Lapsis

Kritik

Lapsis
„Lapsis“ // Deutschland-Start: nicht an gekündigt

Nach einer Reihe von Fehlschlägen in seinem Job als Auslieferer beschließt Ray (Dean Imperial), dass es Zeit ist, sich einen neuen Job zu suchen, besonders als er der Polizei bei seinem letzten Auftrag mit Mühe und Not ausweichen kann. Er braucht jedoch dringend Geld, um seinem jüngeren Bruder Jamie (Babe Howard), der an einer Art Schlafkrankheit leidet, eine kostspielige Behandlung zu finanzieren. Durch einen zwielichtigen Kontakt und durch eine Werbebroschüre erfährt er von dem Job des „Cablers“, der Kabelauslegers für eine weltweit operierende Firma. Meist junge Menschen arbeiten für das Unternehmen und verlegen in den Wäldern oft meilenweit Kabel, die sie mit einem Quantum-Kubus, einer leistungsstarken Recheneinheit verbinden. Ray ist zwar nicht gerade der geborene Wanderer, doch die Möglichkeit durch einfache Arbeit potenziell sehr viel Geld in kurzer Zeit zu verdienen, ist zu verführerisch, sodass er sich mit einem kleinen Team von „Cablers“ aufmacht in die Wälder. Allerdings zeichnen sich für Ray schon bald neue Hindernisse ab, denn nicht nur empfindet er das Arbeitsumfeld im Wald mit seinen ungeschriebenen Gesetzen und der Überwachung durch Roboter oder Kameras als sehr seltsam, auch die Gemeinschaft der „Cabler“ reagiert reserviert bis hin zu feindselig auf ihn. Besonders die Erwähnung des Usernamen, mit dem er sich in der Mitarbeiterdatenbank des Unternehmens anmeldet, sorgt für Unbehagen und erst mithilfe von Anna (Madeline Wise), einer weiteren „Cablerin“, wird er über Namen aufgeklärt und welche Implikationen dieser hat. Unverhofft findet er sich in einer Bewegung wieder, die sich gegen die Kontrolle der Firma auflehnt, was nicht nur sehr gefährlich für Ray selbst ist, sondern auch die Gesundheit seines Bruders aufs Spiel setzt.

Aufstand gegen das Leistungsdiktat
Bereits in seinem ersten Spielfilm Mosaic (2017) setzte sich der US-amerikanischen Filmemacher Noah Hutton mit der teils problematischen Verbindung von Mensch, Technologie und Kapital auseinander. Wie Hutton in einem Interview zu seinem neuen Spielfilm Lapsis, der nun auf dem Fantasia Festival gezeigt wird, sagt, ist die Beziehung von Mensch und Technik nicht per se problembehaftet, bedenkt man alleine, wie viele Faktoren eines Filmdrehs von der Kollaboration von Mensch und Technologie abhängen. In Lapsis zeigt er eine Welt, in der diese Möglichkeit der Kollaboration noch vorliegt, aber durch die zunehmende Kapitalisierung ausgehöhlt wird, sodass wir es mit einer oftmals bizarren und verwirrenden Zukunftsvision zu tun haben, in der die Technik ganz dem Diktat der Selbstoptimierung und den Grundpfeilern der Leistungsgesellschaft folgt.

Gerade die Gemeinschaft der „Cabler“, die irgendwo zwischen Utopie und verschworener Gemeinschaft gelagert ist, scheint eine mehr als direkte Anspielung auf Silicon Valley und ähnliche Kollektive zu sein. Der Kontrast von Technologie und Natur stört niemanden, gehen beide doch eine augenscheinlich harmonische Symbiose miteinander ein, eine Harmonie, die sich gleichsam auf die Menschen überträgt. Ray, an den Lärm und die Gerüche der Stadt gewöhnt, durchlebt eine ganz neue Welt, in der andere Regeln gelten und die für ihn ironischerweise weniger zu überblicken ist als der sprichwörtliche Dschungel der Großstadt.

Hinter dieser Mischung aus New-Age-Glauben und Technikaffinität verbirgt sich allerdings ein perfides Netzwerk, welches auf Leistung un Konkurrenz aufbaut. Immer wieder wird Menschen wie Ray die Überlegenheit der Technik dargelegt, die ihn überholt und ihm immer einen Schritt voraus zu sein scheint. Wie der Zuschauer an mehr als nur einer Szene sieht, entzieht sich ihm diese Welt, gibt ihm noch mehr Fragen auf und stellt unmissverständlich klar, dass er nichts weiter als eine billige Arbeitskraft ist, die, wenn alle Kabel einmal verlegt sind, ihren Wert verliert.

Vernetzte Arbeitswelt
Im Allgemeinen zeigt Hutton in seinem Spielfilm den bizarr-komischen Albtraum der vernetzten Arbeitswelt. In Anlehnung an die Werke dystopischer Literatur verweist sein Drehbuch auf die Vernetzung von Kapital, Leistung und Technik, wobei Letztere nicht mehr dem Menschen dient, sondern vielmehr Zuckerbrot und Peitsche in einem ist. Die Darstellung dieser Welt erinnert bisweilen an die Werke von Independent-Regisseuren wie Shane Carruth (Primer, Upstream Color), die ebenfalls über minimale Mittel den Wert des Menschen in einer zunehmend digitalisierten und technologisierten Welt zeigen.

Auch in Lapsis folgt die „schöne neue“ Arbeitswelt dem Heilsversprechen der Harmonie und des sorgenfreien Lebens, welches immer noch von den gleichen Faktoren abhängig ist wie vorher, vor allem von Kapital und sozialem Status.

Credits

OT: „Lapsis“
Land: USA
Jahr: 2020
Regie: Noah Hutton
Drehbuch: Noah Hutton
Musik: Noah Hutton
Kamera: Mike Gomes
Besetzung: Dean Imperial, Madeline Wise, Babe Howard, Ivory Aquino, Dora Madison, James McDaniel, Frank Wood, Arliss Howard

Trailer

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"Lapsis" ist eine bizarre, oft verwirrende aber nichtsdestotrotz sehr sehenswerte Mischung aus Drama, Science-Fiction und Komödie. Regisseur Noah Hutton erzählt von einer Vision unserer Welt, in der die Vernetzung von Kapital, Technologie und Mensch ganz vollzogen ist, wobei immer noch ein wenig Hoffnung auf die Widerstandskraft des Menschen gesetzt wird.
8
von 10