Nocturne Amazon Prime Video
© Amazon Studios

Nocturne

Kritik

Nocturne Amazon Prime Video
„Nocturne“ // Deutschland-Start: 13. Oktober 2020 (Amazon Prime Video)

Für Juliet (Sydney Sweeney) ist ein Leben ohne Musik nicht vorstellbar. Seit ihrer frühesten Kindheit spielt sie bereits Klavier, hat ihre gesamten Jugendjahre mit Üben verbracht und träumt davon, an einer renommierten Musikschule aufgenommen zu werden. Doch so richtig belohnt wurden all diese Mühen bislang nicht. Während ihrer Zwillingsschwester Vivian (Madison Iseman) alle Türen offen stehen, ihr alles zu gelingen scheint, da kommt sie selbst nicht wirklich voran. Das ändert sich, als eine ihrer Kommilitoninnen sich überraschend das Leben nimmt und Julia die Unterlagen der Verstorbenen in die Hände fallen. In denen hatte sie Theorien festgehalten, aber auch eigenartige, unheimliche Zeichnungen. Je mehr sich die Schülerin mit ihnen auseinandersetzt, umso mehr gewinnt sie an innerer Stärke – aber zu einem hohen Preis …

Interessante Ideen, aber eine wenig konsequente Umsetzung: Mit diesem Urteil kann man die vier Filme zusammen, welche Amazon Prime Video unter dem Label „Welcome to Blumhouse“ veröffentlicht hat, eine Kooperation mit der gleichnamigen Horror-Produktionsstätte. The Lie befasste sich mit der Frage, wie weit Eltern für ihre Kinder gehen. Black Box nahm sich der Überlegung an, wie viel unserer Persönlichkeit durch Erinnerungen bestimmt sind. Evil Eye bringt den Gegensatz von Tradition und Moderne auf, sowie eine Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen. Genrefilme mit solchen Grundsatzfragen zu verbinden, ist dabei prinzipiell lobenswert. Schade ist nur, wenn so wenig daraus gemacht wird.

Alles für die Musik
Auch Film Nummer vier Nocturne fehlt es am Ende an etwas, obwohl der Auftakt vielversprechend war. Dieses Mal steht ein Mädchen im Mittelpunkt, das besessen von der Idee ist, eine berühmte Pianistin zu werden und dabei zunehmend die Kontrolle verliert. Filme mit einer ähnlichen Thematik hat es in den letzten Jahren prinzipiell einige gegeben, von Whiplash bis zu Prélude. Hier wird dies aber mit einer übernatürlichen Komponente verbunden. So wie ihre männlichen Kollegen in den beiden besagten Filmen war Juliet bereit, auf alles zu verzichten. Bei ihr geht es aber noch darüber hinaus, wenn sie bei dem Versuch, es endlich einmal zu schaffen, sehr unschöne Züge entwickelt – wobei Regisseurin und Drehbuchautorin Zu Quirke dabei offen lässt, ob diese Abgründe neu sind oder jetzt erst ans Tageslicht treten.

Allgemein bleibt vieles in dem Film offen, darunter der elementare Punkt: Verleihen die Aufzeichnungen der Verstorbenen wirklich Kräfte? Sind sie Teil eines dämonischen Paktes, den diese eingegangen hat und damit nun auch Juliet? Oder handelt es sich doch lediglich um eine psychische Angelegenheit, wenn der hohe Druck und jahrelang unterdrückte Gefühle zu wahnhaftem Verhalten führt? Diese bewusst offen gelassene Grenze zwischen Realität und Einbildung ist natürlich eines der filmischen Standardrituale des Horrorbereiches. Entsprechend vertraut kommt einem hier vieles vor. Wenn die Jugendliche ihrer dunklen Bestimmung folgt, dann wandelt sie eben nicht nur auf den Pfaden der Verstorbenen, sondern auch auf denen unzähliger anderer, die sich durch dieses Genre gekämpft haben. Der mutmaßliche Pakt mit dem Teufel ist ebenfalls keine besonders ungewöhnliche Errungenschaft in dem Umfeld.

Das unsichere Leben der künftigen Klassiker
Zwei Punkte sind es, die trotz der vielen Ähnlichkeiten den Film auf seine Weise interessant machen. Zum einen gibt es hier ein tatsächlich unheimliches Sound Design, das einen immer wieder auf wohlige Weise zusammenzucken lässt. Aber auch die Ausführungen zu der Situation angehender klassischer Musiker und Musikerinnen heben Nocturne von der Konkurrenz ab. Hier geht es eben nicht nur um künstlerische Ambition, sondern um einen hohen Druck und Existenzängste. Die Beliebtheit der klassischen Musik nimmt rapide ab, wer es in diesem Bereich zu etwas bringen will, muss mit zahlreichen anderen um einen immer kleiner werdenden Kuchen streiten. Hinzu kommt, dass die Generation Instagram auf momentanen Ruhm ausgerichtet ist. Du musst jetzt leben, jetzt etwas erreichen, nicht irgendwann in einer Zukunft, die es vielleicht gar nicht mehr geben wird.

Doch an der Stelle ist auch schon wieder irgendwie Schluss. Die Ambitionen Quirkes, etwas Grundsätzliches über das Heranwachsen und die Selbstsuche in einer unsicheren Welt zu sagen, verlieren sich in den Konventionen des Genrekinos. Insgesamt ist Nocturne solide, neben Black Box auch der einzige der vier, der tatsächlich ein paar unheimliche Szenen hat. Aber es ist sowohl als Horrorfilm wie auch als Coming-of-Age-Drama letztendlich zu wenig. Spannende Faktoren wie das Verhältnis zwischen den beiden Zwillingsschwestern, das von Nähe in einen erbitterten Konkurrenzkampf umschlug, werden immer wieder angesprochen, aber nicht genügend vertieft, um der eigentlichen Tragik gerecht zu werden, die schon lange vor dem Buch begonnen hat.

Credits

OT: „Nocturne“
Land: USA
Jahr: 2020
Regie: Zu Quirke
Drehbuch: Zu Quirke
Kamera: Carmen Cabana
Besetzung: Sydney Sweeney, Madison Iseman, Jacques Colimon, Ivan Shaw

Bilder

Trailer

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In „Nocturne“ träumt eine Jugendliche davon, eine große Musikerin zu werden, spielt neben ihrer Zwillingsschwester aber nur die zweite Geige. In dem Film stecken einige interessante Themen, auch das unheimliche Sound Design zeichnet den Horrorbeitrag aus. Und doch bleibt die große Begeisterung aus, da vieles hier nicht genügend ausgearbeitet wird.
6
von 10