Welcome to Chechnya
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Welcome to Chechnya

Kritik

Welcome to Chechnya
„Welcome to Chechnya“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Im Frühjahr 2017 erzeugten Social Media Posts und vereinzelte Zeitungsberichte aus der autonomen russischen Republik Tschetschenien große Aufmerksamkeit. Schwule und Lesben aus der Region im Nordkaukasus berichteten von einer systematischen Verfolgung, Inhaftierung, Folterung und Ermordung von Mitgliedern der LGBTQ-Community. Die nun erschienene Dokumentation Welcome to Chechnya begleitet eine Gruppe Moskauer LGBT-Aktivisten dabei, Betroffene der homophoben Pogrome in Sicherheit zu bringen. In verschiedenen sicheren Häusern in Moskau, aber auch in europäischen Grenzstaaten, können sich die Betroffenen zunächst in Sicherheit wähnen. Gleichzeitig stehen die meist jungen lesbischen und schwulen Tschetschenen vor der Bewältigung ihrer schmerzhaften und brutalen Vergangenheit und  einer ungewissen Zukunft. 

Obwohl es sich bei der Dokumentation um eine Produktion des amerikanischen Fernseh- und Streaminggiganten HBO handelt, wird die Geschichte der tschetschenischen LGBT-Community keinesfalls aus der Sicht westlicher Betrachter erzählt. Zu Wort kommen ausschließlich die Betroffenen und die Moskauer Aktivisten, die ihnen zur Seite stehen. Ihre erschreckenden Berichte sprechen für sich, eine zusätzliche Kommentierung ist nicht vonnöten. Dabei sparen die Erzählenden nicht an expliziten Darstellungen von Brutalität und Folter. Sie berichten von Hinterhalten, in die sie über Datingapps  gelockt wurden, erzählen von Verwandten, die ihnen sexuelle Gewalt androhen und zeigen ihre Narben, das Resultat der brutalen und entmenschlichenden Folter der tschetschenischen Polizei. Unterstützt werden diese Aussagen immer wieder mit abgefangenen Amateuraufnahmen von gewalttätigen homophoben Übergriffen, die collagenartig eingespielt werden. Die Aufnahmen von Folter und brutaler sexualisierter Gewalt sind oft kaum auszuhalten; dennoch sind sie die Realität der Betroffenen in der Dokumentation, denen die Zeit eingeräumt wird, in Gänze ihre Geschichte zu erzählen. Dabei erfahren wir allerdings nicht nur über Folter und Gewalt, sondern lernen liebevolle Familien kennen, erhalten einen Einblick in das Zusammenleben in der sicheren Unterkunft in Moskau, und werden Zeugen von Zärtlichkeit und Zuneigung, die den jungen Tschetschenen in der Vergangenheit verwehrt war.

Der Mut der Öffnung
Welcome to Chechnya ist ein Zeugnis des Muts, den die Betroffenen von homophober Gewalt in Tschetschenien beweisen. Mit dem Schritt vor die Kamera sind sie zum einen die dringend notwendigen Zeuginnen und Zeugen der Gräueltaten, die gegen Lesben und Schwule in Tschetschenien begangen werden. Zum anderen ist ihr Gang an die Öffentlichkeit mit dem Risiko verbunden, von Behörden oder Angehörigen erkannt und verfolgt zu werden. Um die Betroffenen im Film zu schützen, wird eine überzeugende Methode angewandt. Die Protagonisten werden nicht wie üblich verpixelt oder verdunkelt dargestellt. Stattdessen werden die Gesichter von Face Doubles über die der Betroffenen gelegt. Dadurch werden ihre Gesichter zwar unkenntlich gemacht, Mimik und Gestik bleiben allerdings erhalten.

Das Ausmaß der Gewalt gegen die LGBT-Community in Tschetschenien ist in der Dokumentation nur zu erahnen. Und angesichts steigender homophober Gewalt weltweit mahnen die Moskauer Aktivisten: Was in Tschetschenien passiert, kann auch in den vermeintlich liberalen Metropolen Moskau und St. Petersburg, oder gar im Rest der Welt passieren. Welcome to Chechnya ist eine besondere Dokumentation, die präzise und ungefiltert die unvorstellbaren Gewaltverbrechen an den Mitgliedern der tschetschenischen LGBT-Community darlegt. Der Film, der in diesem Jahr mit dem Sundance-Jurypreis für das beste Editing und dem Publikumspreis Bester Dokumentarfilm der Berlinale ausgezeichnet wurde, ist  damit ein wichtiges Zeugnis der eklatanten Menschenrechtsverletzungen, die die Regierung der autonomen Republik im Nordkaukasus weiterhin vehement bestreitet.

Credits

OT: „Welcome to Chechnya“
Land: USA
Jahr: 2020
Regie: David France
Drehbuch: David France, Tyler H. Walk
Musik: Evgueni Galperine, Sacha Galperine
Kamera: Askold Kurov, Derek Wiesehahn

Trailer

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„Welcome to Chechnya“ ist das Resultat von konzentriertem Investigativjournalismus. Die Dokumentation über die Pogrome gegen Lesben und Schwule in Tschetschenien spart nicht an erschütternden Berichten und grafischen Bildern, um den Zuschauer zu informieren und wachzurütteln. Durch die ausführliche Berichterstattung der jungen Tschetschenen wird der Film zu einem bemerkenswerten und notwendigen Zeugnis von systematischer Verfolgung und Folter.