Lucias Grace

Lucia’s Grace

„Troppa Grazia“, Italien, 2018
Regie: Gianni Zanasi; Drehbuch: Gianni Zanasi, Giacomo Ciarrapico, Federica Pontremoli, Michele Pellegrini; Musik: Niccolò Contessa
Darsteller: Alba Rohrwacher, Elio Germano, Hadas Yaron, Carlotta Natoli

Lucias Grace
„Lucia’s Grace“ läuft im Rahmen des 36. Filmfests München (28. Juni bis 7. Juli 2018)

Privat hat Lucia (Alba Rohrwacher) so einiges zu tun. Die Verarbeitung ihrer Trennung von Arturo (Elio Germano) zum Beispiel. Beruflich ist es bei der Landvermesserin hingegen recht ruhig. So ruhig, dass sie sich gezwungen sieht, sich die Arbeit manchmal selbst zu beschaffen, auf etwas unorthodoxe Weise. Umso orthodoxer ist dafür die Erscheinung, deren Zeugin sie eines Tages auf einem Feld wird. Eine Frau (Hadas Yaron), in seltsame Kleidung gehüllt, in einer fremden Sprache sprechend. Seltsam ist aber auch, dass Lucia ihr immer wieder über den Weg läuft, an allen möglichen und unmöglichen Stellen. Und dann behauptet sie auch noch, die Mutter Gottes zu sein und fordert, dass ihr zu Ehren mitten auf dem zum Bauen freigegebenen Feld eine Kirche errichtet wird. Als wäre das nicht schon verwirrend genug, scheint außer Lucia niemand diese Frau sehen zu können. Ob sie langsam verrückt wird? Oder steckt da doch mehr dahinter?

Es ist schon ein recht ungewöhnlicher Film, den wir dem italienischen Regisseur und Co-Autor Gianni Zanasi hier verdanken. An filmischen Protagonisten, die seltsame Erscheinungen sehen, mangelt es natürlich nicht. Gerade das Horrorgenre steckt voller Beispiele, in denen grausige Szenen nicht nur die Betroffenen an ihrem Verstand zweifeln lässt. Natürlich bieten sich solche unsichtbaren Plagegeister aber auch für den einen oder anderen Spaß an – siehe kürzlich die Serie Happy!, in der ein imaginäres Einhorn einem versoffenen Cop auf die Sprünge hilft. Denn wenn Menschen mit etwas interagieren, das für andere verborgen bleibt, dann sieht das von außen immer komisch aus.

Nichts sehen kann komisch sein
Bei Lucia’s Grace, das bei der Directors’ Fortnight in Cannes 2018 Weltpremiere feierte, ist das nicht anders. Es beginnt mit den obligatorischen Selbstzweifeln der Protagonistin, die sich nicht sicher ist, ob da wirklich die Maria vor ihr steht. Wer würde heute noch daran glauben? Aber es sind auch die Momente, wenn Lucia und ihre göttliche Begleiterin im regen Austausch sind, während die Menschen drumherum nur die eine Seite zu sehen bekommen, die für Lacher gut sind. Selbst wenn es nur harmloser Slapstick ist.

Interessanter sind aber die Szenen, wenn das veränderte Verhalten zu Religion und Wundern humorvoll aufgegriffen wird. Maria, die in den letzten Jahrhunderten immer ihre Kirche bekam, ohne Widerworte, steht Lucia ebenso fassungslos gegenüber wie umgekehrt. Da werden dann schon mal andere Saiten aufgezogen, um den göttlichen Willen durchzusetzen. Und ohnehin, die nicht ganz so liebenswürdige Darstellung der Mutter Gottes überrascht doch schon ein wenig, ohne dass daraus aber eine echte Religionskritik würde. Das wiederum ist das vielleicht auffälligste Merkmal von Lucia’s Grace: Da wird vieles angefangen und gleich wieder fallengelassen. Ist so wenig fassbar wie die Erscheinung an sich. in einer

Viele Fäden führen (nicht) ans Ende
Beispiele dafür gibt es ohne Ende. Die kleinen Mauscheleien beim Bauprojekt haben ebenso wenig Auswirkungen auf die Handlung wie die Auseinandersetzungen von Lucias Tochter Rosa (Carlotta Natoli) mit einem Klassenkameraden. Und selbst das Finale des Films wirkt seltsam losgelöst von allem. So als wäre es Zanasi und seinen diversen Drehbuchkollegen gar nicht darum gegangen, eine durchgängige Geschichte zu erzählen. Es wird auch nie wirklich klar, worauf der Film denn hinauswill. Ob diese Maria nun real ist oder nicht vielleicht doch „nur“ eine Art innere Stimme.

Zu erzählen hat diese einiges, hätte es zumindest. Über die Bedeutung von Glauben. Über Wunder des Alltags. Unsere Verbundenheit mit der Welt, eine Ursprünglichkeit und Wahrhaftigkeit, für die kein Platz mehr ist in einer Welt, die zum Synonym für Profitgier wurde. Der Beitrag vom Filmfest München 2018 will sich aber nicht dazu hinreißen lassen, diese Punkte auch wirklich zu vertiefen. Ein bisschen traumartig wirkt diese eigenwillige Komödie mit kleineren dramatischen Momenten. Dazu passen dann auch die schönen idyllischen Bilder von einer – noch – unberührten Natur. Und Alba Rohrwacher (Meine Tochter – Figlia Mia) ist ohnehin sehenswert als Frau in der Sinnkrise, die in vielerlei Hinsicht nicht mehr weiß, was sie tun soll. Es wäre nur noch schöner gewesen, wenn dieser so unberechenbar umherwandernde Film selbst fokussierter wäre, wenn schon nicht in den Antworten dann doch wenigstens in den Fragen.



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Eine Frau wird von einer Erscheinung verfolgt, die behauptet die Mutter Gottes zu sein. Das ist schon seltsam genug. Noch seltsamer ist aber, was bei „Lucia’s Grace“ daraus gemacht wird. Mal Slapstickkomödie, dann leichte Satire bis hin zu grundsätzlichen Überlegungen – der Film packt jede Menge in seine 110 Minuten. Leider werden diese Elemente aber nie wirklich konsequent verfolgt, das traumartige Werk bleibt in vielerlei Hinsicht rätselhaft.
6
von 10