Nach dem Urteil
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Nach dem Urteil (2017)

Nach dem Urteil
„Nach dem Urteil“ // Deutschland-Release // Kino: 23. August 2018

Die Ehe von Antoine (Denis Ménochet) und Miriam Besson (Léa Drucker) ist schon lange vorbei. Und wenn es nach ihr ginge, es gäbe auch keinen Kontakt mehr. Wären da nur nicht ihre Kinder: der elfjährige Julien (Thomas Gioria) und die inzwischen volljährige Joséphine (Mathilde Auneveux). Vor allem um Julien entbrennt ein heftiger Streit, da Miriam jeglichen Umgang zwischen den beiden verhindern will und Antoine vor Gericht als brutalen und kontrollsüchtigen Schläger beschreibt. Doch so sehr sie auch die Gefahr beteuert, die von ihm ausgeht: Am Ende bekommt er das Recht, Julien jedes zweite Wochenende zu sich nehmen zu dürfen. Selbst nach dem Urteil bleibt die Lage jedoch angespannt, Miriam und ihre Kinder begegnen Antoine mit viel Feindseligkeit und tun alles dafür, um den Kontakt auf ein Minimum zu beschränken.

Bis dass der Tod uns scheidet? Das ist schon lange keine Selbstverständlichkeit mehr. Zwar nahm die Scheidungsrate in den letzten Jahren in Deutschland wieder kontinuierlich ab, lag zuletzt aber immer noch bei knapp 40 Prozent. Ein entscheidender Faktor für die Fortführung einer Ehe waren traditionell Kinder, um derentwillen man eine Partnerschaft aufrechterhielt, die es schon längst nicht mehr gab. Nach dem Urteil zeigt das genaue Gegenteil. Hier sind die Kinder einer der Hauptgründe für die Scheidung, Miriam – so wird schnell klar – würde alles dafür tun, um den Kontakt zwischen ihnen und Antoine zu vermeiden.

Zwei Aussagen, zwei Versionen
Aber weshalb? Regisseur und Drehbuchautor Xavier Legrand, der hier seinen oscarnominierten Kurzfilm Avant que de tout perdre fortsetzt, etabliert gleich zu Beginn, was Miriam ihrem Mann vorwirft: Er soll gewalttätig sein, zumindest einmal die gemeinsame Tochter verprügelt haben. Alles Quatsch erwidert er, die Verletzung damals habe sich beim Sport zugetragen. Die Aussagen der Kinder, die selbst keinen Kontakt mehr wollen, sie seien durch die Mutter diktiert. So wie die Kinder durch die Mutter im Allgemeinen manipuliert seien.

Die Vorgeschichte des zerstrittenen Paares, sie verliert sich in Aussagen und Widersprüchen, in Behauptungen und Dokumenten. Und welche der gegensätzlichen Versionen stimmt nun? „Ich weiß nicht, wer von Ihnen beiden mehr lügt“, erwidert die zuständige Richterin zu Beginn. Äußerst geschickt ist es, wie Legrand hier sie als Stellvertreterin des Volkes – und des Publikums – zu einer Entscheidung zwingt, die nicht getroffen werden kann. Dafür sind wir zu sehr Außenstehende, haben einfach nicht genügend Einblicke in die Familie und ihre Probleme.

Die Wahrheit kommt in kleinen Schritten
Mit der Zeit gewinnen wir sie, durch Andeutungen und Auseinandersetzungen fügt Nach dem Urteil immer mehr Puzzleteile hinzu. Und doch bleibt lange offen, was nun wirklich stimmt, auch weil viele Szenen widersprüchlich sind, das Verhältnis zwischen der Mutter und den Kindern ebenfalls nicht das beste zu sein scheint. Ist die Mutter psychisch krank und leidet an Verfolgungswahn? Oder ist Antoine der unberechenbare Schläger, der wegen Nichtigkeiten austickt? Trifft beides zu oder keins davon? Was genau ist eigentlich vorgefallen?

Nach dem Urteil, das auf den Filmfestspielen von Venedig 2017 Weltpremiere feierte, ist dabei ein Meisterstück der Detailarbeit. Legrand verzichtet weitgehend auf große dramatische Momente oder dick aufgetragene Musik, um das Publikum zu fesseln. Stattdessen schafft es der Franzose, mit minimalen Mitteln Spannung aufzubauen. Gerade die gemeinsamen Autoszenen mit Antoine und Julien stechen hervor, in denen das Ticken des Blinkers oder das Piepen, wenn einer nicht angeschnallt ist, die Nerven effektiv sezieren. Wo sonstige Vater-Sohn-Geschichten gerne von einer allmählichen Annäherung erzählen, da bleibt diese Beziehung von Distanz geprägt, von Unverständnis und Misstrauen. Und auch der Darsteller wegen ist das Drama mit Thrillerelementen unbedingt sehenswert, tragen dazu bei, dass man mal der einen, mal der anderen Seite die Daumen drückt und auf das dicke Ende wartet.

OT: „Jusqu’à la Garde“
Land: Frankreich
Jahr: 2017
Regie: Xavier Legrand
Drehbuch: Xavier Legrand
Kamera: Nathalie Durand
Besetzung: Léa Drucker, Denis Ménochet, Thomas Gioria, Mathilde Auneveux

Internationale Filmfestspiele Venedig 2017
Zurich Film Festival 2017
Filmfest München 2018
Heimspiel 2018



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„Nach dem Urteil“ erzählt von dem Sorgerechtsstreit einer Familie und mischt dafür Drama mit Thrillerelementen. Geschickt wird hierbei mit der Unwissenheit des Publikums gespielt, das keine Ahnung hat, wer der beiden hier die Wahrheit erzählt. Der Film schafft es dabei, gerade mit kleinen Szenen und minimalen viel Spannung aufzubauen, unterstützt von durchwegs sehenswerten Darstellern.
8
von 10