The Line

The Line

„Čiara“, Slowakei/Ukraine, 2017
Regie: Peter Bebjak; Drehbuch: Peter Balko; Musik: Slavo Solovic
Darsteller: Tomas Mastalir, Emília Vásáryová, Eugen Libezniuk, Stanislav Boklan

Die anhaltende Flüchtlingsdebatte hat es wie kein Thema der letzten Jahre vermocht, die Gesellschaft zu spalten. Doch so viele Kontroversen die Flüchtlingsthematik auch ausgelöst hat, in einem Punkt sind sich alle einig: Die Schlepper, das sind die Bösen. Die Schlepper sind Kriminelle, die das Leid und die Not der Schwächsten dieser Erde ausnutzen und zu Geld machen. Dass auch die Schlepper Getriebene sein könnten, gefangen in einem Sog aus Gewalt, Korruption und Armut? Dass auch sie eine individuelle Geschichte haben, Menschen sind, wie du und ich? Für viele ist das schwer vorstellbar. Der Film The Line erzählt jedoch genau das: Die Geschichte der Schlepper.

Schauplatz ist der Grenzbereich zwischen der Ukraine und der Slowakei im Jahr 2017. Schlepperboss Adam (Tomas Mastalir) ist zugleich Familienvater. Er sieht es als seine Aufgabe, seine Familie zu führen und zu ernähren. Das wird schwieriger, denn die Slowakei soll als neues EU-Mitglied dem Schengen-Abkommen beitreten. Die Grenze der Slowakei soll als neue EU-Außengrenze massive Sicherheitsverschärfungen erfahren, was das Geschäft der Schlepper zunichtemachen könnte. Adam möchte das Angebot des ansässigen „Schlepper-Paten“ Krull (Stanislav Boklan) nicht annehmen, harte Drogen und Menschen zu schmuggeln, um weitere Einnahmequellen zu erschließen. Er möchte es bei Alkohol und Zigaretten belassen. Hier setzt er sich selbst eine „Line“, eine Linie, die nicht übertreten werden darf.

Authentische Milieustudie
Diese Linie erweist sich im Lauf der Zeit als immer fragiler. In dem Film werden noch weitere Grenzen verlassen, beziehungsweise überschritten: Die Grenzen zwischen Familie und Business, zwischen Gesetz und Verbrechen, zwischen Freud und Leid. Das Setting wirkt sehr authentisch. Alles ist schmutzig, so wie man es bei diesem schmutzigen Geschäft erwartet. Die korrupte Polizei sitzt mit den Gangstern an einem Tisch. Die Armut und die Ausweglosigkeit, die im Grenzgebiet herrschen, scheinen sich nur gemeinsam ertragen zu lassen. Der Umgang ist rau, aber innerhalb der eigenen Gruppe zumeist von einer subtilen Herzlichkeit geprägt. Es wird nichts beschönigt, Gewalt dominiert das Geschehen. Die Geschichte braucht Zeit, um sich zu entspinnen. Der Film verwendet viel Zeit darauf, das Leben der Schlepper und ihres Umfelds ohne großen Fortgang der Handlung zu portraitieren.

Heitere Grausamkeit
Der Beitrag vom Mittel Punkt Europa Filmfest 2018 zeigt anschaulich, wie nah Freud und Leid beieinander liegen. Heitere Szenen des Films sind häufig in Kontrast gesetzt mit einem im Hintergrund stattfindenden Gemetzel. Die durchaus hohe Intensität wird zudem oft durch leichte Melodien – beinahe einem Klimpern – auf elegante Art und Weise konterkariert. Das Leben, dem man sich an der Grenze stellen muss, erscheint zwar absurd, unfair und gewalttätig, aber auch humorvoll. Die Grenzbewohner fügen sich in ihre Rolle und versuchen, das Leben trotz allem zu genießen. So oszilliert der Film ständig zwischen Heiterkeit und Grausamkeit. Alle scheinbar fröhlichen Szenen enden in einer Katastrophe. Das Leben nimmt genauso schnell, wie es gibt, so die unumstößliche Erkenntnis.

In dieser heiteren Absurdität hat der Film etwas von Meilensteinen des Genres wie GoodFellas oder Scarface, ohne an deren epische Größe heranzureichen. Auch jegliches Pathos wird bei The Line zumeist im Keim erstickt. Statt auf Pathos legt der Film ein Augenmerk auf Authentizität – auch, wenn der Film sich zahlreicher Gangstermovie-Klischees nicht erwehren kann. Innerhalb der zahlreichen Dialoge des Films wird der Gesprächspartner vor allem durch kryptische Anekdoten eingeschüchtert. Einmal besucht der Schmuggler-Pate Krull ein Fußballspiel seines sportlich minder talentierten Sohns. Mit einem Wink der Hand befiehlt er dem Schiedsrichter, das Foul seines Sprösslings nicht zu beachten. Der Schiedsrichter gehorcht mit einem Nicken.

Schwächere zweite Hälfte
Leider plätschert der Film im Verlauf der zweiten Hälfte zunehmend vor sich hin. Die Atmosphäre und die authentischen Darsteller tragen zwar durch den Film, allerdings sind die Highlights spärlich, Innovationen Fehlanzeige. Der entwickelte Plot zündet nicht wirklich, es passiert nichts, was man nicht schon oft in anderen Gangster-Filmen gesehen hätte.

Eine Erkenntnis des Films, die vor allem in Erinnerung bleibt: So schlimm die Umstände auch sein mögen, Menschen können sich immer an etwas erfreuen – es sei denn, man sitzt als Flüchtling eingepfercht zwischen 50 anderen Menschen im Transporter. Hier verzichtet der Film auf jegliche Zwischentöne. Die geschmuggelten Flüchtlinge sehen vor lauter Elend keine Freude mehr. Entmenschlicht – sie werden von allen nur Monkey genannt – verängstigt, und stumm werden sie von A nach B geschleust. The Line, die Grenze, bedeutet für sie nach der Verschärfung der Grenzkontrollen häufig auch das Ende ihrer lebensgefährlichen Reise.



(Anzeige)

"The Line" ist eine spannende Gangster-Milieustudie, die aktuelle politische Ereignisse aufgreift – ohne dabei politisch zu werden. Das Leben der Schlepper und ihres Umfelds steht im Vordergrund, wobei der Film fernab jeder Beschönigungen vor allem um Authentizität bemüht ist. Leider weist die Handlung des Films vor allem in der zweiten Hälfte kaum Innovationen auf. Mit Gangster-Klischees und typischen Handlungssträngen reiht sich der Film in die große Zahl solider Crime-Thriller ein, ohne daraus hervorzustechen.
6
von 10