Mellow Mud

Mellow Mud

„Es esmu seit“, Lettland, 2016
Regie: Renars Vimba; Drehbuch: Renars Vimba; Musik: Eriks Esenvalds
Darsteller: Elina Vaska, Andzejs Lilientals, Edgars Samitis

Mellow Mud
„Mellow Mud“ // Deutschland-Start: 9. April 2018 (VOD) // 13. Dezember 2018 (Kino) // 19. November 2020 (DVD)

Trautes Familienleben? Das gibt es für die 17-jährige Raya (Elina Vaska) schon länger nicht mehr. Der Vater ist gestorben, ihre Mutter hat sich anschließend aus dem Staub gemacht und lebt nun in London. Raya und ihrem jüngeren Bruder Robis (Andzejs Lilientals) bleibt daher nur die Möglichkeit, bei ihrer Großmutter Olga zu leben, in einer ländlichen Gegend Lettlands. Doch das gestaltet sich schwierig. Das Verhältnis der Kinder zu der alten Frau ist von gegenseitiger Ablehnung geprägt. Vor allem deren Entscheidung, das Land zu verkaufen, kann und will Raya nicht akzeptieren. Als Olga eines Tages stirbt, beschließen die Geschwister, den Vorfall zu verheimlichen, um nicht ins Waisenhaus zu müssen. Gleichzeitig setzt die Jugendliche alles daran, bei einem Sprachwettbewerb anzutreten. Dessen Preis: eine Reise nach England.

Es ist schon eine ganze Menge, die Renars Vimba da seinen jungen Protagonisten zumutet. Der Vater tot, die Mutter abgehauen, die Großmutter ein Monster. Hinzu kommen Geldnöte, die Drohung, in ein Waisenhaus gesteckt zu werden, womöglich getrennt voneinander, verbotene sexuelle Regungen und schulische Probleme. Gleichzeitig ist es eine Menge, die dem Publikum abverlangt wird. Eine solche Häufung von tragischen Ereignissen, das wirkt schnell übertrieben und unglaubwürdig, eine Überdramatisierung, die zu viel will und damit am Ende das Gegenteil erreicht.

Der Abgrund im Hintergrund
Vimba gelingt jedoch das Kunststück, all diese Einzelpunkte auf überzeugende Weise miteinander zu verbinden. Teilweise indem der lettische Regisseur und Drehbuchautor sie auslagert: Der Tod des Vaters und die Flucht der Mutter liegen schon länger zurück, wenn wir in Mellow Mud einsteigen. Angesprochen wird beides, aber erst später. Die einschneidenden Erlebnisse der Geschwister werden nicht als solche präsentiert, sondern definieren die Ausgangslage für den Rest des Films. Das ist die Situation, macht was draus.

Aber auch bei den späteren Wendepunkten zeigt Vimba eine Zurückhaltung, die dem Drama zugutekommt. Der Tod der Großmutter, so wichtig er für die Handlung ist, fällt so kurz und unspektakulär aus, man könnte ihn fast übersehen. Das liegt auch daran, dass er nicht groß zwischen den Geschwistern thematisiert wird. Sie müssen keine Worte verlieren, um zu entscheiden, was sie als nächstes tun werden. Das Band zwischen den beiden ist so eng, dass Kommunikation auch abseits von Dialogen funktioniert.

Kommunikation auch ohne Worte
Allgemein ist Mellow Mud kein Film, der von ausgefeilten Dialogen lebt. Gesprochen wird eher selten in der lettischen Provinz. Gesten und Mimik ersetzen die Wörter, beispielsweise wenn Raya und ihr attraktiver Lehrer (Edgars Samitis) sich näherkommen. Manchmal nicht einmal das. Die Aufnahmen vom Landleben, etwa wenn die Jugendliche im Garten arbeitet, tragen viel zu der Stimmung des Dramas bei: rau, melancholisch, verlassen. Ganz nah dran an der Natur, ohne sie aber zu beschönigen. Ein Idyll auf schwachem Fundament, das jederzeit wegzubrechen droht.

Sehr stark ist hingegen die Leistung von Elina Vaska. Zwischen rebellisch und sehnsuchtsvoll, diszipliniert und dreist – bei der Nachwuchsschauspielerin wird die Figur der 17-Jährigen, die plötzlich eine Familie leiten muss, zu einem Menschen voller Widersprüche. Vorbildhaft im einen Moment, im nächsten der Schrecken aller Erziehungsberechtigten. Mellow Mud zeichnet auf diese Weise den Weg einer Jugendlichen nach, die in einer verworrenen Welt ihren Platz sucht, Grenzen und Bestätigung, ist gleichzeitig aber auch eine trotz aller Traurigkeit schöne Geschichte geschwisterlichen Zusammenhalts.



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Das lettische Drama „Mellow Mud“ nimmt uns mit in eine Welt, die melancholisch, rau, verlassen und doch auch irgendwie schön ist. Die Beiläufigkeit und der Verzicht auf große Dialoge helfen dabei, die an und für sich tragischen Ereignisse besser zu verarbeiten. Hinzu kommt Nachwuchsschauspielerin Elina Vaska, die als von Widersprüchen und Sehnsüchten gezeichnete 17-Jährige eine echte Entdeckung ist.
7
von 10