Diskurs mit dem Zuschauer, der schließlich nicht einfach nur konsumieren soll.

Credits

OT: „The Pervert’s Guide to Cinema“
Land: UK, Niederlande, Österreich
Jahr: 2006
Regie: Sophie Fiennes
Drehbuch: Slavoy Žižek
Musik: Brian Eno
Kamera: Remko Schnorr, Sophie Fiennes

Trailer

Filmfeste

International Film Festival Rotterdam 2006
Toronto International Film Festival 2006

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„The Pervert’s Guide to Cinema“ ist vor allem für Filmliebhaber eine große Bereicherung, betont Slavoy Žižek die Lust am Interpretieren der Bilder. Immer wieder zeigen sich einem neue Lesarten und Ansätze, welche vielleicht strittig sind, aber keinesfalls uninteressant. Kurzum ist dies ein Film, der gerade jenen ans Herz gelegt werden sollte, die über den Kinobesuch hinaus noch diskutieren, erklären und streiten wollen.