Over the Hills

Over the Hills

Kritik

Over the Hills
„Over the Hills“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Es ist nur eine kurze Szene. Eine eigentlich ganz banale Szene. Und doch sagt sie eine Menge aus: Der Besuch der Großmutter steht an, ihres Geburtstages wegen, Vít und Gríša haben Geschenke dabei. Keine große Sache, belgische Pralinen, um ihr eine Freude zu machen. Doch der Familienvater Vít und sein Teenagersohn Gríša diskutieren auf dem Weg zur Tür, wie Gríša das Geschenk hinter seinem Rücken halten soll, damit die Großmutter es nicht sofort sieht, sondern erst ein bis zwei Sekunden später. Die Diskussion ist etwas kurios, veranschaulicht aber schön, wie eng das Verhältnis der beiden ist, wie schwierig ihnen gleichzeitig das mit der Kommunikation fällt.

Eine Reise in die Vergangenheit
Von der Großmutter werden wir im Anschluss nichts mehr zu sehen bekommen, von den beiden dafür umso mehr. Schließlich begleiten wir sie auf einer langen Reise, die sie von ihrer Heimatstadt Brno in Tschechien bis ins russische Gebiet Nižnij Novgorod führt, mehr als 2800 Kilometer entfernt. Dort sollen die Mutter und die Schwester von Gríša wohnen, welche sie besuchen wollen. Für das Publikum erschließt sich das jedoch erst nach einer Weile, Regisseur Martin Mareček verzichtet in seinem Dokumentarfilm darauf, zu Beginn zu viel zu verraten. Und auch zum Schluss werden einige Fragen offen bleiben, gerade auch dazu, wie das alles so kommen konnte mit der Trennung.

Wer sich von Over the Hills, das auf dem Mittel Punkt Europa Filmfest 2020 zu sehen ist, eine rührselige Familienzusammenführung verspricht, begleitet von einem beträchtlichen Taschentuchverbrauch, der wird enttäuscht sein. Der Film schwelgt nicht in Kitsch, er bietet auch keine großen Momente. Stattdessen befinden wir uns hier auf einer sehr ruhigen Reise, sehr persönlich und doch nicht aufdringlich. Ohne den fragwürdigen Voyeurismus, den manche Dokumentationen anwenden, um Lebensgeschichten und Schicksale zur Unterhaltung der Zuschauer und Zuschauerinnen auszuschlachten.

Der Traum vom Glück
Over the Hills ist daher eher für Leute sehenswert, die sich an persönlichen Bindungen erfreuen können. Denn der Film ist voll davon. Immer wieder machen die beiden unterwegs Halt, besuchen andere Menschen. Während sich Gríša dabei gern ein wenig abseits hält, gibt sich Vít dabei seinen Erinnerungen hin. Erinnerungen an ein früheres Familienleben, das es so nicht mehr gibt. Hoffnungen, dass es wieder anders werden könnte. Denn auch wenn die Situation klar ist, es offensichtlich keine Zusammenführung geben wird, die zu einem Happy End führt, es hindert Vít nicht daran, davon zu träumen. Mögen da jetzt auch noch so viele Kilometer zwischen ihnen liegen, er liebt seine Tochter noch immer.

Verbunden werden diese nachdenklich-melancholischen Momente mit einer beeindruckenden Reise. Während das Duo quer durch Russland fährt, lernen sie Menschen und Orte kennen, werden Teil religiöser Rituale oder stolpern über Kuriositäten. Das ist nur zum Teil mit den vielen Reisedokus zu vergleichen, welche jedes Jahr in die Kinos kommen, legt weniger Wert auf große Bilder und eine Atmosphäre der Exotik. Auch in der Hinsicht ist Over the Hills zurückhaltender. Aber es reicht doch, um das Unterfangen zu einer Entdeckungsfahrt zu machen, welche ihnen das Land, aber auch sich selbst näherbringt, am Ende größere Geschenke dabei hat, als es belgische Schokolade je sein könnte.

Credits

OT: „Dálava“
Land: Tschechien
Jahr: 2019
Regie: Martin Mareček
Kamera: Jiří Málek

Bilder

Trailer



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In „Over the Hills“ folgen wir einem Vater und seinem Teenager-Sohn auf einer langen Reise, um die Mutter und Schwester des Jungen zu treffen. Das Ziel selbst spielt in dem leisen Dokumentarfilm keine größere Rolle. Wichtiger sind hier die Momente des Duos sowie die Eindrücke der langen Reise.