Pity

Pity

„Oiktos“, Griechenland/Polen, 2018
Regie: Babis Makridis; Drehbuch: Efthymis Filippou, Babis Makridis; Musik: Mikolaj Trzaska
Darsteller: Yannis Drakopoulos, Evi Saoulidou

„Pity“ läuft im Rahmen des 36. Filmfests München (28. Juni bis 7. Juli 2018)

Die Ehefrau (Evi Saoulidou) eines erfolgreichen Anwalts für Tötungsdelikte (Yannis Drakopoulos) liegt seit einer Weile im Koma. Er verlässt sich in der Zwischenzeit auf das Mitgefühl seiner Bekannten, Nachbarn und Arbeitskollegen, die ihm und seinem einzigen Sohn mit kleinen Gefallen aushelfen. Dabei scheint sich der Vater nicht nur an den neuen Lebensstil zu gewöhnen, sondern sich geradezu im geschenkten Mitleid zu suhlen. Doch eines Tages erhält er den Anruf, dass seine Frau endlich aus ihrer Ohnmacht erwacht ist.

Greek Weird Wave
Regisseur Babis Makridis tat sich für seinen zweiten Langfilm mit dem Drehbuchautor Efthymis Filippou zusammen, der u.a. als rechte Hand des inzwischen international renommierten, griechischen Regisseurs Yorgos Lanthimos bei Projekten wie Dogtooth, The Lobster – Eine unkonventionelle Liebesgeschichte und The Killing of a Sacred Deer agierte. Deshalb mag es kaum überraschen, dass Pity auf die ein oder andere Weise an die staubtrockenen Grausamkeiten Lanthimos’ erinnert: die ausdruckslosen, doch geladenen Dialoge, die pastellene Ästhetik, die geometrische Optik der Standkamera, die antithetische Bestialität. Damit gehört Pity der merkwürdig surrealistischen Welle des Neuen Griechischen Kinos an, die spätestens seit Dogtooth aus dem Jahr 2009 über Europa und die Welt schwappt.

Zu Beginn wird man als Zuschauer mitten in die Handlung geworfen; es gibt kaum direkte Erklärung; der Spannungsbogen baut sich langsam aber stetig in der Wiederholung von Schauplätzen, Handlungen und Äußerungen auf. Das Schauspiel ist nüchtern, geradezu emotionslos. Dabei ist die Wahl des Hauptdarstellers Yannis Drakopoulos aufgrund seiner präzisen Interpretation und differenzierten Ausführung der namenlosen, psychopathischen Hauptfigur, die im Abspann nur als „Der Anwalt“ bezeichnet wird, überaus gelungen.

Gelegentlich wird der aktive Plot in Form von weißer Schrift auf schwarzem Hintergrund unterbrochen, die die Gedankenwelt der Hauptfigur widerspiegeln. „Most crying in movies is so fake“ steht da, bevor die Kamera im nächsten Moment auf den Anwalt schneidet, der schluchzend und schniefend auf der Bettkante sitzt. Eine gewisse Ironie zieht sich durch den gesamten Film, weshalb er von Kritikern immer wieder als schwarze Komödie bezeichnet wird. Der humoristische Aspekt kann allerdings nur oberflächlich gelten. Denn der Witz der Situation verpufft, sobald man einen Schritt weiter denkt und erkennt, dass der Kern des zugespitzten Plots in der Ironie liegt, Trauer als Performance und Spektakel zu verstehen.

Alles schon gesehen(?)
Wie bereits erwähnt wird kaum ein Filmkenner am Gebrauch Lanthimos’scher Stilmittel in Pity zweifeln können. Unglücklicherweise wird diese Gegebenheit zur Krux des Films. Dadurch, dass die filmischen Pinselstriche der beiden Regisseure einander so sehr ähneln, kann Makridis’ Werk der Originalität Lanthimos’ nicht das Wasser reichen. Auch wenn die Machart (hoffentlich) noch lange nicht abgegriffen ist, gelingt es Pity trotz seines Formgefühls, seiner faszinierenden Charakterdarstellung und seines schlüssig abgerundeten Finales kaum zu schockieren. Der Kontinent der Greek Weird Wave wurde von anderen Entdeckern zuerst gefunden und betreten. Außerdem ebbt die bis dahin kontinuierlich ansteigende Spannungskurve kurz nach dem erzählerischen Wendepunkt durch retardierende Wiederholungen stark ab.



(Anzeige)

"Pity" ist wunderbar schräges, erschreckend brutales Neues Griechisches Kino à la Yorgos Lanthimos. Selbst wenn die Geschichte um einen vermeintlich trauernden Anwalt kaum Innovation bedeutet, ist sie aufgrund der düsteren Charakterstudie, die sich um das Verständnis und den Missbrauch von Mitleid spinnt, doch ein gelungenes und wertvolles Stück Arthouse Film.
7
von 10