Sorry to Bother You

Sorry to Bother You

Sorry to Bother You
„Sorry to Bother You“ // Deutschland-Start: 5. September 2019 (Amazon Prime Video)

Cassius Green (Lakeith Stanfield) gehört nicht gerade zu den großen Gewinnern seiner Generation. Zu einer schönen Wohnung reicht es nicht, stattdessen wohnt er in der Garage seines Onkels. Und nicht einmal dafür hat er das notwendige Geld. Ein Job muss her, und zwar dringend. Den findet er sogar: In einem Callcenter soll er Leute anrufen und ihnen Produkte andrehen. So richtig klappen will das nicht, erst als ein Kollege ihm das Geheimnis verrät, mit einer „weißen“ Stimme zu sprechen, läuft es. Es läuft sogar so gut, dass er zu einem Power Caller befördert wird. Doch die Freude darüber hält nur eine Weile an, denn sein Arbeitgeber dreht da ein paar ganz krumme Dinger …

Wenn einem in Filmen immer wieder gesagt wird, man soll sich nicht verstellen, sondern ganz authentisch sein, um im Leben was zu erreichen, ist das natürlich nett. Es ist nur leider genauso gelogen wie die Vergehen der Protagonist*innen, die angeprangert werden. Als pädagogische Maßnahme sind solche Geschichten nicht ohne Wert, man darf ja zumindest versuchen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Boots Riley scheint in der Hinsicht jedoch nur wenig Optimismus zu verspüren, zumindest wenn es nach Sorry to Bother You geht, einer ebenso absurden wie wütenden Abrechnung mit einer ungerechten und selbstsüchtigen Welt.

Überall Probleme
Dabei ist es gar nicht so einfach zu sagen, wen Riley eigentlich ins Visier nehmen will. Der Rapper, der hier erstmals auch als Regisseur und Drehbuchautor in Erscheinung tritt, hat nämlich jede Menge Leute, mit denen er hart ins Gericht geht. Zunächst sieht es so aus, als wolle er sich einfach nur über Call Center echauffieren, die mit fragwürdigen Mechanismen fremde Menschen ausnehmen wollen. Das wächst mit der Zeit an zu einer sehr viel umfassenderen Gesellschaftskritik. Die Rassenthematik spielt natürlich ebenfalls eine große Rolle, wenn weiße Stimmen erfolgreich sind, schwarze nicht. Und selbst die Medien bekommen hier irgendwann ihr Fett ab.

Wobei der Ton von Sorry to Bother You alles andere als bitter ist. Vielmehr nutzt Riley Humor, um Missstände anzuprangern. Der ist manchmal ein bisschen alberner, gerade am Anfang, aber auch später. Und er ist absurd, sehr absurd sogar. Schon das Spiel mit der Sprache ist originell, wird zudem dadurch auf die Spitze getrieben, dass die weißen Stimmen tatsächlich von weißen Schauspielern stammen. Die Schauspieler also mal sich selbst sprachen, mal von anderen synchronisiert wurden. Allein deshalb schon sollte man sich unbedingt das englischsprachige Original anschauen. Später wird die Geschichte dann richtig abgefahren, wenn Elemente der Fantasy bzw. Science-Fiction die satirische Komödie anreichern.

Und was kommt als nächstes?
Ob es diese absonderlichen Wendungen gebraucht hätte, darüber kann man geteilter Meinung sein. Lustig ist es natürlich schon, wenn Riley alles einwirft, was ihm irgendwann in den Sinn gekommen ist – unter welchen Umständen auch immer –, zumal selbst die grotesken Momente nicht den Biss verlieren. Und wer sich eher langweilt angesichts der komplett austauschbaren Masse, die wöchentlich in die Kinos oder ins DVD-Regal wabert, der darf sich darauf freuen, hier mal wieder etwas anderes zu sehen. Gleichzeitig verrennt sich der Film an der Stelle ein bisschen, Sorry to Bother You wandelt sich von einer messerscharfen Satire in ein willkürliches Kuriositätenkabinett.

Der eigenwillige Genremix, der auf dem Sundance Film Festival 2018 Premiere hatte, fasziniert aber auch während der schwächeren Momente, zumal Riley auch visuell offensichtlich alles mal ausprobieren will. Einige der Einfälle sind brillant, andere eher verwirrend. Langweilig wird es jedoch nie. Das liegt nicht nur an dem bunten Potpourri, inhaltlich wie optisch. Gerade auch dem Ensemble ist es zu verdanken, dass dieses eigenartige Filmexperiment aufgeht. Lakeith Stanfield (Someone Great, Verschwörung) ist großartig als Verlierer, der in einem untypischen Film in typischer Manier Erfolge feiert, bevor er merkt, worauf es wirklich ankommt. Und Armie Hammer (Call Me by Your Name) ist eine Idealbesetzung als Boss, der sich als lockerer Kumpeltyp inszeniert und dabei mächtig dazu beiträgt, wie die Welt vor die Hunde geht. Denn die Gefahren lauern hier überall, sind bei Sorry to Bother You ebenso wenig vorhersehbar wie die Gags.



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„Sorry to Bother You“ beginnt als Arbeitsplatzkomödie, die sich über Call Center lustig macht, wird dann zu einer weiter gefassten Satire, nur um dann noch einmal so richtig abzudrehen. Das ist nicht immer alles ganz rund, aber als Mix der unterschiedlichsten und überraschendsten Ideen unterhaltsam – zumal hinter den absurden Gags einige richtig harte Angriffe lauern.
8
von 10