Renn wenn du kannst
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Renn, wenn du kannst

Kritik

Renn wenn du kannst
„Renn, wenn du kannst“ // Deutschland-Start: 29. Juli 2010 (Kino) // 4. Februar 2011 (DVD)

Einfach ist Ben (Robert Gwisdek) nun wirklich nicht. Immer wieder macht es sich der Student, der seit einem Unfall im Rollstuhl sitzt, zum Spaß, seine Zivildienstleistenden zu quälen und zu vergraulen. Sein neuestes Opfer ist Christian (Jacob Matschenz), der davon träumt Medizin zu studieren. Zu Bens Überraschung lässt sich der Neue aber gar nicht auf diese Spielchen ein, sondern gibt richtig Kontra – was ihm insgeheim gut gefällt. Noch besser gefällt dem jungen Mann aber die Cellistin Annika (Anna Brüggemann), die er schon seit einer Weile heimlich vom Balkon aus beobachtet. Durch einen Zufall lernen die beiden sie eines Tages tatsächlich kennen und verbringen anschließend viel Zeit miteinander und müssen sich irgendwann fragen: Sind bei drei nicht einer zu viel?

Wer jetzt nicht gerade beruflich oder privat mit körperlich behinderten Menschen zu tun hat, der begegnet ihnen im Alltag oft mit Befangenheit und Unsicherheit. Wie soll ich mich verhalten? Spreche ich die Behinderung an oder tue ich so, als würde ich sie nicht sehen? Da zeigt man sich schon mal übertrieben rücksichtsvoll, um auch ja nichts falsch zu machen – und macht es genau damit. Dass es auch ganz anders geht, zeigte die französische Tragikomödie Ziemlich beste Freunde, die mit politisch wenig korrektem Witz zu einem weltweiten Hit wurde. Leider sehr viel weniger bekannt, dabei nicht minder empfehlenswert, ist der deutsche Kollege Renn, wenn du kannst, der ein Jahr zuvor herausgekommen war.

Spaßige Konfrontationen
Der Zugang zum Thema ist dabei etwas anders. War es bei den Franzosen vor allem die Begegnung mit dem unkonventionellen Pseudo-Pfleger, die für Biss sorgte, da schafft das Ben hier ganz allein. Von Anfang zelebriert er die eigene Gemeinheit, macht anderen das Leben zur Hölle, ist mit seiner zynischen Art so unangenehm, dass man freiwillig das Weite sucht. Zu seinem Glück – und dem des Publikums – begegnet er mit Christian aber jemandem, der sich das so nicht gefallen lässt und auf eine ähnliche Weise zurückfrotzelt. Die ersten Szenen von Renn, wenn du kannst leben dann auch davon, wie die beiden jungen Männer sich gegenseitig verbal abtasten, Grenzen austesten, mal gemeinsam, mal in einer direkten Konfrontation.

Überhaupt lebt die deutsche Tragikomödie, die 2010 auf der Berlinale Premiere feierte, in erster Linie von den Interaktionen der Hauptfiguren. Das gilt auch dann, als Annika hinzustößt und der Film eine romantische Note hinzugewinnt. Die Höhepunkte des Films sind gar nicht die Szenen, in denen Renn, wenn du kannst das große Drama sucht. Stattdessen sind es die leisen Szenen, wenn sich die drei über alles Mögliche unterhalten, gern auch mal ein wenig herumspinnen, die das Herz des Films bilden. Dietrich Brüggemann, der Regie führte und mit seiner Schwester Anna das Drehbuch schrieb, zeigt sich wie auch in seinem anschließenden 3 Zimmer/Küche/Bad als ein Meister des humorvollen Alltags, kombiniert präzise Dialoge mit einer entspannten Banalität.

Sinnsuche zwischen Absurdität und Alltag
Dass das Ganze zwischendurch mal etwas ziellos wirkt und allenfalls von Running Gags zusammengehalten wird, ist dabei kein Problem. Im Gegenteil: Renn, wenn du kannst zeigt drei Menschen, die alle irgendwo noch auf der Suche sind und sich ausprobieren müssen – unbeholfene Momente des Scheiterns inklusive. Auch dass sich bei aller Abkehr formelhafter Gefühlsduselei diverse Klischees in das Skript geschlichen haben, fällt nicht weiter störend auf. Schwieriger ist, dass die Brüggemanns später diese unbekümmert-freche Herangehensweise zeitweilig aufgeben und auf einmal ganz tief eintauchen wollen. Das passt nicht so recht zum Rest des anderen, wirkt auch zu bemüht in dem Versuch, doch noch Emotionen aus dem Publikum herauspressen zu wollen.

Ansonsten ist Renn, wenn du kannst aber ein sehenswerter, unterhaltsamer wie auch intelligenter Beitrag über junge Menschen und die Stolpersteine, die einen unterwegs so erwarten. Und er ist ein fantastisch gespielter Beitrag: Wenn Robert Gwisdek (3 Tage in Quiberon), Jacob Matschenz (Undine) und Anna Brüggemann auf dem Balkon sitzen und sich die Welt da draußen anschauen, dann braucht man diese Welt als Zuschauer gar nicht zu sehen. Stattdessen ist man genug gefesselt davon, wie sie über Gott und die Welt plaudern, mal ziemlichen Blödsinn von sich geben, mal Tiefsinn zeigen, sich Beziehungen irgendwo zwischen Freundschaft und Liebe aufbauen, zwischen Absurdität und Alltag, ohne immer genau zu wissen, worum es gerade geht.

Credits

OT: „Renn, wenn du kannst“
Land: Deutschland
Jahr: 2010
Regie: Dietrich Brüggemann
Drehbuch: Dietrich Brüggemann, Anna Brüggemann
Musik: Milena Fessmann
Kamera: Alexander Sass
Besetzung: Robert Gwisdek, Jacob Matschenz, Anna Brüggemann

Bilder

Trailer

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„Renn, wenn du kannst“ ist eine sehenswerte Tragikomödie um einen jungen Rollstuhlfahrer, seinen Zivi sowie eine Frau, die beiden den Kopf verdreht. Das schwankt zwischen absurd und alltäglich, lebt von bissigem Humor und einem wunderbaren Trio, das sich und einander sucht in einer Welt, in der nichts von Bestand ist.
7
von 10