Oh Lucy

Oh Lucy!

„Oh Lucy!“ Release // nicht angekündigt

So richtig toll ist das Leben von Setsuko (Shinobu Terajima) ja nicht. Große soziale Kontakte hat sie nicht, die Arbeit im Büro bietet ihr auch keine wirkliche Perspektive. Erst als sie auf Drängen ihrer Nichte Mika (Shiori Kutsuna) an einem Englischkurs teilnimmt, kommt wieder Schwung in ihren grauen Alltag. Dabei ist es weniger die Sprache an sich, die sie fasziniert. Es ist der junge und gutaussehende Amerikaner John (Josh Hartnett), der ihr mit seinen unkonventionellen Lehrmethoden den Kopf verdreht. Doch auch dieses Glück ist nur von kurzer Dauer, wie sie bald feststellen muss, als Mika und John zusammen in die USA abhauen. Also packt Setsuko ihre Siebensachen und macht sich im Schlepptau ihrer Schwester Ayako (Kaho Minami) nun selbst auf den Weg nach Los Angeles.

Wenn zwei unterschiedliche Kulturen zusammentreffen, dann bedeutet das fast immer Reibung. Die kann tragisch ausfallen, wie das aktuelle politische Klima zeigt, vergiftet durch skrupellose Machtmenschen, die von Ängsten profitieren wollen. Aber auch sehr erheiternd. Viele Filme spielen damit, dass Protagonisten aus einem Kulturkreis einen anderen kennenlernen, mal mehr, mal weniger freiwillig. Das kann mit Verwunderung einhergehen, Faszination und natürlich auch komischen Missverständnissen und Anpassungsschwierigkeiten – siehe etwa die Komödienklassiker Willkommen bei den Sch’tis oder My Big Fat Greek Wedding.

Zwei komische Klischees wie aus dem Bilderbuch
Zumindest am Anfang sieht es so aus, als wäre Oh Lucy! eine weitere dieser Culture-Clash-Komödien, wie es sie immer mal wieder zu bestaunen gilt. Schließlich spielt der Film mit den üblichen Klischees, die wir mit den USA bzw. Japan in Verbindung bringen. John ist ein dauerfröhlicher Mann ohne Distanzgefühl, der jeden bei der ersten Begrüßung umarmt und eine irritierende Begeisterung in jede Silbe packt. Setsuko ist hingegen distanziert, höflich, peinlich berührt von jeglicher Zurschaustellung, wie sie John oder auch ihre Nichte zeigen.

Aber Oh Lucy! ist mehr als das. Regisseurin und Co-Autorin Atsuko Hirayanagi, welche hier einen früheren Kurzfilm aufnimmt und weiter ausbaut, kennt diese kulturellen Gräben aus eigener Erfahrung: Die Japanerin verschlug es vor einiger Zeit selbst in die USA, studierte in New York und lebt heute in San Francisco. Sie redet in ihrem Film dann von diesen Unterschieden. Sie redet vor allem aber auch von Identität. Welchen Anteil hat der Kulturkreis an dieser, welchen die eigene Persönlichkeit? Wenn sich Setsuko eine groteske Perücke aufsetzt und Lucy nennt – auf Anweisung von John –, dann ist das natürlich erst einmal urkomisch. Gleichzeitig setzt es jedoch auch einen inneren Prozess in Gang.

Tragische Abweichung der Trampelpfade
So ganz entscheiden kann sich Hirayanagi nicht, was genau sie aus dieser Situation machen mag. Im einen Moment ist Oh Lucy! eine reinrassige Komödie, eine recht bissige zudem, die von den Kontrasten lebt. Die auch viel Zeit auf das Verhältnis zwischen Setsuko und ihrer Schwester legt, welches vom ersten Moment an als sehr schwierig gezeigt wird. Klar ist es lustig, wenn sie sich am Flughafen angiften oder sich gegenseitig mangelnde Englischkenntnisse vorwerfen. Es bringt nur die Geschichte nicht wirklich voran, lenkt teilweise sogar von den interessanteren Themen ab.

Am stärksten ist der Film, der 2017 in Cannes Premiere feierte und 2018 im Rahmen des Nippon Connection Filmfests auch nach Deutschland kam, wenn er ganz leise ist. Oh Lucy! verweigert sich den üblichen Annäherungen, die Culture-Clash-Komödien so mit sich bringen. Wenn Setsuko hier neue Seiten an sich entdeckt, dann bedeutet das nicht zwangsweise eine Verbesserung, nicht zwangsweise ein Happy End. Zu erkennen wer man ist, wer der andere auch ist, das kann befreiend sein. Es kann aber auch zu Einsamkeit führen, wenn bisherige feste Konstanten wegfallen, man sich nicht mehr am Gewohnten festhalten kann, Menschen nicht das sind, was sie zu sein scheinen. Tragikomödien gibt es bekanntlich viele, die Kombination aus humorvollen und ernsten Elementen dürfte inzwischen häufiger sein als hundertprozentige Komödien und Dramen. Selten aber trifft beides so unvermittelt aufeinander wie hier. Der Film ist im einem Moment unterhaltsam, im nächsten tieftraurig, muntert gleichermaßen zur Selbstsuche auf und lässt einen doch mit dieser alleine.



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Der Titel klingt komisch, die ersten Szenen, wenn eine Japanerin mittleren Alters Englischstunden nimmt, sind es auch. Und doch ist „Oh Lucy!“ mehr als die zunächst angedeutete Culture-Clash-Komödie. Die Geschichte einer Selbstsuche überzeugt sogar vor allem in den leisen Momenten, wenn das Entdecken und Ausprobieren von Identität befreiend und tieftraurig in einem ist.
7
von 10