Fassbinder Lieben ohne zu fordern
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Fassbinder – Lieben ohne zu fordern

Kritik

Fassbinder lieben ohne zu fordern
„Fassbinder – Lieben ohne zu fordern“ // Deutschland-Start: 29. Mai 2020 (DVD)

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs befand sich die deutsche Kultur und mit ihr der deutsche Film in der Krise. Nun standen Worte und Bilder im Generalverdacht, waren bisweilen ideologisch aufgeladen, sodass sich die Kunst von ihnen so schnell es geht emanzipieren wollte. Während auf der einen Seite das Kino die Verdrängung suchte in schlichtem Unterhaltungskino, gab es durchaus Tendenzen, welche die Probleme der Vergangenheit wie auch der Gegenwart aufgriffen, wenn man alleine an die Werke eines Helmut Käutner wie Schwarzer Kies denkt. Gerade in den tumultreichen und für Deutschland prägenden 60er Jahre erstarkte der Wille, sich künstlerisch mehr mit der Vergangenheit, aber vor allem mit der Art und Weise der gesellschaftlichen Verdrängung zu beschäftigen. Auf thematischer wie auch formaler Ebene definiert das Kino Rainer Werner Fassbinders wie kein anderes der Nachkriegszeit diese Tendenzen und erzählt dabei Geschichten, die noch bis in die heutige Zeit nachhallen.

Fast möchte man meinen, man habe schon viel (fast schon zu viel) über die Biografie und das Werk des deutschen Regisseurs gehört und gesehen, jedoch ergänzt die Dokumentation Fassbinder – Lieben ohne zu fordern das Bild um einige interessante Aspekte. In seinem Film wirft der dänische Regisseur Christian Braad Thomsen, selbst ein Wegbegleiter Fassbinders, nicht nur einen Blick auf dieses bewegte Leben und das vielschichtige Werk des Filmemachers, sondern geht auf Spurensuche nach dem, was das Wesen dieser Person ausgemacht hat, welche Parallelen es von der Lebensgeschichte hin zu den Themen des filmischen Werks es gibt. Hierbei greift Thomsen auf Gespräche mit Fassbinder zurück sowie auf solche mit Weggefährten wie Irm Hermann, Harry Baer, Andrea Schober, Margit Carstensen und Fassbinders Mutter Lilo Pompeit.

Freiheit ist auch nur ein Wort
Eine Textzeile aus einem Lied des US-amerikanischen Sängers Kris Kristofferson wird zu einem immer wiederkehrenden Thema nicht nur in den Filmen Rainer Werner Fassbinders, sondern auch in seinem Leben. Die Freiheit, die seine Figuren genießen oder um die sie kämpfen, offenbart sich mit der Zeit und bei genauem Hinsehen als eine Illusion. Effie in Fontane Effi Briest verbringt schöne Stunden im Schoße ihrer Familie, wobei immer der Schatten des gesellschaftlichen Zwangs, in diesem Fall der arrangierten Ehe, über diesen Bildern schwebt. Für die Gruppe Jugendlicher in Katzelmacher ist Freiheit ein Begriff, der sich Liebeleien und einer Art Rockerpose zeigt, die sich gegen das bürgerliche Milieu auflehnt, eine Pose, die mit dem Eintreffen des als Eindringling wahrgenommenen Gastarbeiters zerfällt. Mit vielen anderen Beispielen zeigt Thomsen die Themen des Werkes Fassbinders und wie dieser selbst mit dem Begriff der Freiheit hadert.

Biografisch wie historisch gesehen stellt die Möglichkeit der Freiheit einen Menschen vor ein Dilemma. Auf das Glück in der großen Familie aufgehoben zu sein folgt die strenge Obhut der Mutter in Leben Fassbinders. Das radikale Aufbegehren der 68er Generation, ganz besonders der Baader-Meinhof-Gruppe resultiert letztlich, wie Fassbinder in einem Gespräch sagt, in einem ähnlichen repressiven System, welches deren Mitglieder bekämpfen und welches sie mit Bomben beschmeißen. Vor diesem Hintergrund macht man tatsächlich lieber Filme als mit Sprengkörpern zu werfen, wie Fassbinder einmal meinte.

Auch innerhalb der sich immer verändernden Gruppe von Künstlern um Fassbinder herum scheint dieser Prozess zu gelten. Der Art des Regisseurs verfallen, akzeptieren Schauspieler die Demütigungen und die Beschimpfungen Fassbinders, deren Dimension sich erst Jahre später erschließt. So ist der Zusatz „Lieben ohne zu fordern“ vor allem so zu verstehen, dass man Fassbinder lieben konnte, aber nicht fordern sollte. Auf der einen Seite konnte diese Liebe, um einen Filmtitel Fassbinders zu zitieren, kälter sein als der Tod, doch auf der anderen Seite konnte sie einem auch viel geben. Fassbinder hat sehr viel gegeben, was man alleine an seinem respektablen Arbeitspensum in seiner kurzen Karriere sehen kann, doch am Ende war es wahrscheinlich einfach zu viel.

Credits

OT: „Fassbinder: at elske uden at kræve“
Land: Dänemark
Jahr: 2015
Regie: Christian Braad Thomsen
Drehbuch: Christian Braad Thomsen
Musik: Peer Raben
Kamera: Bente Petersen

Bilder

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"Fassbinder – Lieben ohne zu fordern" ist ein Porträt des Künstlers und des Menschen Rainer Werner Fassbinder, eines, das weder übermäßig verehrt noch den Stellenwert seines Werkes ignoriert. Christian Braad Thomsen ist eine bemerkenswerte, gut recherchierte und sehr persönliche Dokumentation gelungen über eine der wichtigsten Persönlichkeiten des deutschen Kinos, die noch bis heute unerreicht ist.