Sicilia

Kritik

Sicilia Huillet Straub
„Sicilia!“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Nach vielen Jahren, die er in New York City lebte, kehrt ein Sizilianer (Gianni Buscarino) in seine Heimat zurück. Bereits bei seiner Ankunft wird er von einem Fremden angesprochen, der von ihm Einzelheiten über Amerika wissen will, wie es dort um die Arbeitslosigkeit bestellt ist und welche Essgewohnheiten man dort habe. Das Gefühl der Fremde verstärkt sich während der langen Bahnfahrt zu dem Dorf, in dem seine Mutter lebt, denn einige Männer, die aus anderen Teilen Italiens kommen, philosophieren über das Wesen Siziliens und seiner Bewohner, die sie als traurig bezeichnen, was erklärt, warum so viele von ihnen in Katasterämtern beschäftigt seien. Als er schließlich im kleinen Dorf ankommt, empfängt ihn seine Mutter (Angela Nugara) mit einem seiner Lieblingsessen, was aber nun schon kalt geworden sei, da er so lange bis zu ihr brauchte. Sie verbringen den Abend mit Unterhaltungen und Streitgesprächen über ihre Vergangenheit, besonders über den Vater, der in den Augen der Mutter ein Feigling war und ein Frauenheld. Ihr Sohn will dieses gänzlich negative Bild des Vaters nicht akzeptieren und versucht Ungereimtheiten in den Äußerungen seiner Mutter zu finden.

Ein trauriges Volk
Die Kollaborationen der französischen Filmemacher Danièle Huillet und Jean-Marie Straub gehören zu jenen Werken, die sich durch ihren besonderen Stil intellektuell einem Werk oder einer Person nähern. In einem ihrer besten Filme, dem 1999 entstandenen Sicilia!, nehmen sie den Roman Elio Vittorinis Conversazione in Sicilia als Grundlage für eine Geschichte über die italienische Insel, ihre Besonderheit und ihre Vergangenheit, ausgehend von der Familienbiografie des Protagonisten.

Die Rückkehr und damit auch der allgemeine Ton des Films von Huillet und Straub fällt sehr ernüchternd aus. Wie es sich bereits in der ersten Konversation des von Gianni Buscarino gespielten Protagonisten abzeichnet, hat sich nicht nur in dessen Heimat einiges verändert, sondern auch die Art und Weise, wie man Fremden, auch jenen, die Sizilien einst verließen, begegnet. Dabei handelt es sich weniger um eine allgemeine Feindlichkeit, sondern vielmehr um eine Art gegenseitiger Entfremdung, eine Distanzierung, die, wie später angedeutet wird, eine Charaktereigenschaft der Sizilianer sein soll. Hinzu kommen die neuen Einflüsse, von denen Buscarinos Figur berichtet, welche, so unbedeutend sie zunächst auch sein mögen, dennoch ihren Teil dazu beitragen, dass er sich zunehmend fremd in seiner Heimat vorkommt.

Was innerhalb eines Romans oder in anderen Filmen ein sich langsam abzeichnender Prozess ist, deutet sich in den präzisen Bildkompositionen Huillets und Straub an. Während der heimkehrende Sohn mit dem Rücken zur Kamera in den ersten Minuten sitzt, sind seine Gesprächspartner meist in Nahaufnahmen, fast schon konfrontativ eingefangen. Man merkt, dass sich Buscarinos Charakter entfernt hat, nicht dazu gehört oder dies vielmehr nicht will, wobei sich im Laufe der Handlung seine Einstellung zumindest andeutungsweise verändert.

Neue Familie, neuer Sinn
Insgesamt verläuft die (Wieder-) Begegnung mit dem Heimatdorf ähnlich ernüchternd ab, wie bereits beschrieben. Die Schwarz-Weiß-Bilder nehmen der Landschaft nicht nur jene Farbe, sondern scheinen die Beschreibung der Sizilianer als „trauriges Volk“ zu unterstreichen. Mehrere Male schwenkt die Kamera über dieses Dorf, so als ob sie den Blick des Protagonisten imitieren würde, der versucht das Dorf seiner Erinnerung zu finden.

Im Zentrum des Drehbuchs stehen zwei Konversationen, die der Heimkehrer mit seiner Mutter und später mit einem arbeitslosen Messerschleifer hat. Gerade die lange Diskussion mit der Mutter, die immer wieder in ein erhitztes Streitgespräch ausartet und die sich vor allem um die Enttäuschung über den Vater dreht, der die Familie verließ, verweist zum einen auf die Entfremdung der beiden Figuren voneinander, aber dann auch wieder auf eine Neufindung dieser Familie, dieser Heimat im Kopf des Protagonisten.

Credits

OT: „Sicilia!“
Land: Italien, Frankreich, Deutschland
Jahr: 1999
Regie: Danièle Huillet, Jean-Marie Straub
Drehbuch: Danièle Huillet, Jean-Marie Straub
Vorlage: Elio Vittorini
Kamera: William Lubtchansky
Besetzung: Gianni Buscarino, Angela Nugara, Vittorio Vigneri, Ignazio Trombello, Simone Nucatola

Filmfeste

Cannes 1999
International Film Festival Rotterdam 2000
Locarno Film Festival 2017

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„Sicilia!“ von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub ist ein Werk über Familie, Heimat und Entfremdung. Die präzisen Bildkompositionen, der Schnitt und die Dialoge bieten vor allem eine intellektuelle wie auch emotionale Auseinandersetzung mit den Themen wie auch den Figuren des Films an. Ein intelligenter Film, der noch einmal betont, welche einzigartigen Künstler die Regisseure sind bzw. waren.
9
von 10